Ian Stuart Leichsenring
Als prominenter Neonazi stirbt man einen Unfalltod nicht einfach so - alte Kameraden spekulieren über Mord
Wer verstehen will, wie sehr Neonazis dem „System“ und der „Beklopptenrepublik Scheußland“ misstrauen, dem sei die Diskussion um den Unfalltod des NPD-Politikers Uwe Leichsenring empfohlen. Auch wenn in Szeneforen und Stellungnahmen derzeit die Beileidsbekundungen an dessen Angehörige noch in der Überzahl sind, so wird zugleich wild spekuliert, mit dem Autounfall stimme etwas nicht. Er glaube „in diesem Staat“ nicht an einen Unfall, schreibt etwa ein Neonazi in einem Webforum. Andere „Kameraden“ spekulieren über Ähnlichkeiten zum Unfalltod des bekannten britischen Neonazis Ian Stuart Donaldson, 1993 Opfer eines Autounfall und heute als Märtyrer der Szene verehrt.
So fragt etwa der Münchener Kameradschaftsführer und NPD-Funktionär Norman Bordin in einem Szeneforum: „Hat der Staat seine Finger im Spiel?“ Er finde es merkwürdig, dass die NPD und deren Landtagsfraktion gerade in ihrer Hochburg Sachsen prominente Mitglieder „durch ‚Unfälle’ und ‚Krankheit’ verlieren“. Bemerkenswert, dass den als Zitat gekennzeichneten Begriffen ihre Glaubhaftigkeit abgesprochen wird und den Verschwörungstheorien um den Tod von Kerstin Lorenz neues Leben eingehaucht wird. Lorenz war bei der letzten Bundestagswahl NPD-Direktkandidatin in Dresden und infolge eines bei einer Wahlkampfkundgebung erlittenen Gehirnschlags verstorben. Jene „Zufälle“ plötzlicher Sterbefälle findet ein Forenuser denn auch „wirklich sonderbar“. Und ein anderer beantwortet Bordins Frage, welche Rolle der Staat bei Leichsenrings Tod spiele, mit einer weiteren: „Oder der Mossad?“ Dazu ein Neonazi: „Das wäre natürlich auch eine denkbare Erklärung, die nichtmal so abwägig ist.“
Jene Zusammenfassung der Diskussionen enthält all das, was Kenner der Szene an den Unfalltod von Ian Stuart Donaldson erinnert. Der Sänger der Neonazi-Kultband „Skrewdriver“ und Gründer des internationalen, militanten Neonazi- und Rechtsrock-Netzwerkes „Blood & Honour“ war 1993 bei einem Autounfall ums Leben gekommen. Rasch kursierten damals unter Rechtsextremisten die antisemitische Verschwörungstheorie, hinter dem Anschlag auf den prominentesten Rechtsrocker und international bekannten Hardcore-Nazi stecke der israelische Geheimdienst Mossad. Es habe sich also nicht um einen Unfall gehandelt, sondern um einen geschickt getarnten Mord, hieß es. Mancher deutsche Neonazi fühlt sich derzeit an einen anderen tödlichen Autounfall erinnert, nämlich „an den ‚Verkehrsunfall’ von“ drei „Kameraden“ Ende der 1990er Jahre. Die Opfer waren führende Köpfe der Neonazi-Szene gewesen und auch ihr Tod sorgte damals für wilde Spekulationen.
Auch wenn viele User in zahlreichen Szeneforen beteuern, nichts von Verschwörungstheorien zu halten, folgt oft der Zusatz, es sei „aber“ auffällig, „dass es gerade solche wichtigen Spitzenkräfte wie Leichsenring erwischen muss“. Danach folgt dann wiederholt der Hinweis auf Lorenz. Deren Tod dürfte wohl auch der sächsische NPD-Landtagsfraktionschef Holger Apfel im Hinterkopf gehabt haben, der in einer Stellungnahme „eine rückhaltlose Aufklärung der genauen Umstände (des) Todes (fordert), denn Uwe Leichsenring galt als sicherer Fahrer und war Inhaber einer Fahrschule. Wir werden uns mit allen parlamentarischen und rechtlichen Mitteln um eine Klärung der genauen Umstände des Verkehrsunfalls bemühen.“ Ähnliche vage Andeutungen, mit dem Unfall stimme etwas nicht, finden sich auch in NPD-nahe Internetforen, wo man Apfels Forderung nach „rückhaltloser Aufklärung“ etwa aufgreift, „um 100%-tig sicher zu sein, daß es auch wirklich ein Verkehrsunfall war und jegliche Manipulation ganz sicher ausgeschlossen werden kann!!!“
Anders als die NPD, die sich mittels solcher Andeutungen noch seriös gibt, denken Neonazis: „da wurde irgendwo an einem rädchen gedreht, aber die polizei wird warscheinlich den teufel tun um da näher nach zu forschen,“ schreibt jemand im Forum einer bekannten Rechtsrockband. In einem der wichtigsten Szene-Foren heißt es: „Wenn es sich um ein Verbrechen handeln sollte, dann läuft hier mehr verkehrt in unserem Land, als ich bisher glaubte.“ Christian Worch widerspricht den Mordtheorien zwar zuerst und findet, man möge mit Spekulationen vorsichtig sein. Doch dann ergänzt auch der bekannte Neonazianführer aus Hamburg in dem Forum etwas nebulös:
Wir haben im Laufe der vielen Jahre schon viele gute Männer auf solche Weise verloren. (...) Auch der besondes in der Musikszene unvergessene (...) Ian Stuart starb viel zu jung bei einem Unfall. Uns allen sollte das Mahnung sein, auf uns aufzupassen, wenn wir hinter dem Steuer sitzen. Nicht nur unseretwegen und mit Rücksicht auf die Sicherheit anderer Verkehrsteilnehmer, sondern vor allem unserer Verpflichtung dem Volk gegenüber.
Auch die Vertreter „von der anderen Feldpostnummer“ (Neonaziumschreibung) machen sich so ihre Gedanken zum Tod von Leichsenring. Bei dem linken Netzwerk Indymedia findet sich einiges an Häme: „Nun hat es Uwe erwischt,“ verkündet dort ein „Autor“ in einem „Bericht“ und weist süffisant auch auf die Tode von Kerstin Lorenz und deren Nachfolger als NPD-Direktkandidat, Franz Schönhuber, hin. Ein Poster findet zu den drei Todesfällen denn auch: „Vielleicht sollte man im (NPD-)Parteibuch mal auf die ‚Risiken und Nebenwirkungen’ hinweisen.“ Ein anderer fordert gehässig zu Leichsenring: „Mehr,mehr,...Überholmanöver!!“ Ein anderer Linker höhnt: „Da bekommt die Parole ‚Gebt den Nazis die Straße zurück...’ gleich einen ganz anderen Sinn ;)“ Welchen, stellt dieser Kommentar bei Indymedia fest: „Ey der Name ist falsch geschrieben, der heißt Uwe LEICHENRING!!!“