Hyperaktivität rund ums Sofa

Der "Revolution-Controller"

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"Nettes Spielzeug, aber kein echter Anwender wird sich mit so was abgeben wollen." "Und wo gebe ich da die kryptischen Textkommandos ein?" "Das ist viel zu einfach, um komplexe Programme zu bedienen!": Als Apple 1983 mit der "Lisa" (Vorläuferin des Macs) erstmals einen Computer mit Maus und grafischer Benutzeroberfläche für den Massenmarkt vorstellte, wussten die Wenigsten spontan etwas damit anzufangen. Zu ungewohnt war das, zu wenig dem entsprechend, was man damals für computermäßig hielt. Niemand konnte sich vorstellen, dass man da gerade in die Kinderstube eines neuen Industriestandards blickte.

Auf der Tokyo Game Show hat Nintendo nun - nach langen Monaten der Geheimniskrämerei und der Fan-Orakeleien im Internet - den Controller für die für 2006 angekündigte Gamecube-Nachfolgerkonsole vorgestellt. "Revolution" ist der Codename der Konsole, und das sollte kein leeres Versprechen sein. Die Absicht ist gänzlich unbescheiden: Mit dem Controller will Nintendo offensichtlich einen ähnlich grundlegenden Einschnitt in der Videospielgeschichte auslösen wie Apple einst in der PC-Historie mit dem Macintosh-Interface.

Der Sprung aus gewohnten Gamer-Denkmustern ist zumindest gewagt genug, um dies als Möglichkeit denkbar zu machen. Oder um zum spektakulärsten Debakel in Nintendos Geschichte zu führen.

Hast Du die Fernbedienung gesehen?

Die nahe liegendste Reaktion auf den ersten Anblick des Revolution-Controllers ist: "Und wo ist der Controller?" Das Gerät sieht aus wie eine abgespeckte Fernbedienung mit wenigen Bedienelementen - nur ein paar Knöpfe und ein kleines, traditionelles D-Pad, aber ohne jeglichen Joystick, Trackball oder was sonst herkömmlicherweise bei heutigen Videospielen im Wortsinn "richtungsweisend" fungieren könnte.

Dass der Controller keinen Analogstick besitzt, hat einen ebenso einfachen wie verblüffenden Grund: Der Controller selbst IST quasi der Analogstick - und noch viel mehr. Mittels zweier an den Fernseher anzubringender Sensoren wird jederzeit die exakte Position des Controllers im dreidimensionalen Raum ermittelt; das Gerät ist sozusagen eine 3D-Maus. Da interne Sensoren zugleich aber auch noch jede Neigungs- und Drehbewegung erfassen, ist nicht nur die genaue Position, sondern auch die Lage des Controllers bekannt: Er ist entlang der Raumachsen ebenso wie entlang seiner eigenen Achsen verortbar, was ihn u.a. auch zu einem virtuellen Zeigestab macht. Außerdem ist ein Rumble-Feature für das bei modernen Controllern übliche Vibrations-Force-Feedback eingebaut.

Das Fernbedienungs-Design scheint mir die fragwürdigste Entscheidung an dem ganzen Controller. Die erklärte Logik dahinter: Fernbedienungen sind jedermanns Freund. Ob Kind oder Rentner, Mann oder Frau - so gut wie alle Menschen sind heute mit Fernbedienungen als Interface zu technischen Geräten wohl vertraut. Dadurch soll der Nintendo-Controller mühelos die Hemmschwelle überhüpfen, die bei den meisten Nicht-Videogamern gegenüber heutigen Standard-Konsolenpads angeblich herrscht.

Diese Rechnung könnte durchaus aufgehen - die Frage ist nur, ob Fernbedienungen als Technologie-Artefakte nicht schon zu sehr mit ihren eigenen Assoziationen und Benutzungsgewohnheiten verknüpft sind, um die Verwendung eines äußerlich ähnlichen Geräts für solch gänzlich andere Zwecke, auf so ganz andere Art wirklich intuitiv zu machen. Und ob es sich darüber hinaus um die ergonomisch wirklich sinnvollste Lösung handelt, wird sich auch noch zeigen müssen. Jedenfalls gehorcht das Fernbedienungs-Styling einer abstrakten Marketing-Theorie und nicht dem viel bewährteren Prinzip, dass gutes Design der Funktion folgen soll.

