Höher, schneller, weiter: Olympische Spiele als Booster für die Stadt

Im National Aquatics Centre fanden 2008 in Peking die Schwimmwettbewerbe statt, 2022 werden hier die Curlingwettbewerbe ausgetragen. Dahinter das National Stadion, wo 2022 Eröffnungs- und Schlussfeier stattfinden. Bild: Angus / CC-BY-2.0

Seit 125 Jahren spielt Olympia eine gewichtige Rolle in der Stadtentwicklung – aber welche?

Was ist nicht alles in diesen großen Topf geworfen worden: Milliarden an Investitionsmittel, konzertierte Aktivitäten der politischen Entscheidungsträger, Vorfreude auf kompetitive Höchstleistung – und die Hoffnung auf eine kinetische Energie, die die ganze Welt in den Sog zieht.

Kein Zweifel, Peking hat seine Olympischen Spiele bereits 2008 mit der ganz großen Kelle angerührt. Und die nun beginnenden Winterspiele sollen dem nicht nachstehen. Es ist freilich nicht nur dem Corona-Virus zu verdanken, dass die hochgespannten Erwartungen mittlerweile einer gewissen Ambivalenz gewichen sind. Die Olympischen Spiele: Verbessern sie die örtlichen Lebensbedingungen? Oder sind sie – Rekorde hier, Wettbewerb dort – ein vorhersehbarer Flop?

Diese Frage lässt sich ohne Ressentiment kaum beantworten. Umso hilfreicher mag ein objektivierender Rückblick auf eine nunmehr gut 125-jährige Geschichte sein. Im Fokus soll der damit verbundene urbane Wandel liegen, wobei man freilich einräumen muss, dass die Sommerspiele hier die ungleich wichtigeren sind.

Pierre de Coubertin knüpfte in seinem Konzept Modernes Olympia vor allem an städtische Theorien des 19. und 20. Jahrhunderts an. Seine Vision war ein landschaftlich geprägtes Olympia, das die Entwicklung von Olympiaparks in sehr dichten Städten nach sich zog. Es war und ist eines der prägenden Konzepte für die Spiele.

Von 1896 in Athen bis 1904 in St. Louis gab es zwar kaum einen nennenswerten städtebaulichen Niederschlag, aber 1908 in London ließen sich doch erste Effekte erkennen: das White-City-Stadion und eine eigens geschaffene ÖPNV-Haltestelle. (Vom Furor der Inszenierung und der Monumentalität, mit der Berlin 1936 Olympia zelebrierte, schweigt hier des Sängers Höflichkeit.)

Das White City Stadium, London 1908. Bild: Public Domain

Mit Helsinki 1952 wurden die Spiele mehr und mehr ausgeweitet, viele Einrichtungen in die lokale Planungsagenda integriert und dafür gebaut. Alle Sportanlagen lagen in einem Landschaftspark. Dieser ländlich anmutende, innerstädtische Grünraum ermöglichte vor allem der Stadtbevölkerung, Freizeitsport zu treiben und Erholung in der Natur und Kleingartenanlagen zu finden. Es war zugleich die Geburtsstunde der Idee, das Olympische Dorf als Wohngebiet in Ergänzung des kommunalen Wohnungsbaus nach zu nutzen.

Rom schaffte es, mittels der Spiele den ÖPNV, Straßenbeleuchtungen und Wasserversorgungssysteme zu verbessern und zugleich seine Aufmerksamkeit auf den öffentlichen Raum zu richten. Und London 2012 setzte weniger auf solitäre Großarchitekturen, sondern integrierte die Olympiaplanungen in einen strategischen Regionalplan. Die Spiele sollten nachhaltig sein und vor allem einen Langzeitnutzen für die Stadt bieten – wobei deren Erfolgt indes fraglich bleibt.

Aquatics Centre und ArcelorMittal Orbit, London 2012. Bild: Cmglee / CC-BY-SA-3.0

Für jeden Austragungsort stellt die Veranstaltung mehr als nur die Organisation eines temporären Ereignisses dar: Die weltweite Beachtung und Medienwirksamkeit, der Einsatz von Sportgroßereignissen zur nationalen Repräsentation – in besseren Fällen auch als Mittel der Diplomatie – veranlasste die gastgebenden Städte schon immer zu außergewöhnlichen Anstrengungen, um sich möglichst positiv darzustellen und aus der Phalanx vergleichbarer Städte hervorzuheben.

