Hoffen auf Gespräche mit Syrien und Iran
Der Bericht der Iraqi Study Group enthält kaum Neues, markiert aber einen weiteren Schritt in einen Richtungswechsel der Irakpolitik, den aber US-Präsident Bush nun einleiten müsste
Der soeben in Washington veröffentlichte Bericht der unabhängigen Expertenkommission Iraq Study Group zur amerikanischen Irak-Politik bleibt vage, bietet aber einen Hoffnungsschimmer auf einen Kurswechsel.
Der heute morgen freigegebene Kommissionsbericht unter der Regie des Ex-Außenministers James Baker III. und des ehemaligen demokratischen Abgeordneten Lee Hamilton aus Indiana lässt zwar einen konkreten Abzugsplan vermissen, doch er ist immerhin das bislang wichtigste offizielle Dokument, das das Scheitern der amerikanischen Irakpolitik konstatiert und deshalb nach einer Veränderung oder zumindest Anpassung der Strategie an die Realität einfordert.
Die USA stünden dreieinhalb Jahre nach Beginn der Irakinvasion einer "ernsthaften und sich verschlimmernden" ("grave and deteriorating") Lage gegenüber, heißt es darin. Eine Erfolgsgarantie gebe es bei einer Änderung der Strategie nicht, aber die Aussichten könnten verbessert werden.
Der Report der "Iraq Study Group", der von mehreren Thinktanks (Baker Institute, Center for Strategic and International Studies und Center for the Study of the Presidency) gleichzeitig veröffentlicht wurde, ruft keinesfalls zu einem schnellen Truppenrückzug auf, sondern empfiehlt Truppenverlagerungen innerhalb des Irak. Das US-Militär solle schrittweise von Kampfeinsätzen Abstand nehmen und sich stattdessen auf die Unterstützung und Beratung der irakischen Sicherheitskräfte konzentrieren, lautet eine der Forderungen.
Bis Ende März 2008 könnten realistischerweise alle US-Brigaden, die bis dahin mit Kampfeinsätzen beauftragt waren, den Irak verlassen haben. Darüberhinaus müsse mehr Druck auf die irakische Regierung in Sicherheitsfragen ausgeübt werden. Falls die "Zentralregierung" in Bagdad sicherheitspolitischen Grundsätzen nicht nachkommt, sei es angebracht, ihr die Kürzung oder gar Streichung von militärischer und wirtschaftlicher Hilfe anzudrohen. Als dritte Säule, die dem Baker-Hamilton-Ausschuss zufolge zur Stabilisierung des Irak beitragen soll, wird eine regionale Irak-Friedenskonferenz vorgeschlagen, die zu Direktverhandlungen mit den "Schurkenstaaten" Syrien und Iran führen könnte.
Die Hauptempfehlungen des Berichts waren schon vor seiner Veröffentlichung durchgesickert, um die Öffentlichkeit auf den neuen Tonfall vorzubereiten, der die Debatte bestimmen wird. Am Sonntag hatte Bush seinen Chefsicherheitsberater Stephen J. Hadley in die drei meistgesehenen Programme des Frühstücksfernsehens entsandt. Aussagen über konkrete Schritte blieb Hadley zwar schuldig, doch er bemühte ein Dutzend Mal den Begriff "new way forward", den Bush höchstpersönlich "innerhalb einiger Wochen" ankündigen werde, und nahm damit zumindest die Stoßrichtung vorweg, die der Titel des Baker-Hamilton-Berichts vorgibt. Der US-Präsident hatte in den zurückliegenden Tagen mehrfach erklärt, dass er über die Empfehlungen der Kommission nachdenken werde. Aus Washington hieß es, der Bericht sei "keine Rebellion". Es gebe zwar Meinungsverschiedenheiten mit der Kommission, "doch Vieles, mit dem wir arbeiten können".
Die vorsichtigen Manöver des Weißen Hauses in Richtung auf einen Kurswechsel im Irak sind nicht nur eine Reaktion auf den Machtverlust der Republikaner in beiden Kongresskammern, sondern auch auf die Umfragetiefs in der amerikanischen Öffentlichkeit. Eine Erhebung des Harris-Instituts vom Montag ergab, dass das Misstrauen der Bevölkerung in die Washingtoner Irakpolitik so groß ist wie nie zuvor. 58 Prozent der Befragten meinen, dass die Situation für die US-Truppen im Irak "schlechter" werde, 27 Prozent meinen, "nichts" habe sich zum Besseren verändert. 71 Prozent halten Bushs Irakpolitik für "schlecht", und nur noch ein Drittel findet das militärische Vorgehen gegen den Irak im Nachhinein richtig.
Aus der Zahl der kursierenden Vorschläge, die zusätzlich zum Bericht der Baker-Hamilton-Kommission debattiert werden, ragt keiner mit konkreten Schlussfolgerungen heraus, einschließlich der Erklärungen, die von Seiten der amerikanischen Friedensbewegung abgegeben werden. Die Forderung nach einem sofortigen Truppenrückzug lässt zum Beispiel die Möglichkeit eines umfassenden Bürgerkriegs und der Interventionsinteressen der Regionalmächte wie des Iran, der Türkei oder Saudi-Arabiens unberücksichtigt. Organisationen wie die in New York ansässige Menschenrechtsvereinigung Madre erhoffen sich in erster Linie von der Empfehlung der Irakkommission, eine Regionalkonferenz einzuberufen, eine Abkehr vom Unilateralismus der Bush-Regierung.
Nicht zuletzt ist die Frage unbeantwortet, ob diese trotz allen Lobs auf die Baker-Hamilton-Kommission überhaupt zum Einlenken bereit ist. In der New York Times hieß es am Montag unter der Überschrift Will Bush Change on Iraq, dass sich die Regierung dafür wahrscheinlich zu viel Zeit lassen werde, um ihr Gesicht zu wahren. Einen "neuen Pfad vorwärts" im Irak zu finden, sei dann zu spät, der Morast, in dem sich das Land befinde, zu groß. Bush selbst sagte bei der offiziellen Übergabe des Berichts, dass die Regierung ihn „sehr ernst“ nehmen würde, auch wenn man vermutlich nicht alle Vorschläge beherzigen werde. In gewisser Weise zeigte sich der Ansatz zu einer neuen Haltung im Weißen Haus durch die Nominierung von Robert M. Gates als neuen Verteidigungsminister. Er ist wohl auch deswegen einstimmig in einem Senatsausschuss gestern bestätigt worden, weil er sagte, dass der Krieg für die USA nicht zu gewinnen sei.