Hurra, der (Pseudo-) Aufschwung ist da!
Man nehme: Statistische Tricks, eine fantasievolle Bilanzführung, schuldenfinanzierte Konjunkturprogramme und Billionen zur Generierung einer erneuten Spekulationsblase - und schon ist die Weltwirtschaftskrise scheinbar überwunden
Rechtzeitig vor der Bundestagswahl schreiben Deutschlands Meinungsmacher den „Exportweltmeister“ aus der Rezession. Spiegel-Online sieht Deutschland bereits aus der Rezession wanken, das Handelsblatt bejubelt ein Wirtschaftswachstum von 0,3 % im zweiten Quartal 2009 und die Financial Times Deutschland diskutiert bereits darüber, wie „wir“ die Krise besiegten. Auch in den Vereinigten Staaten sieht die amerikanische Notenbank Fed ein Ende der Rezession, da dort die Industrieproduktion im Juli um 0,5 % gegenüber dem Vormonat anstieg. Für das dritte Quartal dieses Jahres wird sogar ein Wachstum von drei bis vier Prozent erwartet.
Die FTD sieht die amerikanische Industrie sogar vor einem spektakulären Comeback, nachdem diese aggressiv Arbeitsplätze abgebaut und nun ihre Produktivität im Schnitt um über fünf % gegenüber dem ersten Quartal 2007 erhöht habe. Auf die Idee, dass es gerade die rasant steigende Produktivität der Industrie war (Explosionsartige Ausweitung der Finanzmärkte in der Clinton-Ära), die letztendlich zur Ausbildung des finanzmarktgetriebenen - und Spekulationsblasen generierenden - Kapitalismus in den letzte Jahrzehnten beitrug, kommen Finanzjournalisten selbstverständlich nicht. Selbst amerikanische Wirtschaftsmedien warnen derzeit vor den Auswirkungen eines „jobless growth“, eines Wirtschaftswachstums ohne Arbeitsplatzwachstum, das nur kurzfristig aufrecht erhalten werden kann:
However, other recent reports are warning of a jobless recovery, which could result in lackluster growth in the coming quarters, especially with some 70 percent of the U.S. economy dependent on consumer spending.
Wenn überhaupt, so findet man erst auf den hinteren Zeitungsspalten Hinweise darauf, dass der Arbeitsplatzabbau noch weiter voranschreiten werde, oder dass Konjunkturrisiken noch fortbestehen. Keine einzige meinungsbildende deutsche Zeitung titelte beispielsweise, dass im selben Zeitraum, in dem eine Konjunkturerholung von 0,3 % gegenüber dem Vorquartal bejubelt wurde, Deutschlands BIP ebenfalls um 7,1 % fiel – zum Vorjahreszeitraum wohlgemerkt. Kein einziger deutscher Meinungsmacher hielt es für angebracht, seinen Lesern mitzuteilen, dass dies der stärkste Konjunktureinbruch in der deutschen Wirtschaftsgeschichte ist, der jemals im Jahresvergleich statistisch erfasst wurde. Inzwischen bleibt es engagierten Internetblocks wie beispielsweise dem wirtschaftquerschuss vorbehalten, darauf hinzuweisen, dass bei dieser „mehr als nur unkritischen Sichtweise“ der Massenmedien ein „sehr schwaches Quartal bewusst in ein Rezessionsende umgedeutet“ werde.
Das muntere Raten geht weiter
„Schönreden, schönfärben“, kreative Buchführung und versagende Ratingagenturen hätten maßgeblich zur Verschärfung der Krise beigetragen, konstatiert der wirtschaftquerschuss. Haben wenigstens die letztgenannten ihre Lektion aus der Krise gelernt?
Wie die Frankfurter Allgemeine Zeitung (FAZ) am 28. Juli meldete, nimmt sich die Ratingagentur Standard & Poor's (S&P) „mehr Zeit“ für die erneute Überprüfung ihres Bewertungsverfahrens, nachdem sie massiver Kritik aus der Finanzbranche ausgesetzt war. Die neuen Regeln waren den Emittenten der Wertpapiere einfach zu streng! Es drohten „Massen-Abstufungen“ von Wertpapieren, die auch Schwergewichten wie der Europäischen Zentralbank „nicht willkommen“ seien, wenn diese ihre Bestwertung von AAA verlieren sollen, berichtete die FAZ. Nochmal im Klartext: Die Ratingagenturen werden nun kritisiert, weil ihre neuen Bewertungskriterien zu streng sind!
