Hungerstreik gegen Öcalans Haftbedingungen in kritischer Phase

Seite 2: Friedliche Lösung der Kurdenfrage in weiter Ferne

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Im Juni 1999 wurde Öcalan wegen Hochverrats zum Tode verurteilt. Später wurde dies in eine lebenslange Haftstrafe umgewandelt wurde. Seitdem sitzt Öcalan im Gefängnis auf der abgeschirmten Gefängnisinsel Imrali im Marmarameer. Die meiste Zeit ist er dort in Isolationshaft.

Über 700 Besuchsanträge von Angehörigen und Anwälten wurden seither abgelehnt, seit 2011 dürfen auch seine Anwälte ihn nicht mehr besuchen. Anfang des Jahres durfte sein Bruder Mehmet ihn nach zweieinhalb Jahren für 7 Minuten sehen. Die Isolationshaft wurde nur zwischen 2013 und 2015 unterbrochen, als der türkische Geheimdienstchef, Hakan Fidan und Vertreter der Partei HDP ihn im Rahmen von Friedensgesprächen besuchten.

2013 ordnete Öcalan einen einseitigen Waffenstillstand an, 2015 rief er in einer Newroz-Botschaft die Menschen auf, den nunmehr 40-jährigen Krieg zu beenden. "Es sei an der Zeit, die grausame und zerstörerische Geschichte zu beenden und eine Ära des Friedens, der Brüderlichkeit und der Demokratie zu beginnen", wird er zitiert.

Als Erdogan merkte, dass seine AKP von der HDP als populärer linker Partei um die absolute Mehrheit im Parlament gebracht werden könnte, kündigte er 2015 die Friedensgespräche einseitig auf. Seitdem tobt im Südosten der Türkei wieder der Krieg zwischen türkischem Militär und der PKK-Guerilla: Menschenrechtsverletzungen durch die türkischen Militärs sind seither an der Tagesordnung. Soldaten wie Guerillas werden in einem Krieg aufgerieben, den das türkische Militär seit über 35 Jahren nicht gewinnen kann.

"Festzuhalten ist, dass die Türkei es versäumt hat, eine friedliche Lösung der Kurdenfrage zu fördern. Nach dem militärischen Sieg über die PKK im Jahr 1999 und noch mehr nach dem Antritt des islamistischen Regierungschefs Erdogan hatte die Türkei die einmalige Gelegenheit, eine dauerhafte Lösung der Kurdenfrage auszuhandeln. Aber das hat sie nicht geschafft, teils wegen ihrer inneren Machtkämpfe und teils wegen Erdogans eigener Agenda", stellt der griechische Sicherheitsexperte Spyridon Plakoudas fest, der mehrere Werke über den PKK-Konflikt verfasst hat und derzeit an der Amerikanischen Universität in Dubai lehrt.

Wer ist Abdullah Öcalan?

Die einen nennen ihn "Führer der PKK", was in Deutschland mit Blick in die Geschichte nicht gut ankommt. Die anderen nennen ihn "Chef der PKK", was auch nicht korrekt ist, da er durch die Isolationshaft keine Verbindung zur Führungsriege der PKK hat. "Repräsentant" passt mittlerweile wohl am Besten, denn er repräsentiert die ideologische Richtung der kurdischen Arbeiterpartei.

Die konkrete Politik gestalten längst andere. "Ideologischer Ideengeber" wäre auch noch eine Bezeichnung, die ihn angemessen würdigen würde. Schließlich war er es, der das Konzept des "Demokratischen Konföderalismus" für den Nahen Osten und die Abkehr von der Forderung auf einen kurdischen Staat formuliert hat. Einem kurdischen Staat erteilte er eine klare Absage, auch wenn dies gerne von den gleichgeschalteten türkischen Medien und von Teilen der deutschen Medien behauptet wird.

Ein kurdischer Staat würde nur einen neuen Despoten hervorbringen, argumentiert Öcalan.

Über die letzten Jahrzehnte hinweg haben die Kurden nicht nur gegen die Unterdrückung durch die herrschenden Mächte und für die Anerkennung ihrer Existenz gekämpft, sondern auch für die Befreiung ihrer Gesellschaft von der Umklammerung des Feudalismus. Demzufolge ergibt es wenig Sinn, alte Fesseln durch neue zu ersetzen oder sogar die Unterdrückung zu verstärken (...) Aus diesem Grund ist für mich die Gründung eines kurdischen Nationalstaates keine Option.

Abdullah Öcalan, Demokratischer Konföderalismus

Der gescheiterte Versuch des feudal-konservativen ehemaligen Präsidenten Masud Barsani einen unabhängigen Kurdenstaat im Nordirak zu erzwingen, hat Öcalan recht gegeben. Stattdessen scheint sich das Modell Rojava in Nordsyrien zum Erfolgsmodell zu entwickeln.

Dieses Modell des "Demokratischen Konföderalismus" wurde von Öcalan aus dem Gefängnis heraus entwickelt und basiert auf den Ideen des 2006 verstorbenen US-Philosophen Murray Bookchin. Es basiert im wesentlichen auf drei Säulen: "Rätedemokratie", Gleichstellung der Geschlechter und Ökologie. Öcalan befasste sich im Gefängnis viel mit Philosophie und Geschichte und verfasste umfangreiche geschichtsphilosophische Studien über Mesopotamien - von der klassenlosen mesopotamischen Urgesellschaft über den sumerischen Priesterstaat bis zur heutigen Zeit.

Zur heutigen Rolle Öcalans sagt der an der Sehir-Universität in Istanbul lehrende, kurdische Professor Mesut Yegen: "Auf jeden Fall spielt er noch eine Rolle, eine sehr wichtige Rolle. Wenn die Türkei und die PKK eines Tages wieder Verhandlungen aufnehmen wollen, dann könnte er es sein, der eine Einigung vermittelt. Die Tatsache, dass weder der türkische Staat noch die PKK ihm die Schuld am Zusammenbruch des Friedensprozesses gegeben haben und dass keine der beiden Seiten ihn anschwärzt, deutet für mich darauf hin, dass beiden Seiten bewusst ist, dass sie ihn eines Tages wieder in dieser Rolle brauchen könnten."

Doch davon, dass die türkische Regierung diese Chance wahrnimmt, kann nicht die Rede sein. Dass sich am Samstag der Tag der Verhaftung von Öcalan zum zwanzigsten Mal jährte, war Grund genug für die türkische Regierung, um an diesem Tag 735 (!) Personen festzunehmen: 685 Personen wurden bei Hausdurchsuchungen festgenommen und 50 Personen bei Protestaktionen. Von den Festgenommenen wurden 61 Personen verhaftet, 226 freigelassen und 448 Personen befinden sich noch immer in Polizeigewahrsam.