Da in aller Regel das Bild der gebauten Stadt den ersten Werbeträger darstellt, tragen die Austragungsorte bei Planungen für Großereignisse dem Aspekt der Verschönerung und Verbesserung der Stadt besonders Rechnung.

Doch allzu oft sind sie dann unter den Druck kommerzieller oder sportpolitisch eng gefasster Interessen geraten. Geht es um eine stolze Leistungsschau oder um die Gewinnmargen der Unterhaltungsindustrie? So nimmt es nicht wunder, wenn Olympische Spiele auch die Frage nach der Darstellbarkeit gesellschaftlicher, politischer und kultureller Inhalte durch architektonische Formen aufwerfen.

Impulse und Nachnutzung: Beispiel München 1972

Gewiss, die großen Spiele haben in der Vergangenheit durchaus wichtige Impulse für den Urbanismus gegeben: Der Aspekt einer sinnvollen Nachnutzung bestimmte die Planungen und führte zum bewussten Einsatz des Festes als Mittel zur Stadtentwicklung.

Als prominentes Beispiel wäre hier etwa München 1972 zu nennen: Das Konzept der "Olympischen Spiele im Grünen" hatte zur Folge, dass die Architektur vom Standort der Grünanlagen bestimmt und dann in einem ikonischen Stadion umgesetzt wurde, das – wie auch das von Otl Aicher entwickelte Erscheinungsbild – weltweit für Furore sorgte.

Zeltdach des Münchner Olympiastadions mit Piktogrammen von Otl Aicher, 1972. Bild: Fortepan/Romák Éva / CC-BY-SA-3.0

Ein leistungsfähiges Verkehrsnetz (incl. einer neuen U-Bahnlinie) wurde aufgebaut, und alsbald war, ein enormer Reputationsgewinn, der Slogan von der "Weltstadt mit Herz" geboren. Kaum eine andere olympische Gastgeberstadt jedoch hat so sehr von der Ausrichtung der Spiele profitiert wie Barcelona 1992. Vor allem die Umstrukturierung des Stadtteils am Meer von einem mit Industriebetrieben und Lagerhallen zugebauten Gebiet zu einer attraktiven Wohngegend mit dem beliebten Stadtstrand hat auch dem Tourismus großen Auftrieb gegeben.

Durch die Spiele erweiterten sich die Hotelkapazitäten in der Stadt, sodass die Erhöhung der Besucherzahlen auch auf diesem Sektor gut aufgefangen werden konnte. Weitere Verbesserungen gab es bei der Verkehrsinfrastruktur. Kurz vor den Spielen eröffnete die Stadtverwaltung von Barcelona eine neue Ringstraße, die für eine wesentliche Verbesserung der Verkehrssituation und eine einfachere Verbindung mit den Vororten sorgte.

Auch andernorts sind bedeutende Veränderungen durch die Bauten auf dem Gelände oder begleitende infrastrukturelle Maßnahmen initiiert worden. Der Druck, den die Planung und die Durchführung der Großveranstaltungen erzeugten, beschleunigte Entscheidungen sowie die Bereitstellung und effektive Nutzung von Mitteln und Ressourcen. Dabei können zwei grundsätzliche Planungsansätze unterschieden werden, die gleichermaßen zu urbanistischem Erfolg führen mögen.

Für das große Ereignis werden Brachen oder neue Gebiete mit der Absicht gestaltet, diese in den Stadtkörper einzugliedern. Die Veranstaltungsgelände sollen den Anfangspunkt für einen neuen Entwicklungsschub der Stadt setzen. In anderen Fällen handelte es sich um großräumige, entscheidende Umgestaltungen und Erweiterungen bereits vorhandener Anlagen.

Es gibt also eine Bandbreite an Konzepten und Strategien, mit je spezifischen Vorteilen und Mängeln. Jedes Ereignis großmaßstäblicher Planung unterlag unterschiedlichen Randbedingungen – Ort, Zeit, politische und gesellschaftliche Interessen –, die nicht unmittelbar auf andere Städte übertragen werden können. Patentrezepte gibt es nicht.

Risiken für Nachhaltigkeit und Angemessenheit

Ob Nutzen oder Nachteile überwiegen, ist auch und nicht zuletzt eine weltanschauliche Frage. Es lassen sich dennoch einige konzeptionelle Ansätze herausfiltern, die Voraussetzung für den Erfolg einer olympischen Planung sein können.