Umschalten auf ein neues Paradigma

Aber das Aussehen soll ja auch nur dazu anlocken, das Ding in die Hand zu nehmen, und falls das Äußere sich irgendwann doch als in der Praxis unhandlich erweisen sollte, ließe es sich ja auch noch durch eine andere Hülle ersetzen, ohne die eigentliche Neuerung zu behelligen: Das Einhand-3D-Maus&Zeiger-Funktionsprinzip.

Und das kann man durchaus als veritablen Versuch eines Paradigmenwechsels sehen. Seit dem Übergang von der 2D- zur 3D-Grafik hat es im Games-Medium keinen wirklichen Quantensprung mehr gegeben, nur stetige Evolution; der Generationswechsel von Super Nintendo zu Playstation / N 64 war der letzte fundamentale Einschnitt. Zwar wurden mit Playstation 2/Xbox/Gamecube neue Spielwelten versprochen, genauso wie jetzt wieder mit Playstation 3/Xbox 360. Aber die Zunahme an Rechen- und Grafikleistung ging nie so richtig einher mit einer Neuerfindung des Mediums. Selbst wo die Prozessorpower tatsächlich mehr als eine Verschönerung der Oberfläche bringt, nämlich in komplexerer Physik für virtuelle Welten und in Ansätzen ernstzunehmender Künstlicher Intelligenz, hat man damit immer nur längst etablierte Genres in Details aufgemotzt, anstatt grundsätzlich neue Spielprinzipien zu erfinden. Das hat zwar mehr mit dem extrem konservativen Geschäftsgebaren, der eingefahrenen Genre-Hörigkeit der Games-Branche zu tun als mit Ausreizung möglicher Spielideen. Aber mit seinem radikal neuen Interface setzt Nintendo den Hebel dennoch an einer Stelle des Gamens an, wo die Grundprinzipien am wenigsten zur Disposition zu stehen schienen.

Moderne Standard-Controller folgten letzlich immer einem Tastatur-Prinzip: Sie waren ein Versuch, möglichst viele Schalter ("Tasten") auf möglichst geringem Raum möglichst ergonomisch und logisch zusammenzumontieren. Das ist ein grundlegend anderer Ansatz als der des Revolution-Controllers, der quasi ein Sensor ist.

Nintendo ist selbstverständlich nicht so wahnsinnig, alle Brücken zur bisherigen Game-Geschichte hinter sich abzubrennen. Im Gegenteil, die "Revolution"-Konsole soll online auf ein relativ komplettes Archiv alter Nintendo-Software zugreifen können, und folglich muss auch deren Steuerungseinheit zu ihren Vorgängern kompatibel sein: Hält man den Controller horizontal, bildet er umgehend ein NES-Joypad. Für alle Aufgaben, die mehr Knöpfe und Analogsticks verlangen, wird es ein "Gehäuse" für den neuen Controller geben, in das dieser (ohne seine 3D-Ortungsfunktionen zu verlieren) eindocken kann und das wohl vergleichbar eines Gamecube-Controllers gestaltet sein wird. Zudem ist davon auszugehen, dass die kabellosen Controller-Ports der Konsole auch mit dem Gamecube-Funk-Controller "Wavebird" kommunizieren werden.

Klar, das ist alles Mimikri und nicht echte Artverwandschaft. Und es sind Handreichungen, um den Sprung zum neuen Konzept nicht zur Kluft werden zu lassen. Der wahre Erfolg von Nintendos Wagnis wird sich daran messen lassen müssen, wie selten letztlich diese Nottritte zurück auf der Evolutionsleiter zum Einsatz kommen. Windows hätte ja auch versagt, wenn die Anwender daran nur die Möglichkeit interessiert hätte, das gute, alte Command Line-Interface aufzurufen.

Hypermotiviert auf, vor und hinter dem Sofa herumhüpfen

Das erste Promo-Video legt starken Wert darauf, die Neuartigkeit des möglichen Umgangs mit dem Controller vorzuführen: Hypermotivierte Japaner jeden Alters und beiderlei Geschlechts hüpfen auf, vor und hinter dem Sofa herum und wedeln heftig mit der Steuereinheit.

Das ist eine Demonstration des einleuchtendsten Verwendungsprinzips - der Controller ersetzt nahezu 1:1 Gegenstände, mit der Spielfiguren innerhalb ihrer virtuellen Welten mit der Umgebung interagieren: Baseballschläger, Taschenlampen, Angelruten, Drumsticks, Schwerter, Pistolen.

