Hunger im Klimawandel

Seite 2: Kampf um Subventionen und Definitionen

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Die Subventionsgelder Brüssels fließen somit vor allem in Regionen, in denen eine intensive, industrielle Landwirtschaft betreiben wird, während Anbaugebiete mit hoher Artenvielfalt und einem geringen Ausstoß von Treibhausgasen benachteiligt würden, berichtete die Süddeutsche Zeitung unter Verweis auf entsprechende Studien im vergangenen August.

Die Zahlungen, die Landwirte erhielten, die sich um den "Erhalt der Artenvielfalt", um Klima- und Umweltschutz kümmerten, seien viel zu gering: Bei rund 54 Milliarden Euro an Subventionen, die alljährlich an landwirtschaftliche Betriebe ausgezahlt würden, seien nur "vier Prozent ausdrücklich für klima- und umweltfreundliche Produktionsmethoden vorgesehen", bemerkte etwa die Süddeutsche.

Dennoch feierte Bundeslandwirtschaftsministerin Klöckner im vergangenen Oktober die europäische Agrarreform als einen Durchbruch zu einer ökologischen Transformation. Worin soll nun der von Klöckner bejubelte "Systemwechsel" eines in Jahrzehnten von der europäischen Agrarlobby geformten Subventionsregimes bestehen?

Ein Teil der Direktsubventionen an die Agrarunternehmen soll nun an die Teilnahme an Klima- und Umweltschutzprogrammen gekoppelt werden, die im Brüssler Fachjargon passenderweise als Eco-Schemes bezeichnet werden. Das europäische Parlament einigte sich auf einen Öko-Anteil von 30 Prozent bei diesen Direktsubventionen, der aber bei den darauf folgenden Verhandlungen auf Agrarministerebene aufgrund fleißiger Lobbyarbeit des europäischen Agrarverbandes Copa-Cogeca auf 20 Prozent gedrückt werden konnte.

Schon die Vorlage des EU-Parlaments, die einen Kompromiss der Konservativen, Sozialdemokraten und Liberalen bildet, wurde von der Eurofraktion der Grünen kritisiert. Die Teilnahme an diesen Programmen ist für die Bauern freiwillig, sie verlieren aber bei einer Verweigerung die entsprechenden Gelder. Zudem gelten diese Bestimmungen nicht etwa ab dem kommenden Jahr, sondern erst ab 2023, weil die derzeitigen Regelungen schlicht verlängert wurden - hierbei diente die Pandemie zur Legitimierung dieses Aufschubs.

Schließlich hat es die Agrarlobby geschafft, eine zweijährige Übergangszeit zu erwirken, in der die Annahmebereitschaft der Ökoprogramme durch die Agrarunternehmen eruiert werden solle. Die Folge: Anstatt ab 2021, wird die Ignorierung der Eco-Schemes erst ab dem Jahr 2025 tatsächlich zu Einnahmeausfällen bei den europäischen Agrarbetrieben führen.

Doch entscheidend ist in diesem Zusammenhang, was unter dem Label der "Eco-Schemes" verkauft werden wird, die von Klöckner & Co. als Einsteig in den "Systemwechsel" gefeiert werden. Und hier scheinen der Fantasie der EU-Länder keine Grenzen gesetzt. Den Mitgliedsstaaten der Europäischen Union soll es in den kommenden Jahren nämlich weitgehend freistellt werden, wie sie die entsprechenden Umwelt-Programme konkret ausgestalten.

Schließlich fungieren die EU-Subventionen oftmals auch als politisches Schmiermittel, um reaktionäre Machtstrukturen in postdemokratischen Peripheriestaaten - etwa im Ungarn Orbans - durch eine entsprechende Günstlingswirtschaft funktionsfähig zu halten. Daran wird sich somit bis auf Weiteres nichts ändern, da beispielsweise Orbans Landwirtschaftsminister künftig sich seine eigenen Eco-Schemes ausdenken kann, um die Klientel der ungarischen Rechtspopulisten weiterhin mit europäischen Subventionen zu versorgen.

"Weitermachen" - bis zum Kollaps von Ökosystemen

Selbst die FAZ bemerkte hierzu, dass der EU buchstäblich die Zeit davonlaufe, da Brüssel bis 2030 den Ausstoß von Treibhausgasen eigentlich um 55 Prozent absenken wolle - da könne doch der Agrarsektor nicht bis 2025 "weitermachen wie bisher".

Was dieses "weiter so" konkret bedeutet angesichts einer europäischen Agrarpolitik, die sich nahezu total der destruktiven Scheinrationalität kapitalistischer Verwertungsinteressen unterordnet, macht eine Meldung des Fachblattes Top-Agrar deutlich, wonach etwa auf der Schwäbischen Alb ein drastischer Insektenrückgang von 97 Prozent festgestellt worden sei. Entomologen warnten vor einem Kollaps des gesamten Ökosystems.

Als Ursache wurden die Folgen der "industriellen Landwirtschaft" benannt, deren Fortbestand von der Brüssler Agrarlobby bis 2027 gesichert wurde: Monokulturen, jahrzehntelanger, exzessiver Einsatz von Pestiziden, weitflächige Überdüngung, bei der die Sonderabfälle der europäischen Fleischfabriken als Dünger auf den Feldern entsorgt werden, sowie die zunehmende Flächenversiegelung.

Ohne Insekten bricht aber ein großer Teil der Nahrungsmittelversorgung zusammen, da die Produktion von rund einem Drittel aller Nahrungsmittel von der Bestäubung durch Insekten - zu 80 Prozent durch Bienen - abhängig ist. Spätestens dann wird sich ja herausstellen, ob man Agrar-Subventionen auch essen kann.

Von Tomasz Konicz erschien zu diesem Thema im Mandelbaum Verlag das Buch Klimakiller Kapital. Wie ein Wirtschaftssystem unsere Lebensgrundlagen zerstört.