Hongkong: Demonstranten versuchen Überwachung auszuschalten

Bild: May James/HKFP (Hong Kong Free Press)

Begonnen haben sie mit Regenschirmen, jetzt gehören Gasmasken und Taucherbrillen zur Standardausrüstung. Überwachungslaternen werden zerstört

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Heute sind trotz des Demonstrationsverbots wieder Tausende in Hongkong auf den Straßen. Zu Auseinandersetzungen kam es vor dem Parlament und vor dem Verbindungsbüro der chinesischen Regierung. Dort hatte die Polizei Absperrungen errichtet, die von den Demonstranten angegangen wurden. Die Polizei reagiert mit Tränengas und Wasserwerfern, die blaues Wasser spritzten. Unklar ist, ob damit Menschen markiert werde sollten oder ob irgendwelche Wirkstoffe enthalten waren. Im Geschäftsviertel errichteten Demonstrierende in einer Straße eine Barrikade und entzündeten ein großes Feuer. Gestern waren kurzzeitig mehrere Aktivisten und Politiker festgenommen worden, was die Wut eher befeuert haben dürfte.

Die Polizei schreitet mit Tränengas und Wasserwerfern ein. Die Proteste in Hongkong sind auch deswegen interessant, weil die Demonstrierenden einer massiven Überwachung ausgesetzt sind. China ist Pionier der Überwachung des öffentlichen und virtuellen Raums. Deswegen riskieren sie, werden sie auf Bildern von Überwachungskameras identifiziert, dass sie festgenommen und bestraft werden. Die Proteste begannen denn auch als Widerstand gegen ein Gesetz, das die Auslieferung von Angeklagten nach China ermöglicht hätte. Das Gesetz wurde zwar ausgesetzt, aber noch nicht zurückgezogen.

Schon 2014 war es zu Massenprotesten gekommen, weil China die Kandidaten zur Wahl des Hongkonger Verwaltungschefs festlegte, sie also nicht mehr demokratisch gewählt, sondern nur noch zwischen vorgegebenen Kandidaten entscheiden konnten. Es entstand die Regenschirm-Bewegung, da sich die Protestierenden mit Regenschirmen gegen Pfefferspray, Tränengas und Regen schützen, aber damit auch ein vereinendes Symbol schufen, das auch vor der Erkennung durch Kameras einen gewissen Schutz bot.

Die Regenschirme waren eine erste Aufrüstung, die auch dieses Jahr zum Einsatz kommen, vor allem um die Gesichter vor Überwachungs- und Polizeikameras zu verbergen, bei denen zunehmend Gesichtserkennung eingesetzt wird. Überdies werden Laserpointer gegen Kameras eingesetzt, um diese zu blenden. Gesichter werden mit Mundschutz- und Gasmasken sowie Taucherbrillen verdeckt, die gleichzeitig vor Tränengas und die Augen vor Gummigeschossen und Bean Bags schützen. Digitale Spuren werden mit Wegwerfhandys und mit Barzahlung etwa bei Benutzung der Verkehrsmittel verwischt.

Vermummungsverbot gefordert

Letztlich zwingt die ausufernde Überwachung die Opposition zu einer Art der Islamisierung, also der Verschleierung oder Burkaisierung, um Gesichter der Identifizierung und sich damit der Kriminalisierung zu entziehen. Dabei geht die Gefahr nicht nur von staatlichen Überwachungskameras aus, sondern auch von den mobilen Geräten der Protestierer selbst, mit denen sie sich gegenseitig aufnehmen und die Bilder ins Netz stellen. Dazu kommen Bildreporter, die Aufnahmen machen und diese publizieren. Aufnahmen, die in der Öffentlichkeit zirkulieren, dienen ebenso wie Aufnahmen von Überwachungskameras dazu, Menschen zu erkennen und zu verfolgen.

