IS tötet koptische Geiseln in Libyen

Das jüngste Kriegspropaganda-Video hat neue Diskussionen über eine militärische Intervention in Libyen im Gefolge

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Äygptens Präsident as-Sisi hatte gestern Abend im Staatsfernsehen Vergeltung für die Ermordung der koptischen Geiseln durch den IS angekündigt. Heute Morgen gibt es erste Meldungen, wonach die Stadt Darna im Nordosten Libyens, unweit der Grenze zu Ägypten, von äpytischen Kampffliegern angegriffen wurde.

As-Sisi bei seiner Ansprache im Staats-TV; Screenshot

Schon zu Zeiten Gadaffis gab es Warnungen, dass sich die islamistischen Gruppen in Darna radikalisieren könnten. Seit einiger Zeit wird über IS-Milizen berichtet, die dort eine neue Basis errichten wollen, wie auch in Sirte.

Das IS-Video, das in bewährt brutaler Manier, den Blutrausch feiernd, die Ermordung von koptischen Geiseln vorführt, gehört zur Kriegspropaganda: Libyen wird als Teil des selbsternannten Kalifats präsentiert. Es ist das erste Tötungsvideo, das außerhalb von Syrien oder dem Irak gedreht wurde.

Opfer waren Kopten, die aus den ärmsten Regionen Ägyptens stammen. Sie waren am letzten Tag des Jahres 2014 und Anfang Januar 2015 in Sirte entführt worden. Die miserable wirtschaftliche Lage in Regionen Oberägyptens führt dazu, dass sich viele Tausende dazu entscheiden, nach Libyen um Brot und Arbeit zu gehen. Obwohl Milizenkämpfe Libyen zu einem gefährlichen Boden machen und Anschläge auf Kopten keine Seltenheit sind. Wie auch in Ägypten. Für die Kopten sind das beängstigende Zeiten.

Screenshot aus dem Video

Im IS-Video, das, ganz wie im vorherigem Propagandamaterial, mehrere Motive in seiner "blutigen Botschaft" aufnimmt, so zum Beispiel Bin Ladens Tod, wird der Hass auf Kopten gezielt geschürt, indem auf eine Geschichte verwiesen wird, die durchtränkt mit Gerüchten 2010 und 2011 für heftige Auseinandersetzungen und Animositäten zwischen Muslimen und Christen in Ägypten gesorgt hat.

Angeblich sollten Kopten die Frau eines Priesters namens Kamilia Shehata, die zum Islam konvertiert ist, mit Gewalt zur Rückkehr zum koptischen Glauben gezwungen haben. Die Angelegenheit wurde mit vielen Unterstellungen und Gerüchten aufgeladen, daraus entwickelten sich gewaltsame Auseinandersetzungen zwischen Muslimen und Kopten (vgl. Gerüchte und religiöser Wahn). Shehata widersprach später den kursierenden Geschichten; das böse Blut der Geschichte blieb. Im IS-Video wird von Rache für Kamilia und ihren Schwestern gesprochen.

Zum anderen mussten die 21 entführten Kopten als Opfer für das große Hirngespinst der IS-Milizen herhalten: ihren Kampf gegen die Kreuzzügler, "gegen Rom". "Brave mujahideen heroes execute a bunch of poor migrant laborers", war in einer Twitter-Meldung zu lesen und das bringt die Fallhöhe zwischen autosuggestivem Wahnsinn und einem nüchternen Blick auf wirkliche Verhältnisse bitter auf den Punkt.

Was die realen Verhältnisse betrifft, so muss sich die ägyptische Führung die Frage gefallen lassen, warum sie so wenig in der Sache unternommen hat, wie ihr vorgeworfen wird. Zwar sind die Möglichkeiten, Geiseln, die IS-Milizen in ihrer Gewalt haben, frei zu bekommen, ziemlich beschränkt. Eine gewaltsame Befreiung, wie sie Amerikaner planen können (siehe: der gescheiterte Versuch der Befreiung von US-Geiseln), steht Ägypten nicht zu Vergügung. Aber da das Land keine so plakative Feindbildwirkung hat wie die USA oder westliche Länder, wären ägyptischen Unterhändlern möglicherweise Türen offengestanden, die von türkischen Unterhändlern in einem anderen Geiselfall genutzt wurden.

Die realen Verhältnisse in Libyen, die bürgerkriegsähnlichen Zustände mit zwei Regierungen, die Kämpfe und Kampfbündnisse unterschiedlichster Milizen, haben die italienische Regierung dazu bewogen, ihre Diplomaten aus dem Land zu beordern. Dazu gab es von Außenminister Paolo Gentiloni Aussagen, die in Richtung militärischer Intervention gehen. Auch vom französischen Verteidigungsminister gab es schon im letzten Jahr ähnliche Bekundungen, allerdings auf die Südgrenze Libyens bezogen. Italien will die Sache Libyen vor die UN bringen, Ägypten auch. Zur Wirkung des IS-Videos gehört, dass eine militärische Intervention in Libyen wieder näher rückt.