IStGH: Israel und die USA machen weiter Druck

Ansicht des IStGH

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Die Haftbefehle gegen Netanyahu und Gallant kommen nicht. Stattdessen werden anonyme Vorwürfe lanciert. Doch der IStGH und die Niederlande können sich wehren.

Am 20. Mai 2024 reichte der Chefankläger des Internationalen Strafgerichtshofs (IStGH), Karim Khan, einen Antrag ein, Haftbefehle gegen die israelischen Führer Benjamin Netanyahu und Yoav Gallant wegen Kriegsverbrechen und Verbrechen gegen die Menschlichkeit, einschließlich der Ausrottung und des Aushungerns, zu erlassen.

In derselben Erklärung forderte Khan zudem, dass sämtliche Versuche, die Beamten des Gerichts zu behindern, einzuschüchtern oder unrechtmäßig zu beeinflussen, sofort eingestellt werden müssen. Wie berechtigt die Warnung war, zeigten nur wenig später gemeinsame Recherchen des Guardian und des Nahost-Portals +972, die umfangreiche Beeinflussungsversuche und Drohungen Israels gegen den IStGH belegen konnten.

Israel ist jedoch nicht der einzige Staat, der die Arbeit des IStGH behindert. Auch US-Gesetzgeber, das US-Außenministerium und Beamte des US-Nationalen Sicherheitsrats üben Druck aus und haben sogar mit Sanktionen gegen das Gericht gedroht.

Israel und die USA behindern die Arbeit des IStGH

Deshalb kann es nicht verwundern, dass der IStGH in Bezug auf die Palästina-Akte verstummte – und zwar fünf Monate lang. Dann, Anfang Oktober, wurden anonyme Behauptungen verbreitet, die den IStGH-Ankläger Karim Khan der Belästigung einer weiblichen Mitarbeiterin beschuldigten.

Khan bestreitet diese Vorwürfe und hat sie als Teil der Kampagne gegen ihn und das Gericht bezeichnet.

Doch nur wenige Tage später, am 20. Oktober 2024, gab der IStGH bekannt, dass Iulia Motoc plötzlich aus gesundheitlichen Gründen zurückgetreten ist. Motoc war bis dahin die Vorsitzende Richterin der dreiköpfigen Vorverhandlungskammer, die darüber entscheidet, ob Haftbefehle gegen Israels Premierminister und Verteidigungsminister verhängt werden.

Anonyme Vorwürfe wegen sexueller Belästigung

Wie Craig Mohikber in einem Beitrag für das US-Portal Mondoweiss darlegt, wurde Motoc durch die Richterin Beti Hohler ersetzt und Richter Nicolas Guillou soll jetzt den Vorsitz der Kammer übernehmen.

Angesichts der fünfmonatigen Verzögerung bei der Entscheidung über die Haftbefehle und des Wechsels der Richter kommen einigen Fachleuten ernsthafte Bedenken hinsichtlich der Funktionsweise des Gerichts.

Zum Vergleich: Eine Anfrage für einen Haftbefehl gegen den russischen Präsidenten Wladimir Putin wurde vom IStGH innerhalb von drei Wochen erfüllt. Im Durchschnitt benötigt das Gericht etwa acht Wochen, um Haftbefehle auszufertigen.

Fünf Monate Verzögerung und neue Richter

Und auch die Auswahl der neuen Richter scheint keineswegs zufällig. Zum Beispiel veröffentlichte Hohler 2015 einen Artikel, in dem sie vorschlug, dass Israel nicht durch den IStGH geprüft werden müsse, da das Land "im Allgemeinen ein gut funktionierendes Rechtssystem hat, an dessen Spitze ein angesehenes oberstes Gericht steht."

Und der neue Vorsitzende Richter Guillou kam mit einem ausgeprägten "Anti-Terror"-Profil nach Den Haag. Er diente zuvor als Verbindungsmann zum US-Justizministerium, wo er mit den USA an unter anderem Terrorismusverfolgungen auf dem Höhepunkt des sogenannten US-Kriegs "gegen den Terror" arbeitete.

Nichts davon beweise Unregelmäßigkeiten oder deute auf ein unethisches Verhalten der Richter hin, betont Mohikber. Aber die Meinungen, Erfahrungen und auch Voreingenommenheiten von Richtern hätten Gewicht. Jeder, der ein Gericht beeinflussen wolle, wisse das.

Dramatische Ungleichgewichte in der Strafverfolgung des IStGH

Überdies ist der Ruf des IStGH wegen eines seit seiner Gründung bestehenden, dramatischen Ungleichgewichts in der Strafverfolgung zweifelhaft. Das Gericht hat sich bisher fast ausschließlich auf Verbrechen von Afrikanern konzentriert und auf vermeintliche oder tatsächliche Gegner des Westens.

Doch es geht hier nicht nur um Reputation. Einmischungen wie die Israels und der USA in die Arbeit des IStGH sind nicht nur moralisch verwerflich, sondern können selbst auch einen Bruch des internationalen Rechts darstellen. Artikel 70 des Römischen Statuts lautet "Straftaten gegen die Rechtspflege" und definiert Verbrechen gegen den IStGH. Dieser kann auch solche Verbrechen verfolgen.

Zu solchen Verbrechen gehören "Behinderung oder Einschüchterung eines Bediensteten des Gerichtshofs oder Beeinflussung desselben durch Vorteilsgewährung mit dem Ziel, ihn zu zwingen oder zu veranlassen, seine Pflichten gar nicht oder nicht ordnungsgemäß wahrzunehmen; sowie "Vergeltungsmaßnahmen gegen einen Bediensteten des Gerichtshofs wegen von ihm oder einem anderen Bediensteten wahrgenommener Pflichten".

Straftaten gegen den IStGH sind justiziabel

Wer solcher Straftaten für schuldig befunden wird, muss mit Haftstrafen von bis zu fünf Jahren rechnen

Umgekehrt ist jeder Vertragsstaat des Römischen Statuts rechtlich verpflichtet, solche Straftaten zu verfolgen, wenn sie von seinen Staatsangehörigen oder auf seinem Territorium begangen werden. Zwar sind die USA und Israel keine Parteien des IStGH, die meisten seiner engsten westlichen Verbündeten allerdings schon.

Zusätzlich sind die Niederlande gemäß einer Gastlandvereinbarung mit dem IStGH verpflichtet, die Sicherheit und den Schutz des Gerichtspersonals zu gewährleisten und das Gericht in Den Haag vor Einmischung zu schützen.

Niederländische Staatsanwälte erwägen bereits rechtliche Schritte gegen hochrangige israelische Geheimdienstbeamte wegen ihres Drucks und ihrer Drohungen gegen IStGH-Beamte in den Palästina-Fällen.

Niederländische Staatsanwälte erwägen bereits rechtliche Schritte

Die Risiken für den IStGH und seine Beschäftigten sind real. Sowohl Israel als auch die USA haben gezeigt, dass sie keinen Respekt vor dem Völkerrecht haben und keine Bedenken haben, das Gericht zu bedrohen oder anderweitig zu korrumpieren.

Und der IStGH selbst hat noch einen langen Weg vor sich, um der Welt zu beweisen, dass er sich seiner mandatierten Rolle der universellen Gerechtigkeit verpflichtet fühlt, statt dem Westen als weiterer verlängerter Arm zu dienen.