Hurra, wir überleben noch

Berlin 1946: Frauen vor der Fahrt zum Hamstern. Bild: Otto Donath / Bundesarchiv, Bild 183-M1205-318 / CC-BY-SA-3.0

Preppen ist nicht so absonderlich, wie es aussieht. Ein Interview

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Die Pandemie hat Versorgungsmängel und den Zusammenbruch der Infrastruktur aus der Möglichkeitsform in die Wirklichkeitsform überführt. Preppen als Vorsorgehandeln ist gesellschaftsfähig geworden. Den Freiburger Forscher Julian Genner wundert das nicht, trägt doch die Mehrheitsgesellschaft schon lange Züge an sich, die denen von Preppern entsprechen.

Julian Genner forscht am Institut für Kulturanthropologie und Europäische Ethnologie der Uni Freiburg, wo er eine Vertretungsprofessur wahrnimmt, zum "Preppen zwischen Rechtsextremismus und Massenkultur". Hier seine Einschätzungen.

Hat die Pandemie die Prepper bestätigt und die stinknormalen Bürger beschämt?

Julian Genner: Das trifft teilweise zu, und dann auch wieder nicht. Zum einen macht die gegenwärtige Situation die Verletzlichkeit unserer Gesellschaften bewusst. Vielleicht auch entgegen der persönlichen Erfahrung und der eigenen politischen Einstellung zeigt sich, dass wir in die globale Zirkulation von Waren, Personen und eben Viren eingebettet sind. Preppen setzt dieser Verletzlichkeit das Versprechen entgegen, im Falle einer Krise völlig unabhängig und autark leben zu können. Insofern sehen sich Prepper durch die gegenwärtige Situation und die mediale Aufmerksamkeit für das Thema durchaus bestätigt.

Zum anderen lebt Preppen von der Idee, dass eine Krise eine Kettenreaktion in Gang setzt, an deren Ende der vorübergehende oder dauerhafte Zusammenbruch der öffentlichen Ordnung steht. Dies ist bekanntlich nicht eingetroffen, manche Prepper würden sagen: Noch nicht.

Prepper fühlen sich bedroht. Im Krisenfall können auch Nachbarn ihnen feindlich gegenübertreten, vermuten sie. Inwiefern gibt es Kongruenzen mit Verschwörungstheorien, inwiefern nicht?

Julian Genner: Misstrauen spielt eine wichtige Rolle. Die Krisenvorsorge von Preppern ist darauf ausgelegt, den Ausfall der Strom- und Wasserversorgung, den Wegfall der Versorgung mit Gütern des täglichen Bedarfs und den Zusammenbruch der öffentlichen Ordnung zu kompensieren. Diese Form der Krisenvorsorge zeigt auch, dass Prepper dem Staat nicht zutrauen, eine Krise erfolgreich zu bewältigen. Dieses Misstrauen lässt sich beliebig steigern, etwa dahingehend, dass dem Staat unterstellt wird, Krisen bewusst herbeizuführen. Preppen ist daher relativ anfällig für Verschwörungserzählungen, die im Hintergrund geheime und bösartige Mächte vermuten. Gleichzeitig finden auf den entsprechenden Plattformen hitzige Auseinandersetzungen statt. Es wäre falsch, Prepper pauschal mit Anhängern von Verschwörungserzählungen gleichzusetzen.

Prepper igeln sich ein und rüsten gelegentlich ihre Grundstücke auf gegen Angriffe von außen. Inwieweit gibt es Kongruenzen mit den Reichsbürgern?

Julian Genner: Es gibt Schnittmengen zwischen Preppern und Reichsbürgern, aber die Motive für die Einigelung unterscheiden sich meiner Meinung nach. Reichsbürger erkennen die Bundesrepublik nicht an und gründen ihren eigenen Staat, den sie gegen einen aus ihrer Sicht nicht rechtmäßigen Staat verteidigen. Prepper hingegen, so mein Eindruck, gehen eher davon aus, dass im Krisenfall Menschlichkeit und Hilfsbereitschaft wegbrechen. Sie befürchten, dass unvorbereitete Menschen sich im Krisenfall die Güter des täglichen Bedarfs gewaltsam beschaffen würden. Vielleicht bringt der Spruch "Der Mensch ist des Menschen Wolf" das Menschenbild, das den Krisenszenarien von Preppern zugrunde liegt, ganz gut auf den Punkt. In der Ideengeschichte findet sich Ähnliches etwa bei Hobbes: Bricht der Staat als ordnende und zivilisierende Macht weg, geht ein Krieg aller gegen alle los.

