"Ich bin nicht rechtsextrem, sondern nationalistisch"
Marine Le Pen gibt sich als Retterin der Grande Nation vor Islamisten und Europa und buhlt mit der UMP um die rechte Wählerschaft
Kampf gegen Halal-Fleisch und die "Euro-Ideologie": Marine Le Pen macht ihren Vater Jean Marie Le Pen alle Ehre und zieht der Regierungspartei UMP (Union pour un Mouvement Populaire) die Wähler ab. Präsident Sarkozys hingegen versucht wie 2007 mit seinen fremdenfeindlichen Avancen den Rechtspopulisten das Terrain abzugraben - unklar ist jedoch, ob die Rechnung diesen Mai nochmals aufgeht.
"Ich bin nicht rechtsextrem", poltert Marine Le Pen, Präsidentschaftskandidatin der französischen rechtspopulistischen Partei Front National (FN). "Ich bin nationalistisch und verteidige die republikanischen Werte". Das Motto ihres Wahlkampfes wiederholt sie, so oft es geht, in einschlägigen Interviews: Im Gegensatz zu ihrem Vater gibt sie die moderne, bürgerliche Rechte, wählbar für jeden Franzosen, der die Nase voll hat von den "korrumpierten Eliten".
Sie will die Grande Nation vor dem kulturellen und moralischen Verfall retten, preist sich als Wirtschaftsexpertin und schwört, dass Frankreichs nur mit einem Ausstieg aus dem Euro wieder zu seiner "wahren Größe" zurückfinden könne. Diese Ansichten unterstützen aktuell über 18 Prozent der Franzosen.
Marine Le Pen fühlt sich in der Mitte der Gesellschaft angekommen und lehnte es deshalb ab, mit anderen politischen "Randgruppen" wie der linken Front de Gauche öffentlich zu debattieren: Sie wolle echte Gegner wie die Favoriten der Wahl, Sarkozy oder Hollande. Vorbei sind auch die Zeiten, wo ihr Vater vom "guten alten Vichy-Regime" sprach oder als Folterer im Algerienkrieg in Misskredit geriet. Heute müssen die französischen Rechten keine Kolonien mehr verteidigen, sondern das Kernland. Und zwar gegen Migranten und die "Islamisierung" Frankreichs.
Halal-Fleisch: Stimmung machen mit einer erfundenen Behauptung
Sich auf "republikanische Werte" zu berufen kann alles und nichts bedeuten - jeder "gute" Franzose ist auch Republikaner und stolz auf die Herstellung der ersten Republik, die Abschaffung der Monarchie und die Einführung von demokratischen Rechten. Die Tradition der "Freiheit, Gleichheit und Brüderlichkeit" vereinnahmt Marine für sich als "wahre Demokratin" - allerdings gilt das natürlich nur für "echte" französische Staatsbürger.
Das kann gefährlich und gleichzeitig lächerlich sein. Marine Le Pens neuester Coup ist der Feldzug gegen Halal-Fleisch, also nach islamischem Brauch geschlachtetes Fleisch. "Franzosen christlichen Glaubens" würden von Muslimen gezwungen, geschächtetes Fleisch zu essen - für sie ein weiterer Beweis der "Islamisierung Frankeichs". Ihre Behauptung, dass ganz Paris ausschließlich mit Halal-Fleisch beliefert würde, hat sich mittlerweile als schlicht erfunden herausgestellt.
Doch Le Pen hat ihr Ziel erreicht: Mehrere Tage wurde diese Behauptung diskutiert, sie wurde zu Talkshows ins Radio und Fernsehen eingeladen, um ihre schrägen Thesen zu vertreten. Während sich herausgestellt hat, dass nur rund 2,5 Prozent des nach Paris gelieferten Fleisches Halal ist, stiegen die Umfragewerte von Madame Le Pen - partie gagnée!
Umfragen und Einwanderungspolitik
Ähnlich ging es zu, als sie vor zwei Jahren behauptete, dass auf der Straße betende Muslime die öffentlichen Plätze besetzen würden wie deutsche Soldaten im zweiten Weltkrieg. Damals stimmten ihr in Umfragen nicht nur FN-Wähler, sondern auch 15 Prozent der konservativen Wählerschicht uneingeschränkt und knapp 40 Prozent überwiegend zu. UMP und FN setzen beide im Wahlkampf auf Fremdenfeindlichkeit, denn in der Krise fühlen sich immer mehr Franzosen imaginär durch Einwanderer bedroht.
Nach einer IPSOS-Studie vom letzten August glauben 54 Prozent der französischen Bürger, dass die Einwanderung einen eher schlechten Einfluss auf ihr Land hat und 52 Prozent denken, dass es "zu viele Migranten" gibt. Und nach einer Umfrage des Meinungsforschungsinstitutes CSA von 2011 glauben 26 Prozent der Franzosen sogar, dass die Einwanderer ihr Leben sehr viel schwerer machen.
Diese Zahlen kennt auch die regierende UMP, die ihrem Kandidaten Sarkozy in zwei Monaten den Präsidentensitz sichern will. So schüren FN und Regierung seit fünf Jahren die Angst um die Einwanderung und buhlen um die Gunst der rechts-konservativen Wählerschaft. Allein das aggressive Vorgehen von Sarkozy gegen Sinti und Roma ("Wir sind genauso Franzosen wie alle anderen auch") hatte in ganz Europa Empörung hervorgerufen. Sein Innenminister Claude Guéant wurde für seine Politik und öffentlichen Skandaläußerungen von Marine le Pen schon als "Ehrenmitglied der FN" begrüßt - natürlich nur ironisch. Guéant brüstet sich mit Abschiebezahlen von Migranten.