Wie die auf Druck der Finanzbranche erneut überarbeiteten Bewertungsregeln aussehen werden, wird vielleicht anhand einer Episode aus dem vergangenen Juli ersichtlich. Nachdem S&P etliche Kreditverbriefungen für Gewerbeimmobilien (CMBS) auf die Note BBB- herabstufte, musste die Ratingagentur am 24. Juli nach massiver Kritik zurückrudern und diesen wiederum die Bestnote AAA vergeben. Anleger, die die von S&P herabgestuften CMBS zuvor gekauft hätten, seien „auf unfaire Art bestraft“ worden, zitierte die FAZ einen Citigroup-Banker. Der CMBS-Markt hätte sich jüngst etwas erholt, weil Papiere mit hoher Bonität von Investoren im Rahmen eines staatlichen Kreditprogramms gekauft worden seien, so die FAZ weiter. Dieser Aufschwung sei nun in Gefahr.
Inzwischen ist auch klar, dass auch das grundsätzliche Geschäftsmodell der Agenturen unangetastet bleibt. Die Emittenten der Wertpapiere werden die Agenturen weiterhin für die Bewertung bezahlen. Gerade dieser Interessenkonflikt, in denen die Ratingagenturen geraten, wurde für die massenweise Überbewertung von Schrottpapieren während der Spekulationsblase auf dem Immobilienmarkt verantwortlich gemacht! Um den - vom Steuerzahler subventionierten - Handel mit all den toxischen „Wertpapieren“ nicht zu gefährden, dürfen diese natürlich nicht entsprechend ihres Werts als Finanzmüll bewerten werden. Das Auftauchen der „eingefrorenen“ Finanzmärkte kann nur vermittels systematischen Selbstbetrugs gelingen.
Blinde Bankenbilanzen
Wenn es um die Ausgestaltung Potemkinscher Dörfer geht, lassen sich allerdings die Banken von niemandem überbieten. Bereits im vergangenen Oktober lockerte die Europäische Union im Eilverfahren die Bilanzregeln für die Finanzinstitute, um so ausufernde Notverkäufe und eine drohende Börsenpanik zu verhindern. Die EU-Kommission räumte den Banken und Versicherungen die Möglichkeit ein, „Wertpapiere in ihren Büchern zum Kaufpreis zu verbuchen, der oft viel höher liegt als der derzeitige Marktwert“, wie es damals pietätsvoll Springers Welt formulierte formulierte.
Die „gelockerten“ Bilanzregeln wurden rückwirkend wirksam, so dass beispielsweise die Deutsche Bank nur dank dieser kreativen Buchführung im Zeitraum Juli bis September 2008 an die 414 Millionen Euro Gewinn ausweisen konnte – ansonsten hätte sie 900 Millionen Euro an Abschreibungen vornehmen müssen. Im Endeffekt legalisierte die EU-Kommission einen Straftatbestand, nämlich die Überbewertung von Aktivposten, der einstmals zur Nichtigkeit einer Unternehmensbilanz führte.
Aus dieser Ad-hoc-Maßnahme, die ähnlich in den USA umgesetzt wurde, wird nun neues Bilanzrecht geformt. Bereits im April 2009 hob der amerikanische Bilanzierungsrat auf Drängen des Kongresses die fundamentale Bilanzregel auf, wonach ein Unternehmen nur das in die Bilanz hineinschreiben darf, was es am Markt erzielen kann. Laut Financial Times Deutschland (FTD) geben die neuen Leitlinien den „US-Instituten mehr Spielraum, bei der Bewertung ihrer Ramschpapiere vom aktuellen Marktwert (Fair Value) abzuweichen“.
