Humor ist, wenn man trotzdem lacht

Erstaunlicherweise sind es momentan vor allem die Komiker selbst, von denen die sinnvollsten Aussagen zur Böhmermann-Thematik stammen

Der folgende Beitrag ist vor 2021 erschienen. Unsere Redaktion hat seither ein neues Leitbild und redaktionelle Standards. Weitere Informationen finden Sie hier.

In der sogenannten "Causa Böhmermann" avancieren zahlreiche Leute plötzlich zu Rechts- und Kunstexperten. Solche Auslassungen scheinen ferner niemals auszukommen ohne einen Verweis oder zumindest eine Andeutung auf dieses zu Tode zitierte Fazit des Tucholsky-Textes, dass Satire alles dürfe - oder eben nicht, wie manche meinen.

Der promovierte Jurist betrachtete seiner Zeit die Satire jedoch aus einem moralischen Blickwinkel - Rechtsbegriffe wird man dort vergeblich suchen. Dass man sich in Humordebatten gerne auf Tucholsky beruft, ist einigermaßen konsequent, denn wie die gesamte heutige "Comedy"-Landschaft war auch er die meiste Zeit seines Schaffens ein engagierter Vulgärsatiriker, der gerade deshalb so zitierfähig ist.

Seine Schrift über die Satire ist keineswegs eine tiefgreifende oder intelligente Betrachtung. Dort geht es beispielsweise um den "Charakter" des Künstlers und um die "blutreinigend(e)" Wirkung der Satire. Dass die Satire alles dürfe, bezieht sich bei Tucholsky ferner nur auf den "guten politischen Witz", womit der Allgemeinheit der Aussage viel von ihrer scheinbaren Kraft genommen ist. Eigentlich gibt es in dem ganzen Traktat nur einen Satz, der etwas Wichtiges enthält: "Vor allem macht der Deutsche einen Fehler: er verwechselt das Dargestellte mit dem Darstellenden."

Man muss Böhmermann nicht mögen, sollte aber doch versuchen, ihm als Komiker - das selbst ist ja schon ein Schimpfwort - gerecht zu werden. Seine Inszenierung ist zwar nicht unbedingt "ein brillanter Hegelscher Schachzug", wie es Martin Muno von der Deutschen Welle behauptet, aber dass es sich ganz klar um eine "manifeste" oder "formelle Beleidigung" handle, wie der Hamburger Strafrechtler und Rechtsphilosophen Professor Reinhard Merkel für den NDR zu Protokoll gibt, dürfte so sicher auch noch nicht sein. Fest steht: Wie bekanntlich die Unwissenheit schützt auch ein Satire-Vorbehalt nicht einfach vor Strafverfolgung oder Verurteilung. Eher spräche dies im Zweifelsfall sogar für einen Vorsatz.

Auf den Kontext kommt es an

Momentan dreht sich die Debatte um §103 des Strafgesetzbuches: "(1) Wer ein ausländisches Staatsoberhaupt oder wer mit Beziehung auf ihre Stellung ein Mitglied einer ausländischen Regierung, das sich in amtlicher Eigenschaft im Inland aufhält, oder einen im Bundesgebiet beglaubigten Leiter einer ausländischen diplomatischen Vertretung beleidigt, wird mit Freiheitsstrafe bis zu drei Jahren oder mit Geldstrafe, im Falle der verleumderischen Beleidigung mit Freiheitsstrafe von drei Monaten bis zu fünf Jahren bestraft."

Der zugrunde liegende Straftatbestand ist also die Beleidigung, welche unter dem §185 StGB gefasst ist und deren Verbindung zur "Schmähkritik", welche aber in den meisten Fällen eher den Paragrafen 186 und 187, also üble Nachrede und Verleumdung, zuzuordnen wäre, da sie gegenüber Dritten geäußert wird. Über die Schmähkritik hat sich das Bundesverfassungsgericht anlässlich des sogenannten Zwangsdemokraten-Beschlusses im Jahre 1990f. folgendermaßen geäußert:

Eine Meinungsäußerung wird nicht schon wegen ihrer herabsetzenden Wirkung für Dritte zur Schmähung. Auch eine überzogene und selbst eine ausfällige Kritik macht für sich genommen eine Äußerung noch nicht zur Schmähung. Eine herabsetzende Äußerung nimmt vielmehr erst dann den Charakter der Schmähung an, wenn in ihr nicht mehr die Auseinandersetzung in der Sache, sondern die Diffamierung der Person im Vordergrund steht. Sie muß jenseits auch polemischer und überspitzter Kritik in der Herabsetzung der Person bestehen.

Bundesverfassungsgericht

Genau darüber wird ein Gericht unter Umständen zu befinden haben: Galt die Inszenierung vorrangig ernsthaft dem türkischen Präsidenten Erdoğan oder trägt sie einen Überschuss in sich, die das Gedicht rechtfertigt? Dazu folgende Anmerkung: "Eine ausschließliche Beachtung des Wortlautes ist nicht ausreichend, denn jeder Wortlaut kann aufgrund der vorliegenden Situation variieren. Dabei ist der Sinn aufgrund der Begleitumstände und des gesamten Zusammenhangs, in dem die Kundgabe steht, zu bestimmen", wie es in zahlreichen juristischen Kommentierungen heißt.

Eine Schmähkritik meint ernst, was sie von sich gibt. Zum gesamten Zusammenhang gehört jedoch im hier vorliegenden Fall durchaus auch die Person Böhmermann als Kunstfigur und der Charakter seiner Sendung. Hierbei muss man den Narren des Öffentlich-Rechtlichen dann aber zugutehalten, dass sie im allgemein zumindest ein Niveau pflegen, das sie tatsächlich dazu berechtigt, sich wie Böhmermann über solche Hanseln des Privatfernsehens wie Joko und Klaas zu echauffieren.

Das Gedicht ist, sofern es aus jeglichem Kontext gerissen wird, selbstverständlich absolut keine juristische Gratwanderung. Auf den Kontext kommt es in diesem Fall jedoch vor allem an. So wäre erst einmal zu beachten, wie Kabelka in der Sendung die Schmähkritik definierte: "Wenn du Leute diffamierst. Wenn du einfach nur so untenrum argumentierst, ne? Wenn du die beschimpfst und wirklich nur bei privaten Sachen, die die ausmachen, herabsetzt." Dass das infantile Gedicht dann wortwörtlich unter die Gürtellinie geht und den türkischen Präsidenten als pädo- und zoophil, homosexuell, sadomasochistisch, schlechtbestückt etc. pp. beschreibt, ist doch zumindest Indiz dafür, dass hier irgendetwas vorliegt, das sich eventuell durchaus auf die Kunstfreiheit nach Paragraf 5 des Grundgesetzes berufen kann.

Durchaus denkbar bleibt, dass das Gedicht "Schmähkritik" als fiktive Beleidigung anerkannt wird, schon da diese Äußerungen als deutlich aus dem sonstigen "Kontext" oder "Niveau" der Sendung herausfallend erkennbar sein sollten. Dann hätte Böhmermann eher bewusst fahrlässig statt vorsätzlich gehandelt, was juristisch eine nicht ganz unbedeutende Differenz ausmacht, und es handelte sich um eine bewusste Überspitzung, die notwendig war, um echte oder vermeintliche Gratwanderungen, also jenen angeblich "guten politischen Witz" Tucholskys, nicht künstlich in die Nähe der Schmähkritik zu rücken - so verweist Böhmermann schließlich selbst auf das Lied "Erdowie, Erdowo, Erdogan" des Satiremagazins Extra3, mit welchem die ganze "Causa" schließlich begann.