Höhere Gewalt contra NATO-Manöver
Defender Europe 2020 in der Defensive, aber keine Entwarnung für den Kriegskurs - Ein Kommentar
"Derzeit hat die Ausweitung des Coronavirus keine direkten Auswirkungen auf das Übungsgeschehen" - das ließ die offizielle Bundeswehr-Website im Presse- und Informationszentrum der Streitkräftebasis am 12. März 2020 zum NATO-Manöver Defender-Europe 2020 verlauten, über das Telepolis bereits ausführlich berichtete
Angeblich sind die fünf Bundeswehrkrankenhäuser (in Berlin, Hamburg, Koblenz, Ulm und Westerstede) darauf vorbereitet, mit dem Coronavirus infizierte Militär-Patienten "nach den gültigen Richtlinien in Einzelisolierung behandeln zu können". Zusätzlich stelle jedes der Bundeswehrkrankenhäuser Plätze "für intensivpflichtig Coronavirus-Erkrankte" bereit. Wie viele das sind, wird bezeichnender Weise nicht mitgeteilt, doch "sollten diese Kapazitäten aufgrund erhöhter Fallzahlen nicht ausreichen", heißt es weiter, so lägen "Planungen vor, die eine Betreuung von weiteren Betroffenen ermöglichen. Ebenfalls geregelt sind mögliche personelle Unterstützungen in Spitzenzeiten durch Personal der Sanitätsregimenter."
Seit Tagen zeichneten sich bereits Rückzugstendenzen ab, die auf ein "Einfrieren" oder eine Reduktion der geplanten Maßnahmen hinweisen. Am 11. März kamen z.B. die ersten Meldungen, dass wegen der Ausweitung des Coronavirus die USA die Zahl ihrer Soldaten bei der militärischen Großübung auf dem bisher erreichten Stand von 5.500 Personen belassen würden. Der Gesundheitsschutz der eigenen Truppen sowie der Alliierten und Partner habe höchste Bedeutung, teilten die US-Streitkräfte mit; das Manöver werde der Lage angepasst. Der Bundeswehr-kritische Blog "Augen geradeaus!" brachte dazu nähere Informationen. Vor zwei Tagen erklärte das Pentagon, dass Militärangehörige ab sofort auf nicht unbedingt notwendige Reisen in Coronavirus-Risikogebiete verzichten sollen. Als ein solches Risikogebiet wird nach der jüngsten Aktualisierung der Liste des US-Center for Disease Control auch Deutschland genannt.
Mit den einseitig verhängten Einreiseverboten und der Beschuldigung Europas als Virenquelle, wie sie Trump am folgenden Tag verkündetet, hat sich dies natürlich weiter zugespitzt. Und auf jeden Fall zeigt sich im amerikanischen Vorgehen, was von der Mitteilung der Streitkräftebasis zu halten ist, alle Maßnahmen zum Schutz der Soldaten beim Manöver würden in enger Abstimmung mit den US-Streitkräften erfolgen. Es mag ja sein, dass Generäle hier Absprachen treffen, ihr oberster Chef macht aber gerade klar, dass er rücksichtslos im nationalen Interesse agiert und einseitig Entscheidungen trifft, die mit keinem Verbündeten abgesprochen sind.
Andere Manöver wurden bereits abgesagt, etwa Cold Response in Norwegen. Der Hauptteil der Übung sollte am 12. März starten. Kurz zuvor erklärte jedoch der Leiter des norwegischen Militärhauptquartiers: "Das Virus ist jetzt außer Kontrolle." Das Militärpersonal solle nicht zur Ausbreitung des Virus beitragen.