Mitte Juli gab ebenfalls die europäische Bilanzorganisation IASB dem politischen Druck – auch aus Deutschland - zur Schönfärberei nach und lockerte die Bilanzierungsregeln. Europa und Amerika lieferten sich einen regelrechten „Wettstreit“, wer den Finanzinstituten „beim Bewerten von Problem-Papieren und Krediten am meisten“ entgegenkomme, witzelte die FTD. Bei vielen Finanzinstituten dürfte es sich somit nur noch um lebende Tote handeln, um Zombies des untergegangenen, finanzmarktgetriebenen Kapitalismus, die nur dank der legalisieren Bilanzfälschung noch am Leben erhalten werden. Scheinbar kann der Kapitalismus nur noch funktionieren, indem er seine eigenen Rentabilitätskriterien außer Kraft setzt.
Zu dieser neuen Phase der betriebswirtschaftlichen und statistischen Schönfärberei muss man selbstverständlich noch die „klassischen“ Verzerrungen in den Statistiken hinzuzählen, wie sie beispielsweise bei der Inflationsrate oder der Arbeitslosigkeit in den letzten Jahrzehnten sukzessive und planmäßig forciert worden. Es ist eigentlich schon seit Jahren ein offenes Geheimnis, dass beispielsweise die deutsche Arbeitslosenstatistik massiv manipuliert ist und Millionen von Arbeitslosen nicht mehr erfasst werden. Wie man sich die Inflationsrate zurecht lügen kann, erläuterte jüngst Paul Craig Roberts, ehemals stellvertretender Finanzminister in der Reagan-Administration. Das Zauberwort lautet „Substitution“:
The Consumer Price Index no longer measures a constant standard of living and is not comparable to pre-Clinton periods. During the 1990s, the CPI ceased to be based on a weighted fixed assortment. The principle of substitution was introduced. For example, under the old measure, if the price of steak rose, the CPI rose. Under the new measure, if the price of steak rises, the index switches to hamburger on the assumption that consumers substitute hamburger for steak.
Paul Craig Robert: How Fake is the "Recovery"?
Konjunkturpropaganda, statistische Tricks oder die legalisierte Bilanzfälschung der Banken können aber die derzeit zu beobachtende, zumindest zeitweilige Stabilisierung der Weltwirtschaft nicht gänzlich erklären. Neben der BRD und den USA meldete beispielsweise auch das schwer gebeutelte Japan zwischen April und Juni 2009 ein Wachstum von 0,9 % gegenüber dem Vorquartal. China hingegen, wo das BIP im zweiten Quartal dieses Jahres um 7,9 % hochschnellte, gilt ohnehin inzwischen als die „Lokomotive“ der Weltwirtschaft.
Staatsfinanzierter Aufschwung
Des Rätsels Lösung findet sich in den massiven staatlichen Konjunkturprogramm, die weltweit von den führenden Industrienationen gestartet worden. Die staatlichen Programme, die zur Aufrechterhaltung des stotternden kapitalistischen Konjunkturmotors aufgewendet werden, erreichten auf globaler Ebene tatsächlich enorme Dimensionen. Das Kieler Institut für Weltwirtschaft (IfW) beziffert den weltweiten Umfang der staatlichen Konjunkturhilfen auf rund drei Billionen US-Dollar. Dieser gigantische staatliche Nachfrageschub entspricht laut IfW ca. 4,7 % des Welteinkommens.
Die Vereinigten Staaten haben mit Aufwendungen in Höhe von 972 Milliarden US-Dollar das größte Konjunkturprogramm aufgelegt, das circa 35 % der globalen Gesamtausgaben umfasst. Dieser in zwei Konjunkturgesetzen vom Februar und Oktober 2008 verabschiedete Nachfrageschub entspricht beeindruckenden 7,1 % des amerikanischen BIP. In Relation zur eigenen Wirtschaftsleistung werden aber diese Aufwendungen von dem chinesischen Konjunkturpaket weit in den Schatten gestellt. Die 586 Milliarden US-Dollar, die Peking insgesamt zur Stützung der Wirtschaft aufwendet, entsprechen sage und schreibe 14 % des chinesischen BIP – und tragen maßgeblich zu dessen weiteren, rasanten Anstieg bei. China ist somit für 20 % der globalen staatlichen Konjunkturausgaben verantwortlich.
