"Wir sind genauso Franzosen wie alle anderen auch"
Frankreichs Präsident Sarkozy hat härtere Repressionen gegen Roma angekündigt. Deren Alltag ist allerdings schon schwer genug. Und Roma ist auch nicht gleich Roma
Laurent El Ghozi ist Sprecher der Organisation FNASAT - Gens du voyage. FNASAT vertritt in Frankreich das „fahrende Volk“ - also Menschen, die ein nomadisches Leben führen. Er erklärt, warum die Androhungen von Präsident Sarkozy gegen die Minderheit nichts Neues sind und wie man im Elyseepalast versucht, im rechten Lager zu fischen, um das Image der Regierung aufzubessern.
Vor zwei Wochen wurde in der Bretagne ein junger Roma von der Polizei erschossen, daraufhin kam es zu Ausschreitungen: Nun hat Sarkozy eine schärfere Gangart gegenüber der Volksgruppe angekündigt. Wie hat Ihre Gemeinschaft auf die politischen Attacken reagiert?
Laurent El Ghozi: Die Polizei hat einen jungen Mann getötet, der zu uns gehörte - in Frankreich nennen wir uns „gens du voyage“ (reisende Leute). Die genauen Umstände sind immer noch unklar - es steht Aussage gegen Aussage. Die Polizei hat ihn während einer Polizeikontrolle erschossen. Danach wurde eine Bäckerei demoliert sowie einige Autos angezündet.
Doch das ist nicht der Grund, warum nun die ganze Gemeinschaft der „gens du voyage“ belangt wird. Der französische Präsident hat derzeit ein großes Imageproblem mit der „Affaire Bettencourt“ (siehe "Die Oberschicht ist die einzige Klasse, die noch wirklich kollektiv und solidarisch funktioniert"). Letzten Freitag hat er entschieden, gegen uns Maßnahmen einzuleiten, da es von uns zu viele gebe und wir angeblich alle straffällig seien. Dabei hat er die französischen „gens du voyage“ und die Migranten aus Osteuropa in einem Atemzug genannt. Das sind aber zwei verschiedene Paar Schuhe.
Wir leben einfach nur anders
Was kommt in der nächsten Zeit auf Sie zu?
Laurent El Ghozi: Innenminister Hortefeux hat angekündigt, in den nächsten drei Monaten rund die Hälfte der etwa 300 illegalen Camps zu zerstören. Wir wissen nicht welche, wir wissen nicht, ob damit die Elensviertel der Rumänen oder unsere Camps gemeint sind. Unklar ist auch, warum gerade 50 Prozent. Zudem werden unsere illegalen Camps wie auch die Barackensiedlungen der Rumänen seit 20 Jahren regelmäßig geräumt.
Das ist überhaupt nichts Neues. Diesmal hat sich die Politik nur sehr viel vorgenommen – das ist in diesem Zeitraum einfach nicht realistisch. Die Ankündigungen der Regierung sind Teil eines großen Ablenkungsmanövers, ein mediales Spektakel. Damit sollen andere Probleme maskiert werden.
Was ist der Unterschied zwischen den „gens du voyage“ und den Roma aus Osteuropa?
Laurent El Ghozi: In Frankreich gibt es keine ethnische Minderheit – es gibt nur französische Staatsbürger. Die „gens du voyage“ sind Franzosen, die sich entschieden haben, in Wohnwagen zu leben. Sie sind Teil der Roma-Gemeinschaft, dem europäischen fahrenden Volk. Diese sind schon im 14. Jahrhundert von Nordindien nach Europa gekommen – und haben sich hier auf alle Länder verteilt.
Bis heute teilen die „Roma“ kulturelle Gemeinsamkeiten betreffs des Lebensstils, der Sprache, der Sitten und Gebräuche. Die „gens du voyage“ sind der französische Teil der Gemeinschaft: Sie haben sich hier schon vor vier bis fünf Jahrhunderten angesiedelt. Wir sind Franzosen, viel französischer als alle Immigranten, die nach uns nach Frankreich kamen. Wir leben einfach nur anders: in Wohnwagen, ohne festen Wohnsitz, mit einer eigenen Kultur und sprachlichen Eigenheiten. Die Roma aus Osteuropa, speziell aus Rumänien, sind Bürger der europäischen Gemeinschaft, die nach Frankreich übergesiedelt sind – sie unterliegen ganz anderen Bestimmungen als wir.
