Hurra, wir gehen unter!

Seite 2: Im Spukhaus des Kapitalismus

Die "Hölle der Normalität" macht den Inhalt des ersten Teils des vorliegenden Bandes aus, der aus zwei Teilen besteht. In beiden Teilen knüpfen die Autoren an religiöse Codizes der Vergangenheit an (Denkfiguren der Hölle und der Apokalypse), um den Ausnahmezustand zu markieren und in seiner Zuspitzung kenntlich zu machen.

Referenzen gelten aber auch dem Clown, dem Gespenst, dem Zombie als vollständig enteigneten Post-Menschen und den Bildwelten der ursprünglich asiatischen "kawaii" ("Kleine Götter", Kindheit als semiotischer Raum).

Wie sieht die moderne Hölle denn aus?

In der Hölle von heute tritt der gequälte Zeitgenosse, kurz gesagt, als "Beute und Gespenst" in Erscheinung (so schon im vorgängigen Buchtitel von 2021). Als solcher west er im Spukhaus des Kapitalismus, will heißen in einer Kultur von Wettbewerb und Niedertracht, die als letzte aller Kulturen übriggeblieben ist – und die allenfalls noch verwaschene Restspuren einer, wie es heißt, verlorenen Zukunft zeigt.

Und klar sehnt sich der Post-Mensch nach Gesellschaft und Gemeinschaft, nur: In der Simulationswelt zwischen Konsum- und Arbeitsalltag sind auch die Beziehungen warenförmig geworden. Jeder ist sich selbst der Nächste.

Das Buch nennt den Aufenthaltsort der solcherart Verdammten, wie oben bereits angedeutet, den "Zombie-Kapitalismus". Eben der ist es, und zwar in seiner im Band lustvoll enttarnten, im Surrealen angekommenen Spätform, der bewirkt, dass wir tot und lebendig zugleich sind – Zombies halt; er saugt das Individuum aus und transformiert es in eine weitere Form des Untoten (96).

Das Diktat der Ware, die als Fetisch den Alltag und die Gesellschaft ebenso wie die Innenräume des menschlichen Denkens okkupiert, hält als innerster Glutkern des Systems das Höllenfeuer zwischen Ramsch und Überfluss am Brennen, während die Halbtoten, gefangen im Antagonismus vollständiger Abstumpfung und perverser Hyper-Erregtheit, niemals so richtig sterben können (Hölle eben).

Der Mensch als Rohstoff und "Selbstvermesser"

So zappelt das "entwertete", nur noch halb lebendige Subjekt in den Kreisläufen von Sport, Unterhaltung, gespenstischer Arbeit und imaginärer Glücksverheißung. Arbeit? Weder gibt es eine verbindliche Idee noch ein verbindliches Bild von Arbeit. In einer Welt knapp werdender Rohstoffe "muss der Mensch selber zum Rohstoff werden" (154).

Der Pflicht zur Selbstoptimierung korrespondiert der Hang zur Selbstmaschinisierung der "Quantified Selfs". Smartphone, Pulszähler, Fitnessarmband stehen für beides, für Lust und Versklavung (oder Lust an der Versklavung?). Alltägliches Zubehör der symbolischen Ordnung.

Das Scheitern des Einzelnen ist derweil in die Kultur des Neoliberalismus integriert: Wer keine Arbeit hat, wer also nichts aus sich gemacht hat, dient als negative Projektionsfläche und Teil einer entsolidarisierten Manipulationsmasse, deren perpetuiertes Dauerdasein in Wahrheit längst nur beweist, dass "Entarbeitung" zu den Strukturmerkmalen des Systems (und zu seiner Grammatik der Macht) gehört.

Das schließt aber eine "Stabilisierung" der prekären Identität, gleichsam das Gegenbild zum "Erfolgsmodell" bzw. seiner Inszenierung als solcher nicht aus, sondern schließt sie gerade ein – mitsamt den bekannten Formen allfälliger Demütigungen und sozialer Exklusion.

Die Medien üben sich derweil in der Aufführung von Diskurssimulationen.

Denn zur gleichen Zeit offenbaren sich Presse und Öffentlichkeit als 'gnadenlose' Wächter über die Einhaltung der äußeren Normen.

Apokalypse & Karneval, 77

Vernagelung der Zukunft

Metz und Seeßlen bemühen im Kapitel "Next Level" (Teil II des Buches, 99ff.) die vier apokalyptischen Reiter der Offenbarung, verorten deren Ritt jedoch ans "Ende des neoliberalen und ökokatastrophalen Zeitalters" (100).

Beziehungsweise, bildlich gesprochen, vor den "Flaschenhals", der dem System unausweichlich bevorstehe.

Eine auffällige Denkbewegung, die den Rückbezug auf religiöse Muster nicht scheut, im Gegenteil sie zur semiotischen Aufladung der Aussage benutzt. Das biblische Armageddon ist derweil im vorherrschenden Bewusstsein ja durch eine säkulare Apokalyptik mit ausrechenbaren Katastrophen ersetzt (resp. ideengeschichtlich abgelöst) worden, worauf Kulturwissenschaftler zur Genüge hinweisen: Die neuen Mahner sind keine gottgesandten, vom Pneuma beflügelten Propheten, es sind allesamt nüchterne Pragmatiker: Geographen, Physiker, Ökologen, Klimaforscher, Meeresbiologen, Futurologen, Rechenexperten

Der "Flaschenhals" (das Nadelöhr), das über Wohl und Wehe entscheidet, ist selbstverschuldet, anders gesagt: hausgemacht. Das Hotel Erde legt die Rechnung vor.

So ist das Scheitern des Projekts der Zivilisation in eine wissenschaftlich greifbare Nähe gerückt. Kein Ort auf der Welt ist mehr davon ausgenommen, kein Winkel sicher. Das Ende der Zivilisation, so liest es sich im Buch "Apokalypse und Karneval", droht "allein nach den Gesetzen ihres eigenen Wachstums".

Womit die Autoren wohl recht haben dürften. Reicht der Hals, die Kragenweite, noch für ein Durchkommen, oder strangulieren wir uns selbst?