Die wirtschaftlichen Stimulierungsmaßnahmen der EU und Japans erreichen immerhin noch einen Anteil von jeweils circa 15 % an den weltweiten staatlichen Konjunkturausgaben. Aufgrund des unterschiedlichen Bruttoinlandsprodukts ergibt sich aber eine ganz anders zu gewichtende Auswirkung dieser Aufwendungen. Die 468 Milliarden US-Dollar des japanischen Konjunkturprogramms entsprechen circa neun % der Wirtschaftsleistung im „Land der aufgehenden Sonne“, während die von den europäischen Einzelstaaten und der Europäischen Investitionsbank aufgelegten Stimulierungsmaßnahmen gerade mal 1,6 % des BIP aller Mitgliedsländer der Europäischen Union betragen.
Angesichts dieser teilweise gigantischen Aufwendungen scheint ein Wirtschaftswachstum, wie es beispielsweise in Japan oder den USA realisiert wurde, doch äußerst bescheiden. Selbst das rasante Wachstum Chinas relativiert sich unter Berücksichtigung der enormen – 14 % des BIP umfassenden! - Konjunkturspritze. Immerhin äußern viele Ökonomen die Einschätzung, dass die meisten Konjunkturmaßnahmen erst ab Jahresmitte zu greifen beginnen. In der gesamten EU aber, die ja - in Relation zum BIP - sehr niedrige Stützungsmaßnahmen initiiert hat, kann selbst ein Wachstum im Promillebereich nicht realisiert werden. Die Industrieproduktion sank im Juni in den Mitgliedsstaaten der Europäischen Union um 0,2 % zum Vormonat, die Industrieaufträge gingen sogar um 0,46 % zurück.
Gestern hat die EU-Kommission eine Mitteilung mit dem Titel Rezession nahezu überwunden, Unsicherheit jedoch weiter hoch veröffentlicht:
Mit der teilweise auf energischen konjunkturpolitischen Maßnahmen beruhenden Stabilisierung der Weltwirtschaft wurde der Rückenwind im Sommer stärker. Im zweiten Quartal 2009 verringerte sich der Rückgang des BIP in der EU dank verbesserter Finanzierungsbedingungen gegenüber dem Vorquartal von 2,4 % auf 0,2 %. Da der Lagerhaltungszyklus sich an einem Wendepunkt befindet und das Vertrauen in fast allen Sektoren und Staaten wächst, sind die kurzfristigen Aussichten nun günstig.
Auf der Grundlage dieser Trends wurden die Wachstumsprojektionen für das zweite Halbjahr 2009 in der Prognose der Kommission leicht nach oben korrigiert. Gleichwohl wird für das Gesamtjahr 2009 infolge der nach unten korrigierten früheren Prognosen für 2008 und das erste Quartal 2009 weiterhin von einem Rückgang des BIP um 4 % sowohl in der EU als auch im Euroraum ausgegangen.
EU-Mitteilung
Offensichtlich findet nur dort eine konjunkturelle Erholung statt, wo die konjunkturellen Aufwendungen des Staates hoch genug sind. Überdies profitieren exportabhängige Länder wie Deutschland und Japan von den Konjunkturprogrammen anderer Volkswirtschaften.
Verstaatlichung der Defizitkonjunktur
Klar ist aber auch, dass hier im globalen Maßstab eine „Verstaatlichung“ der vormals durch private Verschuldung betriebenen globalen Defizitkonjunktur stattgefunden hat. In den vergangenen Dekaden haben sich vor allem die US-amerikanischen – aber auch die spanischen, irischen, osteuropäischen und britischen - Konsumenten heillos verschuldet, durch diese ihre private Defizitbildung zusätzliche Nachfrage generiert und so die Konjunktur befeuert. Mit dem Zusammenbruch dieses schuldenbasierenden ökonomischen Perpetuum mobile übernehmen die Staaten etlicher Industrieländer vermittels der staatlichen Defizitbildung diese konjunkturelle Funktion. Die 4,7 % des Welteinkommens umfassenden Konjunkturpakete, von denen das IfW sprach, entsprechen auch einer staatlichen Verschuldung von 4,7 % des Welteinkommens.