Manche Spielideen diktieren sich da geradezu von selbst - das ultimative Tennis-Game ist quasi vorprogrammiert: Wo bisher die unterschiedlichsten Joystick- und Knopfkombinationen für Schlagtiming, -richtung und -arten sorgen mussten, braucht man jetzt höchstens noch eine einzige Taste, um den Ball zum Aufschlag hochzuwerfen. Ansonsten wird die "Fernbedienung" einfach zum virtuellen Tennisracket - der Bildschirmspieler folgt automatisch Vor-, Zurück- und Seitwärtsbewegungen des Gamers vor dem Fernseher, und der Controller in der Hand wird zum Schaft des Tennisschlägers. Und es würde mich sehr wundern, wenn zu den ersten potentiellen Killerapplikationen der Revolution-Konsole nicht ein virtueller STAR WARS-Laserschwert-Kampf gehören wird.

Solche nahe liegenden Applikationen haben wohl auch zu der verkürzten Annahme geführt, der Revolution-Controller gehöre nahtlos in eine Reihe mit Lightguns, den SAMBA DE AMIGO-Marakas, Tanzmatten, DONKEY KONGA-Bongos oder EyeToy: Toll für Partyspiele und kurzen Spielhallen-Kick, aber nichts für ausgedehnte Sessions mit komplexen Spielen. Dem muss nicht so sein - erste Erfahrungsberichte sprechen davon, dass der Controller sehr präzise und empfindlich reagiert und sich traditionellere Richtungssteuerungen durchaus wie gewohnt im Sitzen und mit nur geringen Handbewegungen bewerkstelligen lassen.

Darum greifen zwei der am häufigsten zu findenden Einwände zu kurz: "Das Ding ist nur ein nettes Gimmick." Und: "Zu wenig Knöpfe!"

Ein Controller ist ja, banal gesagt, nichts anderes als ein Gerät, mit dem der Benutzer Informationen zur Beeinflussung des Programmablaufs generiert. Und da darf man sich von der scheinbaren Einfachheit des Revolution-Zauberstabs nicht täuschen lassen. Die Menge an Information, die er erzeugt, ist schon ohne jeden Knopfdruck enorm: Position und Bewegung entlang zweier dreiachsiger Koordinatensysteme (Raum und Gerät selbst), also sechs Ortsdaten plus sechs Beschleunigungsvektoren - deutlich mehr, als zwei herkömmliche Analogsticks zusammen liefern können. Darüber hinaus ist es explizit als Möglichkeit vorgesehen, mit zwei der Controller gleichzeitig zu spielen, einem in jeder Hand (was allerdings die Zahl möglicher Multiplayer-Mitspieler reduziert).

Das wird der Revolution-"Fernbedienung" eine Flexibilität in der Anwendung geben, die alle reinen Gimmick-Interfaces weit in den Schatten stellt. (Gewiss liefert die EyeToy-Kamera rein rechnerisch noch mehr Information, selbige ist aber nicht unmittelbar eindeutig und präzise verwendbar.)

Gibt's morgen ein gescheites Programm?

Einen Vorteil freilich haben traditionelle Controller: Mit ihnen lassen sich zwar potentiell weniger und weniger komplexe Nutzer-Informationen generieren, die aber fein säuberlich voneinander getrennt - für jede Funktion möglichst nur ein Bedienelement.

Die große Herausforderung an die Revolution-Spieleentwickler wird sein, dem neuen Controller ein gewisses Maß an Abstraktion abzutrotzen, ohne seine Handhabung weniger intuitiv zu machen. Oder anders ausgedrückt: Man muss Möglichkeiten finden, Knopfdrücke durch dreidimensionale Bewegungen zu ersetzen. Denkbar wäre z.B. eine Weiterentwicklung von Maus-Gesten-Systemen, welche PC-Games wie BLACK & WHITE oder DARWINIA verwenden. Das große Problem dabei dürfte erfahrungsgemäß eine hinreichende Erkennungszuverlässigkeit, Eindeutigkeit und leichte Erinnerbarkeit werden: Die schönste Hemmschwellenabschleifung durch Fernbedienungsdesign hilft ja nichts, wenn nachher die Spielbedienung zehnmal umständlicher sein sollte als durch einfache Knopfdrücke.