Bei Preppern fällt die Akribie ihrer Geschäftigkeit auf, ihr Ordnungssinn. Sind sie die Buchhalter der Welt-Katastrophe? Wollen sie durch Buchhaltung unsterblich werden?

Julian Genner: Preppen ist wahrscheinlich nichts für chaotische Menschen. Vorräte für mehrere Monate oder Jahre müssen ja auch verwaltet werden. Ich weiß von Preppern, die jedes Jahr eine umfassende Revision durchführen: der Zustand der Lebensmittel wird geprüft, die Funktionsfähigkeit der Ausrüstung getestet, Akkus gewartet und so weiter. Der zukünftigen Krise begegnen Prepper mit einer guten Organisation und Planung in der Gegenwart. Krisenszenarien von Preppern erzählen ja nicht nur vom Untergang der Welt wie wir sie kennen, sondern auch von der Möglichkeit der Rettung aus eigener Kraft. Auf den Untergang mag man keinen Einfluss haben, auf die eigene Vorbereitung hingegen schon. Die eigene Vorbereitung - mit all ihrer Akribie - ist daher auch ein Mittel der Selbstermächtigung. Der Fluchtpunkt dieser Selbstermächtigung ist eher die völlige Autarkie als die Unsterblichkeit.

Das Bundesamt für Bevölkerungsschutz und Katastrophenhilfe empfiehlt, Vorräte anzulegen, genau abgewogen. Diese Empfehlungen stehen im Zusammenhang mit den gesetzlichen Regelungen zu einem inneren Notstand, der ein Eingreifen der Bundeswehr vorsieht. Trifft sich der Staat mit seinem Vorbehalt, die Gesellschaft zu militarisieren, nicht mit den Preppern?

Julian Genner: Das meiste an Know How und Ausrüstung, das im Preppen genutzt wird, stammt ursprünglich aus dem Militär und dem Katastrophenschutz: Kleidung, Kampfmesser, Rucksäcke, Spezialnahrung und so weiter. Auch viele Anbieter von Prepper-Kursen haben einen militärischen Hintergrund. So besehen basiert Preppen auf der Popularisierung staatlichen Know-hows, das im Wesentlichen aus dem Kalten Krieg stammt. Interessant ist, dass im Preppen dieses staatliche Know-how in einem Akt des Misstrauens gegen den Staat gewendet wird. Was der Staat an Instrumentarien entwickelte, um die Bevölkerung im Krisenfall zu schützen, nutzen die Prepper, um auch ein mögliches Versagen des Staates im Krisenfall zu bewältigen.

Prepper sind friedliche Menschen, die andere in Ruhe lassen, oder Prepper sind "Doomer", die einen Bürgerkrieg gegen Migranten anzetteln wollen. Ist beides möglich?

Julian Genner: Es gibt beides. Preppen ist auch anschlussfähig an rechtsextremen Terrorismus, und es wäre falsch, diese Verbindung zu leugnen. In den USA gab es diese Anknüpfungspunkte zwischen gewaltbereiten rechtsextremen Gruppen und Preppern (bzw. Survivalists) von Beginn an. In Deutschland haben die Recherchen der taz zum sogenannten Hannibal-Netzwerk oder die jüngsten Recherchen der "Zeit" zur Gruppe S. solche Verbindungen zwischen Teilen der Prepper-Szene und dem gewaltbereiten Rechtsextremismus ans Licht gebracht. Diesbezüglich laufen verschiedene Ermittlungsverfahren. In diesem Zusammenhang ist auch die vor Kurzem angekündigte Reorganisation des KSK (Kommando Spezialkräfte) zu sehen.

Don‘t be nervous, don‘t be flustered, don‘t be scared: Be prepared!1

Ihre zentrale These ist, dass Preppen kein randständiges Phänomen, sondern eine zweifelhafte Tugend der gesellschaftlichen Mitte ist. Wie das?

Julian Genner: Hier kommen meines Erachtens wenigstens zwei Aspekte ins Spiel. Erstens unterscheiden sich die im Preppen propagierten Normen und Wertvorstellungen kaum von denjenigen der Arbeitswelt. Ob es um das Überleben der Krise oder das Überleben im Wettbewerb geht, die empfohlenen Rezepte ähneln sich. Prepper sehen sich als Visionäre, die vorausschauend denken, als Manager, die mit knappen Ressourcen jonglieren, als kreative Köpfe mit einem Faible für Improvisation, als Macher, die aus jeder Situation das Maximum herausholen können. Dazu braucht man nicht nur die richtige Ausrüstung, sondern eben auch die richtigen "Skills" und "Kompetenzen".