Langfristig ist solch eine staatlich betriebene Defizitkonjunktur nicht durchzuhalten. Einer Analyse der Europäischen Zentralbank zufolge werden die Staatsschulden der Länder der Europäischen Union in 2010 im Schnitt auf 80 % des BIP steigen. „Die Budgetdefizite werden sich dieses Jahr mehr als verdoppeln - von 2,3 % der Wirtschaftsleistung auf 6 %“, zitierte die FTD aus dem Bericht. In den USA erwartet man inzwischen eine Verdopplung der staatlichen Verschuldung auf neun Billionen US-Dollar bis 2019, was in etwa Dreiviertel der Wirtschaftsleistung dieser größten Volkswirtschaft der Welt entspräche (Die Mutter aller Blasen). Auch Deutschland geht von einer Neuverschuldung in diesem Jahr von bis zu 80 Milliarden Euro aus. Legendär ist hingegen bereits die japanische Staatsverschuldung, die nahezu 200 % des dortigen BIP erreicht (Erst Hyperdeflation, dann Hyperinflation?).
Einzig China kann seine konjunkturellen Aufwendungen aus der Portokasse bezahlen, da das Reich der Mitte mit umgerechnet 2,2 Billionen US-Dollar über die weltweit größten Devisenreserven verfügt. Diesen ungeheuren Dollarberg, der zum großen Teil aus US-Staatsanleihen besteht, baute China vor allem dank seiner Handelsüberschüsse mit den sich immer weiter verschuldenden USA auf.
Auf zur nächsten Spekulation!
Was wäre solch ein schuldenfinanzierter Aufschwung ohne eine ordentliche Aktienmarktrallye? Egal ob DAX, Dow-Jones oder Nikkei – monatelang schon steigen die wichtigsten Indizes in immer neue Höhen. Ironischerweise wird dieser Aufschwung an den Aktienmärkten auch noch mit der sich auffallenden Konjunkturlage erklärt, die ja vor allem durch schuldenfinanzierte Konjunkturprogramme entstand.
Auch für diese Aktien-Hausse wurden astronomische Summen aufgewendet. Tatsächlich lassen die Beträge, die zur Reanimierung der darniederliegenden Finanzmärkte aufgewendet werden, selbst die globalen Konjunkturaufwendungen als bloße „Peanuts“ erscheinen. Diese weltweite Aktienmarkthausse erweckt somit den Anschein, als ob diese billionenschweren Stützungs- und Hilfsmaßnahmen für das Weltfinanzsystem, die von etlichen Regierungen rund um den Globus hektisch aufgelegt worden, tatsächlich ihren Zweck erfüllt hätten.
In gewisser Weise trifft das ja auch zu. In einem viel beachteten Bericht kommt der Marktanalyst Andy Xie zu der Schlussfolgerung, dass die „Zentralbanken der Welt“ vermittels ihrer expansiven Geldpolitik eine neue Liquiditätsblase geschaffen haben. Diese manifestiere sich „zuerst in steigenden Rohstoffpreisen, dann in den Aktienmärkten und zuletzt in einigen Immobilienmärkten“, erläuterte Xie unter besonderer Berücksichtigung der Entwicklung in China. Radikal gesenkte Leitzinsen seitens der Zentralbanken, vor allem der amerikanischen Fed, wie auch wegfallende Beschränkungen bei der Kreditvergabe in China, hätten zu diesem Boom maßgeblich beigetragen.
Insbesondere der chinesische Finanzmarkt scheint Anzeichen einer spekulativen Überhitzung aufzuweisen. Ende August brach der Leitindex in Shanghai um mehr als 20 % binnen kürzester Zeit ein. Diese Panik war durch Ankündigungen der chinesischen Regierung ausgelöst worden, die expansive Geldpolitik zu revidieren, die in Reaktion auf die Weltwirtschaftskrise von Peking Ende 2008 forciert wurde. Chinas Banken haben in der ersten Jahreshälfte 2009 umgerechnet 760 Milliarden Euro an neuen Krediten ausgereicht. Laut FTD war somit die Kreditvergabe im Reich der Mitte dreimal so hoch wie im Vorjahreszeitraum. Ein erheblicher Teil dieser Gelder wurde nicht investiert, sondern floss in Spekulationen bzw. den Konsum. Es drohen somit Kreditausfälle, aber auch spekulative Exzesse auf den Aktien- und Immobilienmärkten.