Politiker der prochinesischen Partei Democratic Alliance for the Betterment and Progress of Hong Kong (DAB) fordern bereits ein Maskenverbot. Das würde dazu beitragen, die gewalttätigen Proteste zu beenden. Eine solche Gesetzgebung gebe es auch in westlichen Ländern. Der DAB-Politiker Gary Chan Hak-kann meinte, Forschung hätte dort gezeigt, dass Vermummte eher gewalttätig würden. So dient etwas das Vermummungsverbot in Deutschland, Österreich, Italien oder den USA dazu, ein Maskenverbot in Hongkong zu legitimieren.

Auch Burka-Verbote im öffentlichen Raum wie in Frankreich waren Trittbretter für allgemeine Vermummungsgebote ("Niemand darf in der Öffentlichkeit Kleidung tragen, die dazu bestimmt ist, das Gesicht zu verbergen"). Der DAB-Abgeordnete Holden Chow Ho-ding erklärte, in den westlichen Ländern helfe das der Polizei, "das Recht angemessen durchzusetzen und Menschen abzuschrecken", gewalttätig zu werden. Es sollte aber Menschen, die an friedlichen Protesten teilnehmen oder die aus religiösen oder gesundheitlichen Gründen Masken tragen, ausnehmen.

Das dürfte kaum handhabbar sein, würde der Willkür Tür und Tor öffnen und dient letztlich doch dem Zweck auch friedliche Protestteilnehmer zur Identifizierbarkeit zu zwingen. Zudem nimmt man den Menschen den Schutz vor Tränengas oder Gummigeschossen. Immer wieder, auch heute, kam es zu Vermutungen, dass sich als Demonstranten verkleidete und maskierte Polizisten unter die Menge mischen, um Personen festzunehmen oder als agent provocateur zu wirken. Und natürlich sind die Polizisten mit ihrer Ausrüstung ebenfalls unkenntlich. Demonstranten verlangen, dass ihre Nummern deutlich erkennbar sein sollten.

Kampf gegen smarte Straßenlaternen

In letzter Zeit haben die Demonstranten auch zunehmend damit begonnen, Straßenlaternen mit Elektrosägen umzukippen oder die Leitungen zu kappen. Die Regierung hatte 50 smarte Straßenlaternen, ausgerüstet mit Kameras, weiteren Sensoren etwa für Luftverschmutzung und Wetterdaten, Mikrofone und Internetanbindung, im Juli aufstellen lassen, als die Proteste begonnen hatten.

Demonstranten stürzen smarte Lanternen um. Bild: HKFP (Hong Kong Free Press)

Angeblich sollen die Kameras nicht mit Gesichtserkennung ausgestattet sein, es sollen auch keine Gesichter und persönliche Daten gespeichert werden, die Kameras sollen im Rahmen des Ausbaus des Smart-City-Projekts der Verkehrsüberwachung dienen, die Daten nicht der Polizei weitergegeben werden. Nach den ersten Protesten wurde zudem versichert, dass die Funktionen ausgeschaltet worden seien, mit denen die Geschwindigkeit der Autos gemessen und die Autokennzeichen abgelesen werden. Überdies sollen die Kameras nicht dazu dienen, Müllsünder zu entdecken. Insgesamt 400 dieser smarten Laternen will die Regierung aufstellen und verspricht, die Orte und die Funktionen öffentlich zu machen.

Menschen in Hongkong misstrauen allerdings der Regierung und gehen davon aus, dass sie damit ausgespäht werden sollen, wie das China mit den Uiguren macht. Die Regierung wiederum geißelt das Vorgehen gegen die Überwachungslaternen als technologie- und innovationsfeindlich und nennt die Kritik "Verschwörungstheorie".

Gut möglich, dass sich mit wachsender Überwachung der Überwachungsluddismus verstärkt. Immer wieder gibt es denn auch Forderungen, auch im digitalen Raum ein Vermummungsverbot durchzusetzen, also eine Realnamenpflicht einzuführen und die Anonymität abzuschaffen. Noch kann man mit Proxy-Servern, VPNs oder Tor anonym im Netz unterwegs sein.

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