Hybride Kriegsführung

Nach dem Nato-Kommandeur Breedlove hat Russland den "erstaunlichsten Blitzkrieg des Informationskriegs" geführt, aber der hybride Krieg scheint vor allem ein Kampfbegriff zu sein

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Seitdem die "grünen Männchen" geholfen haben, ukrainische Soldaten aus der Krim zu vertreiben, eine prorussische Regierung zu installieren und nach einem schnellen Referendum die Krim für unabhängig zu erklären, um sie flugs zu einem Teil der Russischen Föderation zu machen, ist man im Westen beeindruckt. Gerne spricht man von der "hybriden Kriegsführung", mit der Russland auf der Krim und danach in der Ostukraine seine Interessen durchsetzt, während die Nato nur zuschauen kann.

Auf dem Nato-Gipfel in Wales, auf dem eine schnelle Eingreiftruppe, eine erhöhte Präsenz in Osteuropa, eine Stärkung der Nato und eine Erhöhung der Verteidigungsausgaben beschlossen wurden, ging es auch wieder um die hybride Kriegsführung. Der oberste Nato-Kommandeur, General Philip Breedlove, sprach im Hinblick auf die Übernahme der Krim vom "erstaunlichsten Blitzkrieg des Informationskriegs, den es in der Geschichte des Informationskriegs gegeben" habe. Man müsse solche Taktiken der hybriden Kriegsführung mit einbeziehen, in denen man eine Aggression nicht mehr einem nationalen Feind zuordnen könne.

Man müsse auch Innenministerien und Polizei einbeziehen, um "unkonventionelle Angriffe", zu denen Breedlove Propagandakampagnen, Cyberangriffe oder heimische (homegrown) Milizen zählt: "Wir beobachten in Russland bei diesem hybriden Kriegsansatz, dass alle Mittel eingesetzt werden, die sie haben, um Probleme zu schaffen, die sie dann mit ihren militärischen Mitteln ausbeuten können." In der Ostukraine wurden nach Breedlove nicht die "grünen Männchen", also Soldaten ohne Abzeichen, eingesetzt, sondern russische Soldaten hätten zusammen mit Separatisten gekämpft: "Russische Luftabwehrsysteme wurden eingesetzt, um den Einfall russischer taktischer Einheiten in die Ostukraine zu verschleiern. Und Moskau leugnet noch immer jedes direkte Engagement jenseits der Grenze, trotz der Opfer und Toten unter den eigenen Soldaten." Im Hintergrund steht dabei, dass die Beistandspflicht der Nato-Vereinbarung in Artikel 5, in dem von einem "bewaffneten Angriff" die Rede ist, bei einer hybriden Kriegsführung nicht notwendig ausgelöst würde. Man arbeitet also letztlich auch daran, die Bedeutung eines Angriffs auszuweiten. Soll also bei einem Cyberangriff, wie das etwa das Pentagon erklärt hat, auch mit konventionellen Waffen zurückgeschossen werden?

Über die Verbindung konventioneller, irregulärer und informationstechnischer sowie medialer Kriegsführung, die von Soldaten und/oder nichtstaatlichen Akteuren betrieben wird, spricht man schon länger, als einen der ersten Fälle einer solchen Kriegsführung wurde der Libanon-Krieg 2006 auserkoren, in dem die israelische Hightech-Armee an der Hisbollah, die Bunker- und Tunnelsysteme und moderne panzerbrechende Waffen sowie Cyberwar-Fähigkeiten einsetzte, gescheitert war (Hisbollah konnte die Funkkommunikation des israelischen Militärs mithören). Allerdings gibt und gab es kaum Kriege, in denen nicht zusätzlich zu konventionellen militärischen Mitteln alle anderen Möglichkeiten auch eingesetzt wurden, nur sind vor allem in den asymmetrischen Kriegen und mit der Verbreitung des Internet der Medien-, Informations- oder Cyberwar wichtiger und kriegsentscheidender geworden als die pure militärische Übermacht.

