Humanitäre Katastrophe im Irak
Flüchtlinge aus Ramadi werden blockiert, schiitische Milizen heizen den Konflikt auf und bieten dem IS Propagandamunition
Die Vereinten Nationen weisen auf die steigende Zahl von Opfern im einst von den USA mit ihrer Koalition der Willigen "befreiten" Irak hin. Im Mai wurden 1.031 Iraker, davon 665 Zivilisten durch Terroranschläge, Gewalt oder Kämpfe getötet und 1.684 verletzt. Verantwortlich sei dafür vor allem der Islamische Staat. Im Irak finde eine der komplexesten humanitären Krisen auf der Welt statt. Die Zahl der Menschen, die lebenserhaltende Hilfe benötigen, habe sich im letzten Jahr mit jetzt 8 Millionen vervierfacht, seit Januar sind 2,9 Millionen Menschen vertrieben worden.
Und die Vereinten Nationen haben hier wie anderswo, auch in der Ukraine, nicht genügend Geld, um die Hilfe zu leisten, und weniger als 40 Prozent der erforderlichen Mittel erhalten. Für das nächste halbe Jahr würden 500 Millionen US-Dollar benötigt. Dazu wird eine Kampagne gestartet. "Die humanitäre Situation im Irak ist nahe an einer Katastrophe. Wir benötigen dringend zusätzliche Mittel, um die Hilfe fortzusetzen", so Philippe Heffinck von Unicef.
Besonders die Kämpfe um die Stadt Ramadi, die von den IS-Kämpfern eingenommen wurde, und in der gesamten Provinz Anbar haben die Lage weiter verschärft. Fast 240.000 Menschen seien aus Anbar vertrieben worden oder geflüchtet. "Tausende wurden getötet und verletzt", sagte der Leiter der UN-Irak-Mission UNAMI Ján Kubiš gestern, "manchmal auf die schrecklichste Weise." Allerdings ist Bagdad die blutigste Region. UNAMI betont, dass die Opferzahlen nur das "absolute Minimum" darstellen, es dürften sehr viel mehr sein. Zudem würden Menschen auch in sekundärer Folge der Gewalt und Vertreibung aufgrund Wasser- und Nahrungsmangels, fehlender Medizin und medizinischer Behandlung sterben.
Zwischen 15. und 29. Mai seien mehr als 100.000 Menschen aus dem Bezirk Ramadi vetrieben worden. 62 Prozent blieben in Anbar, auch deswegen, weil die irakische Regierung sie nicht nach Bagdad oder in die Provinz Babylon Babil reisen lässt. Nach einem Bericht der Menschenrechtsorganisation HRW sind daher Tausende in Anbar gestrandet, wo sie vom IS weiter bedroht sind, aber auch von schiitischen Milizen. An dem Kontrollpunkt, einer Brücke, sollen jetzt wieder Menschen durchgelassen werden, aber nur diejenigen, die jemanden aus Bagdad haben, der für sie garantiert. Flüchtlinge, die es nach Bagdad geschafft haben, sollen dort angegriffen und bedroht worden sein. Auch die Kurden haben den Zugang zu ihren Gebieten für Flüchtlinge teilweise gesperrt.
In Anbar soll der IS während der vergangenen Woche 400 Kinder verschleppt haben. Nach Informanten blockiert der IS die Zugangsstraßen in die Provinz und treibt die irakischen Sicherheitskräfte weiter von Ramadi in die Naxchbarprovinzen zurück. Danach dürfte Ramadi nicht so schnell wieder zurückerobert werden, wie die irakischen Sicherheitskräfte mitsamt den schiitischen Milizen angekündigt haben. Nach dem irakischen Militärkommando sollen allerdings die Streitkräfte alle Straßen nach Ramadi gesperrt haben, während die schiitischen Milizen bei Falludscha kämpfen sollen. Der irakische Regierungschef Haider al-Abadi will heute während eines Treffens der Anti-IS-Koalition unter der Führung der USA in Paris vorstellen, wie Ramadi wieder eingenommen werden soll. Geplant ist, sunnitische Stämme zum Mitkämpfen zu finden und die schiitische Milizen streng unter das militärische Oberkommando der Regierungstruppen zu stellen. Bislang hatte die US-Regierung Druck ausgeübt, die von Iran aus gesteuerten schiitischen Milizen möglichst nicht an vorderster Front in sunnitischen Gebieten kämpfen zu lassen, weil die Milizen bekannt dafür sind, mitunter nicht weniger grausam gegen ihre Gegner und auch sunnitische Zivilisten, die sie für Gegner halten, vorzugehen wie der Islamische Staat.
Gerade kursieren Videos in den Sozialen Netzwerken, die zeigen soll, wie einige Mitglieder von al-Hashed al-Shaabi, einer auch Popular Mobilization Forces genannten Dacheinheit von verschiedenen schiitische Milizen, die von der irakischen Regierung letztes Jahr geschaffen und legitimiert wurde, einen über einem Feuer hängenden Mann verbrennen.
Während der IS seine Tötungsorgien cool und für die Kamera inszeniert, sind die hier in einem schlecht aufgenommenen Video posierenden Übeltäter freudig über das gestimmt, was sie einem anderen an Grausamkeiten zufügen. Das Video soll in Dijla, nordöstlich von al-Karma in Anbar, gemacht worden sein. Schon zuvor war von einem ähnlichen Vorfall bei der Rückeroberung von Tikrit berichtet worden. Abadi hatte befohlen, dass die Milizen aus Tikrit abziehen sollen. Offenbar sind sie aber, wie auch das irakische Kommando berichtet, in Anbar zugange.
Für den Islamischen Staat ist das Video gern gesehene Propaganda und wird auch über Twitter verbreitet: "This is what shia rats are doing to muslims "Burning" But as always no 1 spoke about it Wait until we revenge", heißt es etwa. So kann sich der IS als der Schützer der Sunniten aufspielen.