"Nicht alle Kulturen von gleichem Wert"
Rund 32 900 abgeschobene Flüchtlingen im Jahr 2011 seien ein neuer Rekord, verkündete der Innenminister im Januar auf einer Pressekonferenz in Paris. 2012 sollen es sogar 35.000 werden. Auch versucht der Minister die Zahl der ausgestellten Asylanträge künstlich niedrig zu halten. So berichtete die Tageszeitung Liberation, dass Guéant den betreffenden Stellen Quoten vorgebe. Auch für ausländische Studenten hat der Minister die Bestimmungen verschärft: Diese müssen mindestens 615 Euro auf ihrem Konto nachweisen, wenn sie ihr Visa verlängern wollen - eine Steigerung um 30 Prozent. Diese Maßnahmen krönte die öffentliche Äußerung Guéants vor einigen Monaten, dass "nicht alle Kulturen von gleichem Wert seien".
Das alles gehört zur Wahlkampagne von Sarkozy. Schließlich ist dieser 2007 vor allem für seine Kampagne gegen die "racaille", "das Gesindel", der Pariser Vororte und die "illegale" Einwanderung" gewählt worden. In seiner jetzigen Wahlkampagne bleibt sich der amtierende Präsident treu: Er kündigte an, mit einem Referendum über die Verschärfung der Einwanderungsgesetze abstimmen lassen zu wollen. Damit soll die Familienzusammenführung erschwert, Abschiebungen erleichtert und die Arbeitsmigration reduziert werden.
Sarkozy und die FN-Wähler
Wie nahe Sarkozy den Rechtspopulisten ist, lässt sich auch an seinem Umfeld ablesen: Der langjähriger Berater und Einflüsterer des amtierenden Präsidenten, Patrick Buisson, stand früher der FN nahe und schrieb für rechtsextreme Zeitungen. Buisson wirkte unter anderen in den 1980er Jahren an einem Bildband über Le Pen mit und veröffentlichte ein befürwortendes Buch über die rechte Terrororganisation OAS, die gegen die Unabhängigkeit Algerien Attentate verübte und in dem General de Gaulle unter anderem als Verräter bezeichnet wird, weil dieser Algerien nach einem blutigen Krieg aufgab. Nicht wenige behaupten in Frankreich, dass Sarkozy ohne die Nachhilfe Buissons in rechtem Populismus 2007 niemals Präsident geworden wäre.
Damals ging Sarkozys Rechnung auf. Jean Marie Le Pen schied in der ersten Runde mit "nur" 10,4 Prozent aus dem Präsidentschaftsrennen. Fünf Jahre zuvor jedoch lag er mit über 16 Prozent vor dem sozialistischen Kandidaten Lionel Jospin und trat gegen Jacques Chirac in der zweiten Runde an - ein bis heute tiefsitzender Schock für Frankreich. Auch wenn die Umfragewerte derzeit noch höher als 2002 sind und zwischendurch sogar bei über 20 Prozent lagen, sieht es aufgrund der guten Umfragewerte für den sozialistischen Kandidaten François Hollande derzeit nicht so aus, als ob es Marine Le Pen in den zweiten Wahlgang schaffen wird. Im Gegenteil.
Sie muss befürchten, dass ihre Stimmen letztendlich Sarkozy, ihrem erklärten Erzfeind, anheim fallen. Dieses Mal lohnt es sich für Sarkozy sogar richtig und es könnte ihm seinen Präsidentensessel retten: Die FN ist in den Umfragen die drittgrößte Partei. Mit den Stimmen der FN käme der Präsident immerhin auf an die 45 Prozent, heute liegt er hinter dem Sozialisten Hollande bei schlappen 26 Prozent. Doch ist noch nicht gesagt, wie viele der FN-Wähler in der zweiten Runde wirklich für Sarkozy stimmen.
Die Stimmen der Bürgermeister
Probleme könnte auch Marine Le Pen bekommen, wenn ihre Kandidatur nicht anerkannt wird. Denn um zum ersten Wahlgang zugelassen zu werden, müssen die Kandidaten 500 Unterschriften von regionalen Bürgermeistern sammeln. Bei den Rechten war es schon 2007 knapp, damals schafften sie es etwas über 550 Unterschriften. Dieses Mal jedoch soll Marine Le Pen große Probleme haben, genug Fürsprecher zu finden. Ein Grund dafür ist die Veröffentlichung der "Wahlpaten" nach der Zulassung der Kandidaten. Viele Bürgermeister trauen sich nicht, öffentlich für die rechtsextreme Kandidatin zu stimmen.
Deshalb plädiert Le Pen nun für die Anonymisierung der Patenschaften. Erstaunlicherweise profitieren in Frankreich ausschließlich die rechten Parteien von Protestwählern und der Krisenstimmung. Die Parteien links von den Sozialisten wie die Front de Gauche oder die NPA (Nouveau Parti Anticapitaliste) hingegen liegen weit abgeschlagen bei 8 bzw. nur einem Prozent. Der Figaro berichtet sogar, dass viele junge Leute aus der "extremen Linken" zur FN überwechselten. Allein die Jugendorganisation der FN habe seit Januar rund 2000 neue Anhänger gewonnen.