Hollywood zieht sich aus Russland zurück. Oder doch nicht?

Das Russland-Bild in Hollywood-Streifen mag nicht immer freundlich sein, aber beliebt sind sie bei Russen dennoch. Symbolbild: Peter Thomas auf Pixabay (Public Domain)

Russische Filmindustrie seit Beginn des Ukraine-Konflikts: Raubkopien, lokale Inhalte und technische Herausforderungen.

Die russische Filmindustrie befindet sich in diesen Monaten – kaum überraschend – in einem ziemlichen Aufruhr. Der politisch bedingte Rückzug Hollywoods aus dem russischen Markt, der sich daraus ergebende Mangel an US-Filmtiteln für die russischen Kinos und die dortigen Streaming-Plattformen haben gravierende Konsequenzen: In den Führungsetagen der russischen Filmbranche gibt es Pläne, sich grundsätzlich dem Fernen Osten und dem ostasiatischen Kinomarkt zuzuwenden.

Zugleich ist die Branche mit technische Problemen konfrontiert – und mit einer neuen Herausforderung durch die Frage nach dem Umgang mit Raubkopien. Aber wie schwierig ist die Situation wirklich? Und gibt es Hoffnung auf Besserung?

Hollywoods Soft Power

Alles hat im März begonnen, kurz nach Ausbruch der "Spezialoperation" des russischen Militärs. Mehrere große Hollywood-Studios (Universal Pictures, Warner Bros., Sony, Disney, Paramount Global usw.) gaben bekannt, dass sie die Veröffentlichung ihrer neuen Filme in den russischen Kinos aussetzen.

Zu den ersten "gestrichenen" Titeln gehörten die bereits fest geplanten Blockbusterstarts der neuesten Version von "Batman" mit Robert Pattinson, "Morbius" mit Jared Leto, "Phantastische Tierwesen: Die Geheimnisse von Dumbledore", der neue "Sonic the Hedgehog" und anderen. Die russischen Kinokassen hatten gerade begonnen, sich nach den Pandemiejahren ökonomisch zu erholen, da wurde diese überraschende Situation zu einer neuen, schwierigen Herausforderung.

Russland war in den letzten Jahren zwar nicht der größte Auslandsmarkt Hollywoods. Im letzten vorpandemischen Jahr 2019 lag es aber in den Top Ten der ausländischen Einspielergebnisse, wenn auch weit hinter China, Japan und Südkorea, ebenso hinter Großbritannien. Die USA hatten viele Jahre lang hart daran gearbeitet, ihre Präsenz in der russischen Unterhaltungsindustrie zu etablieren und auszubauen.

Hinzu kommt der nicht zu leugnende große kulturelle Einfluss: Die Bewunderung, Faszination und Nachahmung der Standards und der Ästhetik des Hollywood-Films durch russische Filmemacher und Zuschauer. Damit wurde das Hollywood-Kino zu einer wichtigen Soft Power, die die russische Gesellschaft und Freizeitgestaltung in vielerlei Hinsicht beeinflusst hat. Hollywood-Projekte dominierten in den russischen Kinos: Amerikanische Filme hatten dort bis zu 80 Prozent der Einspielergebnisse erzielt.

Eine interessante Frage jenseits aller ökonomischen Themen ist daher: Wenn wir Hollywood als eine Soft Power des amerikanischen Kulturimperialismus in der russischen Kultur begreifen – was werden dann die Konsequenzen aus der aktuellen Situation sein?

Werden die USA dauerhaft kulturellen Einfluss verlieren? Werden die Vereinigten Staaten und Hollywood nun den Kulturkrieg verlieren? Um ehrlich zu sein, ist das wenig wahrscheinlich. Denn die Bewunderung für alles, was aus Hollywood kommt, ist ungebrochen groß.

Die Masse des Publikums verharrt nur in Wartestellung und hofft auf die schnelle Rückkehr der US-Amerikaner. An dem Tag, an dem es in Russland wieder Hollywood-Kino zu sehen gibt, werden alle Vorstellungen ausverkauft sein. Besonders für Blockbuster, Superheldenfilme und alles, worin irgendwelche Stars mitspielen.

Neu, wiederholt oder alt?

Die Kinos haben weiterhin geöffnet. Jetzt aber müssen die Kinos ihre Programmpläne mit den Titeln füllen, die sie haben. Im Zuge der Anpassung an diese neue Realität setzen die Kinos verstärkt auf künstlerisch bedeutende "Festivalfilme" und Autorenkino, auf neue russische Projekte, Wiederveröffentlichungen, Retrospektiven und Sondervorführungen – breit gezeigt wird also alles das, was normalerweise ein Schatten- und Nischendasein führen würde.

Das russische Publikum hat bereits zum zweiten Mal die bittersüße Alkoholkomödie "Another Round" von Thomas Vinterberg (der Titel ist ironisch passend zur augenblicklichen Situation), "Snowpiercer" von Bong Joon-ho, "The Father" von Florian Zeller und "Only lovers left alive" von Jim Jarmusch gesehen.

In naher Zukunft werden in den Kinos auch Wiederaufführungen von "Nymphomaniac: Vol. II" von Lars von Trier, "The Hunt" von wiederum Thomas Vinterberg, der Dokumentarfilm "Metallica Through the Never" und alle Teile von "The Expendables" gezeigt.

Zu den jüngsten europäischen "Premieren" gehörten Titel, die 2021 auf europäischen Filmfestivals gezeigt wurden. Die meisten von ihnen wurden von kleinen, unabhängigen oder Arthouse-Filmstudios gedreht: "The worst person in the world", "Drive my car", "Men" (alle wurden in verschiedenen Jahren in Cannes gezeigt), "Wolf" (Toronto), "Official Competition" (Filmfestival Venedig) und andere.

Hinzu kommen Retrospektiven von Größen des Autorenfilms: So vom sowjetischen Regiehelden Andreij Tarkowski, vom einflussreichen russischen Filmemacher Alexander Sokurow, seinem jüngeren Kollegen Alexey German, aber auch vom Schweden Ingmar Bergman, die ebenfalls bereits stattfanden.

Aber ohne Zugang zu neuen Hollywood-Produktionen stellt sich auf mittlere Sicht die Frage: Sind die Russen, die es gewohnt sind, amerikanische und europäische Blockbuster zu sehen, auch bereit, sich stattdessen Filmen aus Asien, Indien oder Lateinamerika zuzuwenden?

Projekte aus diesen Regionen haben ihre thematischen Besonderheiten, ihre eigene Atmosphäre und ihre spezielle Dynamik, die für Durchschnittszuschauer sehr ungewöhnlich sind und für Russen allzu exotisch wirken könnten, um sie auf breiter Ebene zu konsumieren und anzunehmen.

Erste Tendenzen einer anonymen, unabhängigen Umfrage unter Kinobesuchern stimmen die Kinobranche allerdings optimistisch. Danach sind 40 Prozent der befragten Russen an koreanischen Filmen interessiert, an lateinamerikanischen immerhin noch 32 Prozent, an indischen 19 und an chinesischen zehn Prozent.