Im Pentagon spricht man seit den asymmetrischen Kriegen in Afghanistan und im Irak nach dem Sturz des Taliban- und Hussein-Regimes von der Notwendigkeit, alle möglichen Bedrohungen auch durch nichtstaatliche oder staatlich unterstützte Gegner bekämpfen zu können. Zu den neuen Bedrohungen werden Angriffe auf Computernetze und Satelliten, die Benutzung von tragbaren Flugabwehrraketen und selbstgebauten Sprengsätzen, die Manipulation von Informationen und Medien, aber auch der Einsatz von chemischen, biologischen, radiologischen oder nuklearen Mitteln gezählt. Aber es gibt keine einheitliche Definition, stellte ein GAO-Bericht 2010 heraus. Mit "hybrid" sollen einfach die "zunehmende Komplexität der Kriegsführung" und neue Bedrohungen benannt werden

Mit dem Begriff der hybriden Kriegsführung oder hybrider Kriege soll also etwas Neues dargestellt werden, für das die militärischen Strategien noch nicht gewappnet sind bzw. auf das sie nicht angemessen reagieren können. Im Grunde bedeutet hybride Kriegsführung eine Ausweitung des militärischen Handelns in zivile Bereiche, also dass "Kriege" eben nicht mehr nur mit Soldaten und Waffen, sondern mit allen Mitteln, gewissermaßen als totaler Krieg, geführt werden, mithin auch Zivilisten, zivile Infrastruktur oder auch Medien Kriegsmittel werden und als solche bekämpft werden müssen/dürfen. So wurden im Krieg in der Ostukraine viele Journalisten als Feinde behandelt und auch getötet, Separatisten verschanzten sich in zivilen Gebäuden, ukrainische Streitkräfte wiederum beschossen diese.

Russland soll eine "Massenhalluzination" geschaffen haben

Weil das Hybride so offen für die Spekulation und Ausweitung des Krieges ist, was derzeit irgendwie in der Luft und im Trend liegt, hat etwa Peter Pomerantsev in Defense One die Überlegungen noch weiter getrieben und offenbart, wozu der Begriff verwendet werden kann. Russland würde nicht Desinformation, Lügen, Leaks und Cybersabotage einsetzen, sondern "Realität erfinden", eine "Massenhalluzination" schaffen, die dann in politische Realität übersetzt wird.

Er will dies an der Einführung des Begriffs "Neurussland" belegen. Das sei zwar ein alter Begriff, niemand, der in dieser einst so benannten Region lebe, habe bislang jedoch geglaubt, in Neurussland zu sein. Jetzt aber werde es "über Bilder ins Sein" umgesetzt, was allerdings voraussetzt, dass die Menschen in einer Medienglocke leben und medial gesteuert werden können - eine Ansicht, die in vielen ukrainischen und westlichen Medien und von vielen Politikern hinsichtlich der russischen Staatsmedien geäußert wurde.

Die simple These also ist, dass nicht die Verhältnisse, sondern die manipulativen Medien die Menschen in der Ostukraine dazu bringen würden, die nach der Absetzung von Janukowitsch an die Macht gekommene Regierung in Kiew abzulehnen und nach Unabhängigkeit oder Anschluss an Russland zu suchen. Wenn die russischen Medien, der große Manipulateur, nicht wären, so die Unterstellung, wären alle glücklich und würden den ukrainischen oder westlichen Politikern und Medien vertrauen, die natürlich der reinen Wahrheit folgen und keine Propaganda machen. Man muss also nur die russischen Medien ausschalten, was auch praktiziert wurde, um den Krieg und die Gehirnwäsche zu beenden:

Russische Medien zeigen Karten der Geografie von Neurussland, während vom Kreml unterstützte Politiker seine "Geschichte" in die Schulbücher schreiben. Es gibt eine Flagge und sogar eine Nachrichtenagentur (in Englisch und Russisch). Es gibt verschiedene Twitter-Feeds. Es ist wie aus einer Erzählung von Borges, abgesehen von den wirklichen Opfern des Krieges, der in seinem Namen geführt wird.