Eine potentielle Limitierung des Einhand-Controllers haben die Nintendo-Ingenieure offenbar schon früh selbst entdeckt: Das Zwei-Analogsticks-Modell hat sich ja nicht zuletzt deshalb als Standard etabliert, weil heutige 3D-Games fast durchweg mit einer getrennten Steuerbarkeit von Spielfigurbewegung und Kameraposition/Blickwinkel arbeiten. Und das wäre zwar eigentlich auch mit dem Revolution-Controller prima machbar - die Bewegung im Raum lenkt die Figur, die Bewegung um die eigenen Achsen die Kamera. Doch damit wären, zumal wenn noch ein Feuerknopf zuverlässig erreichbar bleiben soll, fiese Handgelenksverrenkungen vorprogrammiert. Was wieder nur die Orthopädenverbände freut.

Als Standard-Peripheriegerät ist deshalb ein Einhand-Analogstick mit zwei Triggern vorgesehen, der sich an den Hauptcontroller anschließen lässt (per Kabel, wohl um nicht noch mehr Akkus zu benötigen). Erste Berichte erzählen, dass diese Kombination ideal zur Steuerung von First Person-Shootern sei und sogar dem derzeitigen Standard dieses ureigentlichen PC-Game-Genres, Tastatur und Maus, überlegen. Eine inhaltliche Neuerfindung des Mediums wäre das freilich noch nicht. Möglicherweise wird die wahre Revolution der Videospiele auch erstmal zugunsten einer Politik der kleinen Schritte auf sich warten lassen und die 3D-Maus anfangs oft nur als Bonus fungiert: So ist denkbar, dass selbst bei Verwendung als traditioneller Controller im oben geschilderten "Gehäuse" zusätzlich die Bewegungen der Spieler in die Spielwelt umgesetzt werden - wer hätte sich im Eifer des Bildschirm-Gefechts noch nicht zur Seite gelehnt um besser um Ecken zu sehen, geduckt um feindlichen Schüssen zu entgehen, nach vorne gebeugt um mehr Gas zu geben? Nur eben bisher frustrierenderweise ergebnislos...

Der große Unterschied von Nintendos Innovation zum Lisa/Mac-Interface ist halt: Letzteres war eine bewusste Lösung für eine spezifische, bekannte Aufgabe. Es ging darum, die bekannten Funktionen eines PCs auf einfachere, intuitivere Weise bedienbar zu machen. Der Revolution-Controller hingegen ist eher die Antwort auf eine noch gar nicht konkret gestellte Frage: Er ersetzt nicht die Funktionen herkömmlicher Joypads durch ein eleganteres Design, sondern er bietet andere Funktionen, für eine Art von Spielen, die wohl großteils erst noch erfunden werden muss.

Aus der Spur gesprungen

Nintendo hat auf der TGS (angeblich) bewusst keine Spiele zu dem Controller gezeigt, um die Aufmerksamkeit ganz auf dessen Neuartigkeit zu lenken. Es gab nur im Hinterzimmer ein paar Demos zu sehen, die erste Ahnung geben sollten von potentiellen Anwendungsmöglichkeiten.

Noch steht also der Beweis komplett aus, ob das radikal neue Interface auch wirklich fundamental neue Inhalte nach sich ziehen wird. Denn nur dann hätte die Revolution ihren Namen verdient. Und nur wenn sich Videospiele wirklich auch thematisch und ästhetisch von ihrer Fixierung auf ein adoleszentes, männliches Zielpublikum lösen können, hat das Buhlen um den Mainstream überhaupt Sinn.

Immerhin darf man davon ausgehen, dass Nintendo selbst alles daran setzen wird, der waghalsigen Hardware-Entscheidung auch softwareseitige Schützenhilfe zu geben. Und für andere Spieleentwickler könnte das Ganze schon auch ein lang überfällige Zwang von außen sein, endlich mal wieder aus der tiefen Rille ihrer eingefahrenen Denkmuster rauszuspringen.