Dieser monetäre Kurs in China und den USA erinnert fatal an die Reaktionen der Geldpolitik nach dem Platzen der Spekulation mit Hightechaktien in 2000 (Dot-Com-Blase). Damals senkte ebenfalls die amerikanische Federal Reserve massiv die Zinsen, um durch die so geschaffene Liquidität die Spekulationsblase auf dem Immobilienmarkt zu schaffen. Dieses 2001 vollführte geldpolitische Manöver wird inzwischen als der Great Bubble Transfer, der große Spekulationsblasen-Transfer, bezeichnet.
Etwas Ähnliches scheint sich also auch derzeit anzubahnen. Nur nehmen diesmal die Staaten – hier vor allem die USA – eine zentrale Rolle bei der Wiederbelebung der Blasensbildung ein. Gerald Celente, Direktor des Trends Research Institute, bezeichnete das derzeitige Manöver im Gespräch mit dem Fernsehsender CNBC als eine regelrechte „Bailout Bubble“, eine durch die Rettungsmaßnahmen der Regierung initiierte Spekulation:
Wir sehen gerade eine Bailout-Blase, die viel größer ist als die Dot-Com-Blase und die Immobilienblase, aus die wir rauszukommen versuchen. ... Das ganze ökonomische System wird derzeit umstrukturiert. ... Die Politik hat 12,8 Billionen US-Dollar in der Pipeline, um ein scheiterndes System aufrechtzuerhalten.
Gerald Celente
Da aber die US-Regierung nun eine dermaßen starke Position innerhalb der Finanzinstitution habe, werde es keinen weitere Blasenbildung geben können, erläuterte Celente: „Wenn diese Blase platzt, wird man sie nicht erneut inflationieren können, weil die Regierungsintervention so tief reicht.“ Die nahezu 13 Billionen US-Dollar, die Regierung und Notenbank in den USA in Form von Krediten und Garantieren zur Stützung des Finanzsektors bislang aufgewendet haben, bilden nicht einmal das Ende der Fahnenstange.
Die Wirtschaftsquerschüsse zitierten aus einem Bericht an den US-Kongress, der eine theoretisch maximal mögliche staatliche Bruttoexposition der USA von schwindelerregenden 23,7 Billionen Dollar nennt, die im Zuge der Krisenbekämpfungsmaßnahmen entstand. So könnte das auf 700 Milliarden US-Dollar veranschlagte TARP-Programm zum Aufkauf fauler Kreditvertiefungen sogar auf bis zu drei Billionen Dollar anwachsen. Der amerikanische Einlagensicherungsfond könnte dem Bericht zufolge schlimmstenfalls 2,3 Billionen US-Dollar zum Schutz der Kundeneinlagen insolventer Banken aufwenden müssen. Rund um den zusammengebrochenen Hypotheken- und Immobilienmarkt könnten sogar 7,2 Billionen US-Dollar fällig werden.
Es ist klar, dass diese Summe in ihrer Gänze niemals fällig wird, da diese von Neil Barofsky, dem Generalinspekteur des TARP-Programms erstellte Berechnung die maximal mögliche Belastung in jedem durch staatliche Hilfsmaßnahmen gestützten Sektor nennt. Dennoch könnten die 12,8 Billionen US-Dollar, die bislang im Zusammenhang mit der Stabilisierung der Finanzmärkte genannt werden, leicht übertroffen werden.
Ein guter Teil dieser Gelder, die zur Stabilisierung des Weltfinanzsystems aufgewendet werden, geht in die Spekulation und befördert die derzeitige Hausse an den Aktienmärkten. Insgesamt wurden von der US-Regierung 250 Milliarden US-Dollar zur Aufrechterhaltung der Liquidität des Finanzsektors aufgewendet. Hiervon konnten die betroffenen US-Banken bereits dank der Börsenhausse 70 Milliarden US-Dollar zurückzahlen. Der amerikanische Finanzminister Timothy Geithner geht sogar davon aus, dass binnen der nächsten 18 Monate weitere 50 Milliarden US-Dollar an Staatskrediten von den betroffenen Finanzinstituten zurückgezahlt werden können.
