Hochwasserschaden dank Denkmalschutz

In Grimma verzögerten Bedenken gegen "Verschandelung" den Bau einer Schutzmauer - nun ist der Ort erneut überflutet

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In der sächsische Stadt Grimma richtete das große Hochwasser von 2002 über eine Viertelmilliarde Euro Schaden an: Mehr als 700 Häuser, Brücken und Straßen wurden teilweise komplett zerstört und zahlreiche Grimmaer hatte noch lange nach dem Ereignis unter Schlamm, Schimmel, kaputten Möbeln, Autos und Geräten, vernichteten Daten und bürokratischen Hürdenläufen zu leiden.

Elf Jahre später müssen erneut 2000 Bewohner der Altstadt von Grimma vor einem Hochwasser flüchten. Dabei hatte das sächsische Staatsministerium für Umwelt und Landwirtschaft 2003 von Ingenieuren ein Hochwasserkonzept erarbeiten lassen, das zwei Kilometer lange tief im Boden verankerte Schottenwände mit verschließbaren Toren vorsah, die die Stadt vor künftigen Fluten schützen sollten.

Altstadt von Grimma in der Trockenansicht. Foto: Joeb07. Lizenz: CC BY 3.0.

Laut Oberbürgermeister Matthias Berger wäre der Fluss "zu 100 Prozent draußen geblieben" wenn diese Mauer – wie eigentlich ursprünglich geplant – 2013 fertiggestellt gewesen wäre. Dass sie nicht fertig war, lag nicht an den 40 Millionen Baukosten (die der Freistaat Sachsen und die EU übernommen hätten), sondern vor allem daran, dass der Baubeginn verzögert wurde. Die Mauer "verschandelt" in den Augen von Denkmalschützern nämlich das Stadtbild. Darum, und weil sie den Blick ins Grüne verstellt, wurde das Anliegen von zwei Bürgerinitiativen bekämpft.

Die Gegner des Projekts reichten insgesamt fünf Klagen ein und sorgten dafür, dass 2005 "ergänzende Untersuchungen in den Bereichen Denkmalschutz und Städteplanung" durchgeführt werden mussten. Außerdem erarbeitete die TU Dresden eine "städtebauliche Einordnung […] um die Integration der Hochwasserschutzanlage in das Stadtbild zu ermöglichen und um denkmalpflegerische Aspekte zu berücksichtigen". All das führte dazu, dass die Talsperrenverwaltung mit dem Bau des aufwendigen Projekt erst fünf Jahre nach dem Hochwasser von 2002 beginnen konnte.

Der sächsische Ministerpräsident Stanislaw Tillich meinte nach dem Bekanntwerden der neuen Überflutung in Grimma zu Presse, er sei jetzt "dazu geneigt, die Mitbestimmung der Bürger bei so einem wichtigen Projekt außer Kraft zu setzen". FDP-Generalsekretär Patrick Döring schlug im Fernsehsender Phoenix in die gleiche Kerbe. Unerwähnt ließen beiden die staatliche und kommunale Denkmal- und Naturschutzbürokratie, die in den letzten Jahrzehnten extrem viel Verhinderungsmacht anhäufte und die dem Landestalsperrenverwaltungsleiter Axel Bobbe zufolge ebenso an den Verzögerungen schuld ist wie die Bürgerinitiativen (die sich in ihren Klagen zudem weniger auf Mitbestimmungsrechte als auf extrem unflexible Regelungen zum Denkmal- und Naturschutz stützen konnten).

Im Dorf Moos im bayerischen Landkreis Neuburg-Schrobenhausen, das ebenfalls überflutet ist, liegt das Problem an einer anderen unflexiblen Regelung: Hier kamen Experten schon vor Jahren zum Ergebnis, dass es aufgrund der Hochwassergefahr wirtschaftlich nicht vertretbar ist, die Häuser immer wieder neu zu sanieren. Die bayerische Staatsregierung entschloss den deshalb, den Bewohnern der Gemeinde hohe Absiedlungsprämien zu zahlen, wenn sie ihre Gebäude abreißen und woanders hinziehen. Im Vertrag mit der Gemeinde ist jedoch festgehalten, dass diese Prämie nur dann ausgezahlt wird, wenn sich ausnahmslos alle Bewohner schriftlich zu einer Absiedlung verpflichtet haben. Da sich bislang einige ältere Mooser trotz der ständigen Überflutungen nicht dazu entschließen können, bleiben auch viele jüngere aus finanziellen Gründen, obwohl sie eigentlich längst wegziehen wollen.

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