Denn das hat die erzkonservative Branche über kurz oder lang dringend nötig, wenn sie nicht das selbe böse Erwachen erleben will wie Hollywood mit seinen immergleichen (Pseudo-)Blockbustern in diesem Kinosommer: Kein Genre kann auf Dauer nur von Fortsetzungen und geringfügigen Variationen des letzten Erfolgstitels leben. Sony und Microsoft setzen mit ihren bevorstehenden neuen Konsolen weiter auf technische Evolution und Integration: Leistungsfähigere Prozessoren und Grafikchips; Online-Angebote, die die Geräte zum Multimedia-Hub fürs Wohnzimmer machen sollen. Die Starttitel-Listen sind eine einzige Litanei von Sequels und Remakes. Das klingt zunächst nach Nummer-Sicher-Strategie, aber gerade darin liegt das Risiko: Sie basiert auf der Grundannahme, dass der Großteil der Gamer weiterhin immer nur die selben Spiele mit graduellen Verbesserung möchte und bereit ist, dafür immer mehr zu zahlen.

Dem setzt Nintendo - einziger echter Überlebender aus den Kindertagen des Mediums, im Handheld-Markt noch immer stark, aber im Konsolen-Bereich von den Marktanteilen international zunehmend marginalisiert - jetzt offenbar tatsächlich konsequent einen anderen Weg entgegen.

Was Nintendo mit der Entwicklung dieses Controllers treibt, ist ein gewagtes Hasard-Spiel: Es bringt die Firma in eine Hop- oder Top-Position - ein echtes Schröder-Manöver, mit offenem Ausgang und durchaus der Chance, dereinst entweder als dümmste oder als genialste Idee in die Videospielgeschichte des frühen 21. Jahrhunderts einzugehen.

Jim Merrick von Nintendo Europa hat in einem Interview spekuliert, die Controller-Revolution könnte Nintendo zum Marktführer machen. Das klingt im ersten Moment nach komplettem Größenwahn - bis man sich daran erinnert, welche gigantische Erfolge Games immer dann erreichen konnten, wenn sie wirklich den Brückenschlag zum Mainstream geschafft haben: TETRIS, MYST, MOORHUHN, THE SIMS. Freilich, alles PC-Spiele, die von den Konsumenten nicht auch noch erwarteten, eigens Hardware anzuschaffen. Aber zuletzt hat mit dem Nintendo DS schon ein nicht ganz unähnliches Experiment unerwartet gut funktioniert. Und immerhin hat die Vorstellung der Wunder-Fernbedienung auf der Tokoy Game Show allem anderen die Schau gestohlen; kein Thema sonst hat Fachleute und Gamer derart in Aufruhr versetzt - danach schien jede Ankündigung einer weiteren Rennspiel-Iteration mit realistischeren Lichteffekten und Tausenden echt polygonaler Zuschauer am Streckenrand doch deutlich weniger aufregend als zuvor.

Und die Nachricht von der Revolutions-Ankündigung hat es schon in die Randgewässer des Mainstream geschafft und auf die Videotextseiten der großen Fernsehsender, Regionen, wo z.B. der ebenfalls auf der TGS präsentierte und von der Spieler-Comunity heißverehrte Trailer zum nächsten METAL GEAR SOLID-Spiel keinerlei Beachtung fand.

Die Zukunft als offener Kanal

Knipsen wir mit unseren Apple-weißen Fernbedienungs-Controllern also bald eine glorreiche Zukunft des Videospielens für alle an?

Drei (leicht zugespitzte) Szenarios (und immer eine entscheidende Sache vorerst mit Gott-, bzw. Nintendoingenieursvertrauen als gegeben hingenommen: Dass das Gerät nämlich technisch so funktionieren wird, wie es soll, und nicht irgendwelche Prinzip- oder Konstruktionsmängel die ganze Idee zu Fall bringen.):

1. Mütter und Großeltern, Kinder und Geschäftsfrauen allüberall lassen sich von dem Fernbedienungs-Design des Controllers anlocken. Nehmen ihn in die Hand. Spielen damit herum. Und legen ihn wieder hin.

Wenig später wird wissenschaftlich bewiesen, dass adoleszente Männer biologisch bedingt die einzige Spezies ist, die dauerhaftes Interesse für Videospiele gleich welcher Art entwickeln kann. Und adoleszente Männer finden den Einhand-Controller doof.

Die Revolution-Konsole wird Nintendos Dreamcast: Wie einst Sega zieht man sich danach aus dem Hardwaregeschäft zurück. Mario und Zelda haben ihr Debut auf Playstation und X-Box, müssen aber kurz darauf wegen schwerer Depressionen therapiert werden; der italienische Klempner verfällt dem Alkohol und tritt später als Bösewicht in METAL GEAR SOLID 6: FLUSHED SOLIDS auf.