Wie viele Roma leben in Frankreich?
Laurent El Ghozi: Wir sind rund 400.000 fahrende Leute. Rund ein Drittel wechselt seinen Wohnort sehr regelmäßig, ein Drittel reist nur sehr sporadisch und das letzte Drittel bewegt sich so gut wie gar nicht. Die ausländischen Roma, die in Frankreich einreisen, kommen meist aus Rumänien, ein Teil auch aus dem Kosovo. Sie kommen seit Ende des sozialistischen Regimes nach Westeuropa. Sie machen nur ein winzigen Teil unserer Bevölkerung aus, rund 12000 Menschen.
Die Regierung weiß nicht viel
Die französische Regierung hat mit der Abschiebung osteuropäischer Roma gedroht: Wie steht es um ihre rechtliche Situation?
Laurent El Ghozi: Seit 2006 sind sie europäische Bürger, aber die französische Regierung hat gleich nach dem Beitritts Rumäniens „grenzüberschreitende Maßnahmen“ ergriffen, um die Integration der Bulgaren und Rumänen in Frankreich so gut wie unmöglich zu machen. Sie können für drei Monate mit einem Touristenvisum einreisen, aber danach problemlos abgeschoben werden.
Für sie ist es so gut wie unmöglich, eine Arbeit zu finden – außer wenn sie Arzt oder Ingenieur sind, was nie der Fall ist. Es ist sehr schwer für sie, sich zu integrieren. Deshalb leben sie in Elendsvierteln in heruntergekommenen Wohnwagen, an den unmöglichsten Plätzen – und diese sind oft illegal. Abschiebungen sind also nichts Neues: sie finden ständig statt.
Was meint Präsident Sarkozy wenn er auch von Vertreibungen der „gens de voyage“ spricht?
Laurent El Ghozi: Wenn die Regierung davon spricht die „gens du voyage“ und die rumänischen Roma abzuschieben, weiß niemand, was das heißen soll. Denn den französischen „gens du voyage“ werden gesetzlich bestimmte Plätze für ihre Camps zugewiesen. Allerdings gibt es derzeit statt der 42 000 vorgeschriebenen Plätze bis jetzt nur rund 14 000.
Wenn die französischen „gens du voyage“ sich nicht an die vorgegebenen Plätze halten und illegal campen, können sie auch vertrieben werden – aber nicht außer Landes, sondern nur von dem illegal besetzten Terrain. Es gibt also zwei Arten von Vertreibung: Einmal von einem illegal besetzten Platz und im Fall der Rumänen die Abschiebung zurück ins Heimatland.
Was erwartet sie dort?
Laurent El Ghozi: Für die rumänischen Roma ist es unmöglich, in ihrem Land zu leben. Sie sind dort Opfer einer noch viel schärferen Diskriminierung. Deshalb kommen sie immer wieder. Oftmals werden sie zur französischen Grenze gebracht und kehren dann gleich wieder um. Oder sie sind für ein paar Wochen in Rumänien und kommen dann zurück, es sind oft dieselben. Ihre Situation ist also mit den französischen „gens du voyages“ nicht zu vergleichen.
Arbeiten die französischen Roma-Organisationen mit den eingewanderten Roma zusammen?
Laurent El Ghozi: Wir kümmern uns schon sehr lange um französische wie ausländische Roma. Wir bekommen sogar Subventionen vom Staat, damit wir uns um die Integration der rumänischen Roma kümmern. Vor allem geht es dabei um die Kinder und um die Einforderung von politischen Rechten.
Eine neue Dimension der Repression
Kommt dieser Angriff Sarkozys auf das fahrende Volk überraschend?