Diesen stehen jedoch verführerische Konzepte und Ideen entgegen, die in der Gunst des außergewöhnlichen Ereignisses, der verkürzten Planungs- und Entscheidungsabläufe und den verbesserten Finanzierungsmöglichkeiten große Risiken für die Nachhaltigkeit und Angemessenheit der Maßnahmen in sich bergen:

1. Der (mediale) Erfolg der Veranstaltung versus nachhaltige Stadtentwicklung: Diejenigen Städte, die nicht über ein verbindliches und aktuelles Stadtentwicklungskonzept verfügten, laufen leichter Gefahr, mit ihren Planungen zu scheitern.

Eine Art Generalplan ist zwingend notwendig, um die großen Flächen zu integrieren, die langfristige Nutzung sicherzustellen und die verkehrlichen Probleme zu bewältigen. Konzepte, die langfristige Tendenzen der Stadtentwicklung unterstützen, zeigen sich in der Nachnutzung erfolgreich. Diejenigen, die eine Stadtentwicklung neu initiieren, sind ungleich riskanter.

2. Der große Plan versus kleiner, dezentraler und angemessener Planung für Ort und Mensch: Mit dezentralen Konzepten wird das Planungsrisiko über ein größeres Stadtgebiet verteilt und die Integration der Anlagen fällt leichter. Sollten Planungsvorstellungen scheitern, so bleiben die Auswirkungen räumlich begrenzt und haben weniger Wirkung auf das gesamte Stadtgebiet.

Auf differenzierte Entwicklungen kann schneller und flexibler reagiert werden. Wesentlicher Bestandteil dieser Konzepte muss eine leistungsfähige verkehrliche Verbindung sein. Dabei kann eine weitsichtige Wahl der Standorte und der Verkehrsmittel Defizite in der Verkehrsstruktur der Stadt beheben.

3. Der große Wurf versus Offenhalten von Optionen: Ein Konzept – und sei es als Bild noch so suggestiv –, das auf eine bestimmte einseitige Nutzung ausgerichtet ist, kann unrealisierbar werden, wenn sich die Voraussetzungen und Grundannahmen verändern. Allein wirtschaftliche Schwankungen können so ein in sich geschlossenes Planungsergebnis zunichtemachen.

Es liegt daher nahe, das zukünftige Nutzungsgefüge möglichst lange offen zu halten. Flächen, die eine gemischte Nutzung zulassen, bieten die besten Chancen. Die präferierte städtebauliche Struktur muss den Nachnutzungsvorstellungen entsprechen und ohne großen Aufwand anzupassen sein.

4. Die Lust am Fest versus Fest am rechten Ort: Was auch immer entworfen und gebaut wird an Sportstätten und -infrastrukturen, die kontinuierliche (Weiter-) Nutzung ist entscheidend.

Doch gerade bei den klassischen Olympischen Sportparks zeigt sich, dass zunehmend artfremde Ansprüche an diese Gebiete gestellt werden. In Sydney hat man bei den Spielen im Jahr 2000 in der Homebush Bay konsequenterweise gleich auf eine Kombination aus Sport und Ausstellung, Entertainment und Natur gesetzt.

Wie auch immer: Konsens und allererstes Anliegen jedes Veranstalters ist es, in den Blickpunkt einer größeren, wenn nicht der Weltöffentlichkeit zu rücken. Dass zunehmend eine zivilgesellschaftliche Auflehnung dagegen zu konstatieren ist – in Deutschland etwa bei den Versuchen, Sommerspiele nach Hamburg oder Winterspiele in die bayrischen Berge zu holen –, hat offenkundig bei Austragungswilligen andernorts nicht dazu geführt, die Chancen im Aufmerksamkeitsroulette neu zu überdenken.

"Festivalisierung der Stadtpolitik"

Im Dilemma zwischen wachsendem Konkurrenzdruck, wirtschaftlichen Zwängen und Anerkennungssehnsüchten scheinen Großereignisse wie Olympia eine Art Patentlösung zu bieten. Sie helfen, Gelder zu mobilisieren und einen – wie auch immer gearteten – Stadtumbau durchzusetzen. "Festivalisierung der Stadtpolitik" haben die Soziologen Hartmut Häußermann und Walter Siebel das genannt.

Dieses Diktum weist auf das hin, was hinter dem Großereignis steht: ein politisches und wirtschaftliches Schauspiel jenseits des Sports. Dem ist, wie man eher hofft denn erlebt, ein großes Publikum gewiss. Ob aber die längerfristig und nachhaltig geplanten städtebaulichen Strukturen wirkungsvolle Effekte bringen – das wird sich erst zeigen, wenn das propagandistische Gedöns sich gelegt hat.

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