An die "Revolution" erinnert man sich wenige Jahre später nur noch, wenn man aus den Tiefen der Couch-Falte eine Fernbedienung herauszieht und merkt, dass sich damit der DVD-Player gar nicht bedienen lässt.

2. Der Mainstream zeigt nur ein bisschen mehr Interesse an der neuen Konsole als gewöhnlich, die Kundenzugewinne halten sich in Grenzen. Aber Nintendos Controller und Spiele bringen der traditionellen Gamer-Comunity genug eigenständigen Spaß (und sind preiswert genug), dass die "Revolution" zur beliebtesten Zweit-Konsole wird.

Nintendo macht weiter wie zuletzt: Im Kampf um Marktanteile richtet man sich's auf dem dritten Platz gemütlich ein, schreibt im Gegensatz zur Konkurrenz schwarze Zahlen. Kleiner, aber profitabel, statt riesig und nur auf Gewinne in einer fernen Zukunft fixiert.

Das Problem der Nintendo-Konsole wird Versorgung mit frischer Software: Die hauseigenen Qualitäts-Schmieden lassen sich wie üblich Zeit, und den unabhängigen Herstellern ist's zuviel Mühe, ihre Titel für das ungewohnte Controller-Konzept neu zu erfinden. Die "Fernbedienung" fristet den Großteil ihres Daseins im Traditionscontroller-Gehäuse, ihre 3D-Maus-Funktion bleibt auf Gimmick-Einsätze am Rande beschränkt. Für großes Aufsehen sorgt nur ein illegaler Mod namens "Hot Banana", der bei dem siebten GRAND THEFT AUTO-Teil, GTA: AMPERMOCHING WEST, Sonderfunktionen frei schaltet, wenn man im Spiel als Waffe den Dildo aus dem Dating-Minigame zückt...

3. Viva la Revolution! Das Ding wird der nächste i-Pod. Jeder will einen haben. Das Medium Videospiele ist für immer verändert. Die ganze Welt ein Volk, das ihrem neuen Konsolen-Möbel fröhlich mit dem Controller zuwinkt. Verstört von all den zockenden Großmüttern, Lateinlehrern, Gegenpäpsten gehen langjährige Gamer in den Untergrund, wo sie den ganzen Tag VIRTUA FIGHTER 4 auf extraharten Joypads spielen

Sony und Microsoft verschlafen den Trend, werden zu Randgruppen-Marken. Hunderte ihrer entlassenen Angestellten irren verzweifelt durch die Straßen und heulen wildfremde Menschen an: "Aber wir hatten doch mehr Polygone!"

Shigeru Miyamoto lässt endlich die Maske fallen: Von wegen Videospieldesigner! Die Weltherrschaft war immer sein wahres Ziel. Die Millionen Revolution-Süchtigen wählen ihn zum Weltkanzler, er führt eine von der Sega-Fraktion tolerierte Minderheitsregierung, Prinzessin Peach wird Kanzlergattin. ALL YOUR BASE ARE BELONG TO US! GAME OVER.

Ob das letzte Szenario (in weniger karikierter Form) eine realistische Chance hat, wird - entsprechender Verkaufserfolg vorausgesetzt - auch nicht zuletzt von Nintendos Patentanwälten abhängen. Der japanische Game-Gigant hat einige Erfahrung damit, mit Controller-Innovationen der Konkurrenz eine Generation voraus zu sein - D-Pad, Shoulderbuttons, Analogstick fanden sich als Konsolenpad-Standard zuerst bei Nintendo. Gedankt hat die Pionierleistungen später niemand groß - außer man lässt den Grundsatz gelten, dass Imitation die ehrlichste Form des Lobs sei. Sollte sich die Controller-Revolution tatsächlich durchsetzen, dann wird es nur eine Frage der Zeit sein, bis Sony und das in dieser Hinsicht noch erfahrenere Microsoft Mittel und Wege suchen werden, ein ähnliches System auch auf ihren Konsolen zu implementieren. Und in dieser Hinsicht möchte Nintendo bestimmt nicht dereinst als Apple-gleicher Innovator der Videospielbranche in die Geschichtsbücher eingehen.