Laurent El Ghozi: Seit Sarkozy und sein Innenminister Hortefeux an der Macht sind, sind die Repressionen stark angestiegen. So wurden gezielt repressive Gesetze erlassen oder verstärkt. Seit 2002 gab es bezüglich der „gens du voyage“ acht Gesetzestexte, die ihre Freiheit immer mehr einschränken. Wir werden teilweise so behandelt wie junge Einwanderer – das ist diskriminierend für uns, aber natürlich ist auch die Situation der Migranten sehr schwierig.
Die aktuellen Maßnahmen sind nichts Neues. Im Gegenteil, das ist unser Alltag. Der einzige Unterschied ist, dass es in der nächsten Zeit etwas mehr Druck geben wird. Allerdings ist die Idee, Menschen unter bestimmten Umständen ihre Nationalität zu entziehen – so wie es die Regierung bei Straftätern derzeit diskutiert - eine neue Dimension der Repression. Sarkozy hat hier den Diskurs der Front National aufgegriffen und fischt eindeutig im rechten Lager, um seine Wählerschaft zu mobilisieren. Er hat Angst, seinen Einfluss auf die französische dogmatische sowie die moderate Rechte zu verlieren – vor allem aufgrund der Spendenaffaire. Er muss sich also profilieren.
Was fordern Sie von der Politik?
Laurent El Ghozi: Die Verbesserungen, die wir einfordern, sind weder revolutionär noch linksextrem, sondern schlicht die Umsetzung der bereits bestehenden Gesetze und Vorordnungen – auf europäischer wie auf nationaler Ebene. Ein Beispiel ist die Wahlberechtigung: Alle Franzosen können diese nach sechs Monaten haben, wir müssen drei Jahre auf sie warten. Zudem gibt es noch lange nicht so viele Plätze, wie uns eigentlich zur Verfügung gestellt werden müssten. Diskriminierend ist auch, dass wir uns alle drei Monate bei der Polizei melden müssen. Wir sind genauso französische Staatsbürger wie alle anderen auch.
Und was die Roma aus Osteuropa betrifft?
Laurent El Ghozi: Das ist eine andere Situation: Es ist unverständlich, warum diese eine eingeschränkte Aufenthaltserlaubnis haben - im Gegensatz zu allen anderen europäischen Bürgern, die Frankreich frei betreten und hier leben können. Es geht vor allem darum, dass sie die Erlaubnis haben, hier zu arbeiten. Dann können wir ihnen auch helfen, eine Arbeit und einen Wohnort zu finden und sie integrieren.
Derzeit werden wir von einer absolut dummen Politik regiert: Wir schieben die Leute ab, damit sie dann einige Monate später wieder einreisen. So wird eine Minderheit geschaffen, auf die die Rechten in diesem Land ihren Frust und Hass entladen kann. Selbst die Europäische Union hat Frankreich aufgrund seiner repressiven Politik gegenüber den rumänischen Zigeunern abgemahnt.
Den Nomaden hat man schon immer misstraut
Welchen Vorurteilen begegnen Sie in Ihrem Alltag?
Laurent El Ghozi: Die „gens du voyage“ sind seit Jahrhunderten Opfer von Anschuldigungen: vom Hühnerdieb bis Kinderdieb. Uns geht es wie allen Minderheiten – vor allem nomadischen Minderheiten. Den Nomaden hat man schon immer misstraut: Man weiß nicht wo sie hingehen und wo sie herkommen. Das provoziert den Ausschluss und Vorurteile.
In Frankreich heißt das konkret: Niemand will, dass wir uns auf seinem Grund und Boden niederlassen. Die Bürgermeister grenzen nicht ein bestimmtes Terrain ab, das für uns vorgesehen ist. Oftmals lehnen die Schulen es ab, unsere Kinder aufzunehmen. Die Banken geben uns nur Kredite mit immensen Zinssätzen, weil sie Angst haben, uns nicht zu finden – was kompletter Blödsinn ist. Zudem werden uns eine Reihe von bürokratischen Hürden auferlegt, die ein sesshafter französischer Staatsbürger nicht erfüllen muss. Das bringt enorme Probleme mit sich und verschärft sowohl unsere Isolation als auch die Vorurteile der Ansässigen.