Heute wurde von USAREUR entschieden, dass die Verlegeoperationen von Defender Europe 20 und damit die Militärübung unter- oder abgebrochen werden. Es werden keine Schiffe mehr Kriegsmaterial entladen und keine weiteren US-Soldaten eingeflogen. Jetzt schreibt die Bundeswehr: "Die Verbreitung des Corona-Virus in Europa hat Auswirkungen auf die multinationale Verlegeübung DEFENDER-Europe 20. Nach aktuellen Angaben des US-Hauptquartiers USAREUR in Wiesbaden soll der Umfang der beteiligten US-Streitkräfte reduziert werden. …Mit wenigen Ausnahmen sind die Marschbewegungen der ersten Kontingente auf den Verlegerouten in Deutschland bisher abgeschlossen. Die meisten Truppenteile haben ihre Zielstandorte erreicht." Zeitnah soll entschieden werden, wie es weitergeht. Allerdings lautet der Titel: DEFENDER-Europe 20 mit reduziertem Truppenumfang.
Kein Grund zur Hoffnung
Im Verteidigungsausschuss des Deutschen Bundestags war am Mittwoch Defender-Europe Thema, wobei das Coronavirus aber noch keine Rolle spielte - weder von Seiten des Verteidigungsministeriums noch von Seiten der Abgeordneten, schrieb die taz. Die Linksfraktion hatte einen Antrag eingebracht demzufolge die Übung sofort abgebrochen werden sollte, denn die Truppenverlegung in Richtung russischer Grenze laufe "allen Bemühungen um Entspannung und Vertrauensbildung entgegen".
Das Virus brachten die linken Abgeordneten dabei nach eigenen Angaben bewusst nicht in die Debatte ein. "Wir wollen Corona nicht als Hilfsargument verwenden, sondern die friedenspolitischen Argumente in den Vordergrund stellen", so Linken-Obmann Alexander Neu.
Eine vernünftige Entscheidung, die in der Partei jedoch nicht von allen geteilt wird! Die Linke in Mecklenburg-Vorpommern z.B. hatte Ende Februar wegen der neuartigen Epidemie den Abbruch der gerade anlaufenden Nato-Großübung gefordert. Jede Ausbreitungsmöglichkeit müsse verhindert werden, forderte der Landesvorsitzende Torsten Koplin: "Wenn 36.000 Soldaten durch Europa transportiert werden, steigt die Gefahr für eine Epidemie mit Covid-19." USA und Nato sollten im Sinne der Gesundheit der Bevölkerung den Aufmarsch abblasen, erklärte der Landtagsabgeordnete.
Durch die jetzt erfolgte Zurücknahme des vollen Manöverumfangs würde natürlich die Kriegsplanung gegen Russland nicht revidiert, sondern höchstens verlangsamt. Denn um einen Kriegskurs handelt es sich bei der US-amerikanischen Aufrüstung, die gezielt atomare Kriegsführungsoptionen austestet, und es wäre fatal, wenn dies jetzt zugunsten der drohenden Umwelt- und Gesundheitsschäden, der Störungen des Verkehrs und der Schädigungen der Infrastruktur in den Hintergrund geraten würde. Insofern ist das Votum von MdB Neu zu begrüßen. Allerdings ist bei den bisherigen linken Stellungnahmen schon eine Verschiebung hin zu "Hilfsargumenten" festzustellen gewesen.
Im Antrag der Fraktion vom 11. Februar 2020 (DEFENDER 2020 stoppen - Keine Unterstützung für Militäraufmarsch an der russischen Grenze) hieß es z.B.: "Eine weitere schwere Hypothek des Manövers sind die Produktion an CO₂ und anderen schädlichen Klimagasen, wenn 3.5000 Militärfahrzeuge 4.000 km durch Europa bewegt werden, sowie die infrastrukturellen Schäden, die dabei für Länder und Kommunen entstehen werden. Über die geschätzten Gesamtkosten dieser Militäroperation für die Bundesrepublik schweigt sich die Bundesregierung aus."
Auch wenn nun die Übung unterbrochen wird, ist damit die militärische Aufrüstung nicht beendet. Und ein großer Rückschritt wäre es, wenn die in Gang gekommene Aufklärung kritischer Initiativen über das Manöver - das übrigens alles andere als "unnötig", sondern (siehe Nuclear Posture Review 2018 des Pentagon) integraler Bestandteil der neu aufgelegten nuklearen Kriegsführungsoption ist - als erledigt beiseitegelegt würde.