Die These von der absoluten Manipulierbarkeit der Menschen durch Medien, ein Argument, das bis auf das Höhlengleichnis von Platon zurückgeht, übersieht aber, dass der Krieg, die "Antiterroroperation", von Kiew gegen die anfänglichen Anti-Maidan-Proteste verordnet wurde, die die Maidan-Proteste, inklusive Gebäudebesetzungen und bewaffnete "Selbstverteidigungskräfte" erst einmal nur nachgeahmt hatten. Pomerantsev meint, Russland sei in der Hand von "politischen Technikern", die eine Simulation von Parteien und Zivilbewegungen erschaffen. Man glaubt also an die Wirkung von Werbung und Propaganda, von "Verschwörungstheorien", als ob diese Mittel dann nicht auch von allen anderen Parteien und Unternehmen eingesetzt würden. Für Pomerantsev hat allein die Erwähnung der "Staatlichkeit" der Ostukraine von Putin die Nato gebannt und Kiew dazu geführt, einen Waffenstillstand zu akzeptieren. Das scheint aber doch auch eine Halluzination zu sein, schließlich schaut Poroschenko nicht nur russische Medien, sondern dürfte auch aufgrund von nichtrussischen Informationen einem Waffenstillstand zugestimmt haben.

Als besonders perfide wird geschildert, dass russische Regierungsvertreter auf angebliche Falschmeldungen gar nicht mehr versuchen würden, die "Wahrheit" wie in Sowjetzeiten zu verteidigen. Der Kreml würde Geschichten gut erzählen, Wahrheit spiele keine Rolle mehr, es gebe eine Mischung aus autoritärer Regierung und Unterhaltung. Man wolle nicht überzeugen, sondern den Zuschauer ablenken und westliche Narrative unterlaufen, ohne eine Gegengeschichte anzubieten. Und das "wirklichkeitserzeugende Modell" wolle Russland mit vielen Millionen US-Dollar etwa in Form des Senders Russia Today "exportieren". Interessant ist, dass angeblich die russischen Verschwörungstheorien gut bei den Rechten in Europa ankommen, von den rechten ukrainischen Parteien und Politikern, die vom Westen gefördert werden, wird jedoch nicht gesprochen, weil das nicht ins simple Bild von Gut und Böse passt.

Pomerantsev entlarvt sich selbst, wenn er schließlich noch den Kreml und Snowden/Greenwald in eins setzt, als ob Moskau für die NSA und Snowdens Enthüllungen verantwortlich wäre: "Die Verbindungen zwischen Greenwald und dem Kreml bestehen aus mehr als dem gemeinsamen Wunsch, die Sicherheit von Snowden zu garantieren. In einer ideologischen Finsternis treffen sich Putin, der autoritäre Schwulenhasser, und der linkslibertäre schwule Greenwald und stimmen überein. Und wenn der Konsens für wirklichkeitsbasierte Politik zerbricht, wird dieser Raum offen für Ausbeutung. Es ist genau dieser Trend, den der Kreml ausbeuten will."

Die Thematisierung der hybriden Kriegsführung regt offenbar zu absoluten Verschwörungstheorien gegenüber dem auserkorenen Feind an, dem viel Macht zugestanden wird, während die eigene Seite völlig ausgeblendet wird, was im Ukraine-Konflikt fast durchgängig der Fall war. Moskau wolle die Wahrheit beiseiteschaffen, weil dann alles möglich werde und man die "Wirklichkeit" kontrollieren könne. Putin sei gefährlich, weil unvorhersagbar. Der Westen sei gebannt von der "weaponization of absurdity and unreality".