Der Publizist Mike Whitney erläuterte, wie diese Hilfsmaßnahmen zur neuesten Börsenrallye beitrugen. Es lohnt, dieses anschauliche Beispiel in aller Ausführlichkeit zu zitieren:
Say you bought a house at the peak of the bubble in 2005 and paid $500,000. Then prices dropped 40% (as they have in Calif) and your house is now worth $300,000. If you only put 5% down, ($25,000) then you are underwater by $175,000. Which means that you own more on the mortgage than your house is currently worth. (This is essentially what has happened to the entire financial system. The equity has vaporized, so institutions are using dodgy accounting tricks instead of reporting their real losses.) So Bernanke comes along and gives you $175,000 no interest, rotating loan to you so that no one knows that you are really busted and you can continue spending just as you had before. Not bad, eh? This is what the lending facilities are all about. It is a charade to conceal the fact that a large portion of the nation's financial institutions are insolvent and propped up by state largess.
Now that Bernanke has given you $175,000 no interest, rotating loan; you expect that eventually he will ask for his money back. Right? So your only hope of saving your home, in the long run, is to engage in risky behavior, like dabbling the stock market. It's like playing roulette, except you have nothing to lose since you are underwater anyway. This is exactly what the financial institutions are doing with the Fed's loans. They're betting on equities and hoping they can avoid the Grim Reaper. ...
Only a small portion of the money that has gone into the stock market in the last 6 months (since the March lows) has come from money markets. The fed's loans are being laundered into stocks via financial institutions that are rolling the dice for their own survival. The uptick in the markets has helped insolvent banks raise equity in the capital markets so they don't have to grovel to Congress for another TARP bailout.
Mike Whitney: When "Not Bad" is the New "Good"
Die Fed hat also großzügig Kredite an angeschlagene Finanzinstitute verteilt und toxische Kreditverbriefungen in Billionenwert in ihre Bilanzen aufgenommen - und dadurch diese Finanzinstitutionen mit der Liquidität versorgt, die sie brauchen, um auf dem Aktienmarkt zu spekulieren.
Da die Märkte für Hypotheken und Kreditvertiefungen weiterhin „in Scherben“ liegen, wie sich Whitney ausdrückt, hätten die Banken weniger Möglichkeiten, ihre Gewinnerwartungen zu realisieren: „Die Kreditvergabe ist gesunken, aber die Spekulation ist gestiegen. Sehr stark gestiegen.“ Das gesamte Finanzsystem sei aber Bankrott, Billionen von Wertpapieren und Derivaten, unzählige zwielichtige Banken und Versicherungen werden nun durch die US-Steuerzahler gestützt.
Viele durch Fed-Kredite vor dem Kollaps gerettete Finanzinstitute sind folglich dazu übergegangen, auf den Aktienmärkten um ihr eigenes ökonomisches Überleben zu zocken, da sie eigentlich pleite sind! Die betroffenen Banken hoffen einfach darauf, durch geschickte Spekulation doch noch die Insolvenz abwenden zu können. Das Ganze funktioniert aber nur, solange diese jüngste Spekulationsblase noch im Steigen begriffen ist, solange den Aktienmärkten frische Liquidität zufließt. „Bernanke steht mit dem Rücken zur Wand. Das Einzige was er tun kann, besteht darin, noch mehr Geld zu drucken und es durch die Hintertür in die Aktienmärkte zu schaufeln“, so Whitney. Die erneute Blasensbildung soll also den ökonomischen Zusammenbruch verhindern, der aufgrund des derzeitigen Crashs droht. Man könnte auch sagen: Es wird hier mit Benzin gelöscht.
Ökonomische „Leichen auf Urlaub“, längst insolvente Finanzinstitutionen, die nur dank großzügig gelockerter Bilanzierungsregeln und staatlicher Kredite noch ein Scheinleben fristen, spielen derzeit im globalen Finanzmarktkasino ihre letzte Runde russisches Roulette – bis auch diese letzte aller Blasen platzt.