Hollywood zieht sich aus Russland zurück. Oder doch nicht?

Seite 2: Ist Raubkopieren der einzige Ausweg nach Hollywood?

Zugleich zeigt sich in den letzten Monaten: Das russische Publikum ist nicht bereit, sich durch die Sanktionen des Westens aus dem globalen, von Hollywood-Produktionen dominierten popkulturellen Kontext abschneiden zu lassen.

Die Piraterie wurde daher zur einzigen praktischen Möglichkeit, Neuerscheinungen zu sehen und auf dem Laufenden zu bleiben. Inoffiziell ist es nämlich immer noch relativ problemlos möglich, neue Projekte von Hollywood-Studios auch auf großen Kinoleinwänden zu sehen.

Technisch gesehen funktioniert das derzeit so: Die Filmkopien stammen in diesem Fall von Torrent-Seiten. Zur Vorführung mietet jemand einen Kinosaal und zeigt dort den frisch heruntergeladenen Film auf der großen Leinwand. Denn praktisch gesehen kann derjenige, der einen Kinosaal mietet, dort tun und lassen, was er will.

Auf diese Weise war es in den letzten Wochen möglich, den bereits erwähnten "The Batman", aber auch "Top Gun: Maverick", "Doctor Strange in the Multiverse of Madness" und andere Filme in 127 im ganzen Land verteilten Kinosälen zu sehen.

Aber neue Gerüchte sind aufgetaucht: Laut dem russischen Verband der Kinobesitzer suchen Disney und Sony nach Möglichkeiten für den Parallelimport ihrer Filme.

"Sie können nicht offen erklären, dass sie mit Russland zusammenarbeiten. Aber viele von ihnen suchen nach Möglichkeiten, auf den russischen Markt zurückzukehren. Eine solche Option für die Studios wäre das Gesetz über die außervertragliche Nutzung von Rechten mit der Verpflichtung zur Zahlung einer Vergütung" - so vermutet eine zuverlässige Quelle aus Kreisen der russischen Kinobranche.

Das erinnert an die Geschichte des sowjetischen Märchenfilms "Sadko" (von 1953), der in den USA 1962, zur Hochzeit des Kalten Krieges, in einer synchronisierten, geringfügig umgeschnittenen Version herausgebracht wurde: unter dem Titel "The Magic Voyage of Sinbad".

Finanzielle und technische Fragen

Eine weitere Herausforderung, der sich die Kinos stellen müssen, ist eine Folge der weltweiten Digitalisierung der Vorführtechnik. Die technische Ausstattung der Kinosäle wurde im Ausland, vor allem in den USA, erworben. Dazu gehören die digitalen "Schlüssel", die Projektoren erst zum Laufen bringen.

Eines der empfindlichsten Elemente sind aber die Speziallampen für die Projektoren, deren Lebensdauer etwa sechs Monate beträgt. Es ist bis auf Weiteres nicht klar, wie man die Ausrüstung in einer Lage kaufen kann, in der Transaktionen zwischen russischen und ausländischen Banken unmöglich sind.

Schließlich: Die Ticketpreise. Die Hauptakteure der Branche geben vorerst nur vorsichtige Prognosen ab, gehen aber davon aus, dass sie gleich bleiben werden.

Das bedeutet eine weitere große Herausforderung, denn die Einspielergebnisse und Statistiken unterscheiden sich drastisch von denen des Vorjahreszeitraums. Zum Beispiel nutzen die Kinos aufgrund des Mangels an Inhalten nicht alle Säle aus. In der ersten Julihälfte hat das Einspielergebnis der russischen Kinos einen neuen Negativ-Rekord aufgestellt.

Es lag auf dem gleichen Niveau wie in den Monaten der Pandemie und des Lockdowns. Die Online-Nachfrage nach Kinokarten ging in der ersten Hälfte des Sommers um fast 35 Prozent zurück. Aufgrund fehlender Filme könnte die Zahl der geschlossenen Kinos bis zum Herbst etwa die Rate von 70 Prozent erreichen, so die Analysten der Firma CloudPayments.

Ob sich diese Vorhersage tatsächlich bewahrheitet, wird sich erst noch zeigen. Bis dahin muss das russische Publikum in der aktuellen Situation, ob es will oder nicht, einheimische Inhalte sehen oder zu einem Volk von Raubkopierern werden.

Anna Michel (Name geändert, die Autorin ist der Redaktion bekannt) lebt derzeit als freie Journalistin in Russland.