Aus dieser Perspektive erfordern widrige Umstände also eine Optimierung persönlicher Eigenschaften und nicht eine Veränderung der Verhältnisse. Als Modewort steht Resilienz exemplarisch für die ideologischen Familienähnlichkeiten zwischen Management-Ratgebern und Prepper-Handbüchern. Ebenso fällt auf, dass zahlreiche Survival-Trainer von Unternehmen als Motivationsredner oder für die Leitung von Weiterbildungsseminaren gebucht werden.

Zweitens basiert Preppen auch auf einem verbreiteten kleinbürgerlichen Ethos. Ziel des Preppens ist es, den gegenwärtigen Lebensstandard auch in einer schlechten Zukunft bewahren zu können. Man legt heute etwas zur Seite, um es morgen besser zu haben. Diese Form des Verzichts ist - in Anlehnung an Pierre Bourdieu - die Essenz des kleinbürgerlichen Selbstverständnisses. Angesichts der wirtschaftlichen Entwicklungen ist das Ziel dieses Verzichts inzwischen eher, den zukünftigen sozialen Abstieg zu verhindern und für sich eine kleine heile Welt zu schaffen. Plakativ ausgedrückt: Die Krisenvorsorge ist so etwas wie das Sparbüchlein der "Abstiegsgesellschaft" (Oliver Nachtwey).

Dadurch spricht Preppen eine sehr breite gesellschaftliche Schicht an und ist entsprechend populär. Preppen ist daher auch kein Randphänomen und lässt sich nicht mit extremistischen Gruppierungen gleichsetzen.

Könnte man, eingedenk der Corona-Krise, von einer "Survival-Gesellschaft" sprechen? - Survival als Lifestyle.

Julian Genner: Soweit würde ich vielleicht nicht gehen, aber das Thema Überleben dominiert ja auch die gegenwärtige Populärkultur. In zahlreichen Reality TV Sendungen zeigen Experten wie Bear Grylls, Codi Lundin oder Les Stroud, worauf es im Kampf ums Überleben ankommt. In diesen Sendungen ist permanent von den richtigen "Skills" und dem richtigen "Mindset" die Rede. Auf der anderen Seite symbolisieren die Zombiemassen, die in der Serie "The Walking Dead" die postapokalyptische Szenerie fluten, die Abstiegsängste. Die Zombies stehen für die sozial Abgestiegenen und das ihnen zugeschriebene Bedrohungspotenzial.

Die Populärkultur war schon vor Corona voll von Geschichten, die von Untergang und Rettung durch Überleben erzählen. Im Unterschied zu diesen Fiktionen, schafft die gegenwärtige Situation aber wenig Raum für heroische Einzelkämpfer. Maske tragen und Hände waschen ist weit weniger glorreich als der Kampf gegen Zombies oder die Gefahren der Wildnis. Diesbezüglich verblasst die Realität angesichts der Fiktion auch etwas. Die Menschen, denen aus Sicht der öffentlichen Wahrnehmung momentan Heldenstatus zuteilwird, sind nicht so sehr diejenigen, die für sich selbst vorsorgen, sondern die, die für andere da sind, beispielsweise in Pflegeberufen. Gleichzeitig kämpfen in einem wortwörtlichen Sinne außerhalb der Intensivstationen vor allem diejenigen um ihr Überleben, die schon vor der Krise in prekären Verhältnissen gelebt haben.

Herkömmliche Gesellschaftskritik legt das Augenmerk auf die Ausgrenzung von Individuen, Gruppen oder Schichten. Kippt das um in die Selbstausgrenzung von Milieus, und geht das bei den Preppern einher mit einem "Opfer-Stolz", der noch durch die große mediale Resonanz befeuert wird?

Julian Genner: Gerade weil Prepper so oft als paranoide und rechtsextreme Spinner dargestellt werden, gibt es wenig überraschend auch ein gewisses Unbehagen gegenüber der medialen Berichterstattung. Dieses Interview wird sicher auch nicht nur wohlwollend aufgenommen. Prepper fühlen sich oft verkannt, da klaffen Innen- und Außenperspektiven teilweise schon weit auseinander. Wie bei anderen Szenen oder Lebensstilen auch kann die Abgrenzung von den "Normalos" oder dem "Mainstream" auch konstitutiv für das eigene Selbstverständnis und die Identität sein. Das Gefühl, ungerecht behandelt oder dargestellt zu werden, ermöglicht ja eine engere Vergemeinschaftung. Gerade weil es sich beim Preppen um eine sehr lose und sehr heterogene Bewegung handelt, schafft vielleicht diese Erfahrung, von den Anderen nicht verstanden zu werden, ein verbindendes Element.