IS: Zu wenig Empörung bei den "Rechtgläubigen"
Der erste Muslim auf den Posten des Hohen Kommissars der UN für Menschenrechte, Seid Ra’ad Al Hussein, beklagt den Mangel an Demonstrationen gegen den IS und öffentlicher Reaktionen der Regierungen in arabischen und muslimischen Staaten
Im September dieses Jahres gelangte mit Seid Ra’ad Al Hussein der erste Muslim auf den Posten des Hohen Kommissars der UN für Menschenrechte. Letzte Woche machte er mit einer Forderung auf sich aufmerksam, die üblicherweise von andere Stelle geäußert wird; man kennt sie aus einigen Diskussionen und Foren.
In einem Stellungnahme vor dem UN-Sicherheitsrat zum Irak führte der Menschenrechtskommissar aus, dass der security approach, womit hauptsächlich militärische und sicherheitspolitische Maßnahmen gemeint sind, nicht reiche, um den "takfiris" des "Islamischen Staats" Einhalt zu gebieten.
Ganz egal, wie inhuman die takfiris seien, sie würden wahrscheinlich überleben. Weil es sich um eine Ideologie handele, die nicht so leicht verschwinde. Das sei allein schon daran zu sehen, sei dass man im Sicherheitsrat bereits vor neun Jahren über Sarkawi (Terroristenführer Sarkawi getötet) beraten habe. Nun sei man mit der selben Ideologie befasst, nur dass sie noch schlimmer sei, stellt al Hussein fest - wie schon einige andere zuvor. Beachtenswert ist, dass er in seinem Appell auf eine Kritik beziehungsweise auf eine in Kritik gekleidete Forderung zu sprechen kommt, die meist aus den Reihen von Nicht-Muslimen erhoben wird:
Es wird wenig Aufmerksamkeit auf den untergründigen Kampf der Ideen und Geisteshaltungen gelegt. Verstörend ist in diesem Zusammenhang, dass es so wenige oder gar keine öffentlichen Demonstrationen der Empörung in den arabischen oder muslimischen Ländern über die Verbrechen gegeben hat, die im Irak begangen werden, und, dessenungeachtet, auch keine klaren Verurteilungen seitens vieler arabischer und islamischer Regierungen.
Der Kommissar zielt damit auf ein paar wunde Punkte. Einen davon umgeht er selbst, indem er von takfiris spricht, damit greift er einen beliebten Terminus, der eine unbequeme Diskussion umgeht, welche darüber geht, inwieweit die Dschihad des IS mit der Religion verbunden ist. "Der Islam hat nichts zu tun mit den Grausamkeiten des IS", lautet, wie sollte es anders sein, Quintessenz und Überschrift eines Berichts der Arab News über eine Konferenz von "Top Saudi leaders" zum Thema.
"Das ist ganz und gar nicht der Islam": die Leere in der öffentlichen Diskussion
"Das ist ganz und gar nicht der Islam", wird der Generalssekretär der Weltmuslimliga, Abdullah Al-Turki, zitiert. Und er macht vor der Zuhörerschaft in Wien, was Al Hussein fordert: "Darum ist es unser Wunsch, dieses Verhalten, das wir als gegen den Islam gerichtet auffassen, in aller Schärfe zu verurteilen."
Demgegenüber stehen unübersehbare Gemeinsamkeiten zwischen dem in Saudi-Arabien praktizierten Wahhabismus und den Anschauungen und Praktiken der IS-Sektenmitglieder, die sich nicht allein in den brutalen Todes-und anderen Strafen und dem strikten Buchstabenfundamentalismus und Monotheismus, der schon kleinste Abweichungen mit größter Härte als Häresie bestraft erschöpfen dürfte. Und dem steht eine Leere gegenüber: die der fehlenden Diskussionen darüber, die sich auch öffentlich bemerkbar machen. Nicht nur in Saudi-Arabien.
Von Kritikern des repressiven Rückschlages in Ägypten, der die Meinungsfreiheit nach der Revolte so wie Gefängnisfriseure die Haare von Häftlingen scheren, war im letzten Jahr häufig die Klage zu hören, dass der mit brutalen Mitteln geführte Kampf gegen die Muslimbrüder unterbrochen hat, was durch die Islamisten an der Macht im Gange war: die Diskussion darüber, welche Anforderungen das moderne Leben ans Muslime stellt, wie Religiöse darauf reagieren sollten, können, wie sie sich angesichts dessen als Muslime definieren etc.
Damit wird der zweite wunde Punkt der Stellungnahme des Hohen Kommissars der UN für Menschenrechte ansgesprochen: die Möglichkeit zur offenen Diskussion in arabischen und muslimischen Staaten, die eine Voraussetzung für solche Empörten-Demonstrationen gegen den IS wären: Sie wird mehr und mehr beschnitten. Das Demonstrationsrecht ist völlig ausgehöhlt - und wer geht schon auf die Straße, nur um Statements abzugeben, die von Staats wegen veranlasst werden nach dem Vorbild der Konferenzen zum Thema Usus. Viele arabsche Staaten fürchten seit 2011 große Demonstrationen und ersticken sie im Keim.
Wie solche Impulse schon im Kleinen erstickt werden, ohne dass die größere Öffentlichkeit davon überhaupt Notiz nimmt, kann man im Fall der Vereinigten Arabischen Emirate sehen, worüber etwa schon einige Twitter-Einträge von Iyad El-Baghdadi bezeichnende Schlaglichter werfen. Diese zeigen dann auch eine weitere Spur an, die wenig verfolgt wird: Dass sich hinter der Radikalisierung, von der die IS-Dschihadisten profitieren, ein Generationenkonflikt steht. Auch den will man nicht über Demonstrationen neu in die Diskussion bringen.