Hyperlink-Prozeß: Freispruch für Angela Marquardt
Tilmann Baumgärtel: Hyperlink ins Gefängnis?
Gespräch mit Angela Marquardt
Gespräch mit Andi Müller.Maguhn
Sabine Helmers:: Der erste Verhandlungstag
Der vor dem Amtsgericht Berlin-Tiergarten verhandelte Fall gegen Angela Marquardt wegen eines Weblinks zur Zeitschrift Radikal ist mit einem Freispruch beendet worden.
Das ist schön für Frau Marquardt, für die die Anklagevertretung eine Geldstrafe in Höhe von sechzig Tagessätzen forderte. Aber mit diesem Urteil im ersten deutschen Hyperlink-Verfahren wurde zur möglichen Strafbarkeit von Hyperlinks nichts gesagt. Eine rechtliche Bewertung bezüglich der möglichen Strafbarkeit eines WWW Links zu anderswo ins Web gestellten strafbaren Inhalten bleibt kommenden Verfahren vorbehalten, solange der Gesetzgeber hierzu nichts formuliert. Eine unklare Rechtssituation ist aber allemal besser als eine eindeutig ungünstige. Nur insofern ist dieser Freispruch aus Internetperspektive auch ein bißchen schön - doch die Sektkorken bleiben vorerst in den Flaschen.
Zur heutigen Hauptverhandlung waren drei Zeugen bzw. Sachverständige geladen. Zwei Herren vom Bundeskriminalamt schilderten ihre von der Bundesanwaltschaft initiierten Ermittlungen im Internet. Und Chaos Computer Club-Sprecher und Politikberater Andy Müller-Maguhn war geladen, dem Gericht die technischen Hintergründe zu erläutern, was ein Hyperlink ist und wie das WWW funktioniert: "... und auf dieser Folie zeige ich jetzt den Source Code der HTML Seite."
Die Richterin erkundigte sich interessiert nach Einzelheiten. Und nach Abschluß der Beweisaufnahme kamen sowohl die Angeklagte und ihr Verteidiger als auch die Staatsanwälte immer wieder auf die Anlegung sowie Bedeutung eines Hyperlinks zu sprechen: Ob denn ein Link nicht einfach nur eine elektronische Fußnote sei, eine Quellenangabe? Oder ob ein Link viel mehr sei als eine Fußnote, nämlich eine direkte Zurverfügungstellung eines Textes? Und ginge die Suche nach Radikaltexten im WWW nicht genau so oder gar schneller per Suchmaschine als von Marquardts Homepage aus? Und wieviele Schritte und Auswahlentscheidungen lagen nun eigentlich zwischen Homepage und den zwei nach deutschem Recht verbotenen Texten über Bahnsabotage der Radikalausgabe 154? Könne man nicht von einer Solidarisierung der Angeklagten mit der Radikal qua Link ausgehen? Ist man nur für seine Webseiten verantwortlich, oder auch für die Seiten, auf die man verweist? Muß man überprüfen, ob sich Webseiten, auf die man per Link verweist, irgendwann ändern, z.B. Sabotageaufrufe hinzukommen?
Fragen nach der rechtlichen Bewertung eines Links - was viele Interneter mit Spannung und nicht ungemischten Gefühlen vom Ausgang dieses Prozesses erwartet hatten - blieben für das Urteil unerheblich. Es war vielmehr die vor Gericht nicht bewiesene Kenntnis Frau Marquardts von den in der Anklage genannten verbotenen Texten, die den Freispruch zugunsten der Angeklagten begründeten. Wenn die Kenntnis nicht nachgewiesen werden kann, dann kann folglich nicht von einer willentlichen Verbreitung oder gar Beihilfe ausgegangen werden.
Die Richterin unterließ es ebenfalls, sich in ihrer Urteilsbegründung zu Zensur und Meinungsfreiheit und dem vom Verteidiger erwähnten Grundgesetzparagraphen zu äußern. Und während die Staatsanwaltschaft in ihrem Plädoyer noch ausführte, daß man einen Link zur Radikal nicht einfach so und gutgläubig anlegen könne - ("Die Radikal ist keine Schülerzeitung, sondern ist wiederholt wegen strafbarer Inhalte Gegenstand von Ermittlungen der Bundesanwaltschaft gewesen.")des - und Marquardt in ihrem Schlußwort erwähnte, daß es seit zehn Jahren keine Bombenbastelanleitungen in dieser Zeitschrift gegeben habe, ging es der Richterin hingegen schlichtweg um Termine: Wann wurde der Link zur Radikal angelegt, was befand sich zu diesem Zeitpunkt dort (nichts Illegales, wie die Zeugen vom BKA aussagten) und wann kamen die zwei Bahnsabotagetexte auf den Server?
Ganz genau konnten diese Terminfragen im Gerichtssaal nicht beantwortet werden. Aber geklärt werden konnten nebenher Internetgerüchte, Rätsel und Termine, die in der Chronik der deutschen Internetgeschichtsschreibung im Kapitel "Internet und Strafverfolgung" mal notiert werden können: Wer und was hat eigentlich zur Aufnahme von Ermittlungen gegen Marquardt wegen des Radikal-Links geführt?
Den Anstoß gegeben haben Berichte vom Frühjahr 1996 in Fernsehsendungen und Magazinbeiträgen von Focus und Spiegel. Am 23. April 1996 erreichte das Bundeskriminalamt der Auftrag der Bundesanwaltschaft, per Klick und Ausdruck die Sachlage im Link-Fall festzustellen. Radikal Printausgabe Nummer 154 erschien im Juni 1996. Wann die Webversion der Ausgabe 154 ins Netz ging, weiß man in Holland, nicht aber bei BAW und BKA (dieses Datum ist im Marquardt-Falle ja sehr wichtig gewesen). Warum klagt nicht die Bundesanwaltschaft, sondern Berliner Staatsanwälte, und laufen in Karlsruhe keine Ermittlungen mehr in dieser Sache? Der Generalbundesanwalt ist wegen Frau Marquardts zum Radikal-Link zwischengeschalteter Distanzierungserklärung (keine Gewalt als politisches Mittel) zu dem Ergebnis gekommen, das Ermittlungsverfahren nicht weiterzuführen.