Ich bin's nicht, der Russe ist's gewesen
Themen des Tages: Ein ehrlicher Nebensatz von Außenministerin Baerbock. Kommende Gaskriege. Und ein vernichtendes Urteil über die Europäische Zentralbank
Liebe Leserinnen und Leser,
im Netz tobt zum Ende dieser Woche ein Glaubens- und Interpretationskrieg um einen Nebensatz. Weltweit drohen neuen Energiekriege. Und die EZB kommt im Expertenurteil nicht gut weg.
Doch der Reihe nach.
Was ein Nebensatz in Prag aussagt
Annalena Baerbock hätte auf der Podiumsdiskussion am Mittwoch in Prag so viele Formulierungen wählen können, als sie über die Politik der Bundesregierung und der EU zur Ukraine sprach. Aber sie wählte eben diese. "Wir stehen an eurer Seite, solange ihr uns braucht", sagte sie gen Kiew gewandt, "egal, was meine deutschen Wähler denken."
Sie hätte sagen können: Wir wissen, dass die energiepolitische Abkehr von Russland bei uns Probleme schafft, wir werden aber für diese Linie werben. Sie hätte sagen können: Wir nehmen die Ängste der Menschen in Deutschland ernst, werden unsere Haltung aber erklären. Oder, oder, oder.
Nachdem die Sache publik wurde, brach im Netz ein Glaubens- und Interpretationskrieg aus, der viel über die Funktionsweise des politischen und medialen Betriebs sagt: Gegner der Bundesministerin und ihrer Partei werfen ihr Demokratiefeindlichkeit vor, die AfD versucht aus der Sache, wie aus jedem Fehler der Ampelkoalitionäre, politisches Kapital zu schlagen. Befürworter der Grünen sehen just dieselben Aussagen als Beleg für Manipulation der Gegenseite.
Befeuert wurde die Debatte durch einen Tweet von Peter Ptassek, dem, wie wir gelernt haben, Beauftragten für strategische Kommunikation im Auswärtigen Amt. Er sah gleich russische Desinformation am Werk. Damit stemmt man das Außenamt nach einer erneut unglücklichen Formulierung der deutschen Chefdiplomatin gegen die Shitstorm-Kultur im Netz, was ihm nur bedingt gelingt.
Wieso hat das Außenamt die Aussagen nicht längst in voller Länge dokumentiert und ist die Offensive gegangen? Warum fällt es den Beamten am Werderschen Markt so schwer, zu sagen: Shit happens, das war blöd formuliert? Stattdessen präsentiert das Amt auch am Tag drei nach dem Wähler-egal-Satz seine eigene Wahrheit in einem verschämt verknappenden Text.
Bei sich selber sieht man keine Schuld. Denn der Russe war’s gewesen. Mit diesem Mangel an Selbstkritik zumindest bleibt man sich im Außenamt treu, völlig unabhängig, wer gerade an der Spitze steht.
Dabei war doch klar, dass russische oder auch prorussische Akteure in Zeiten von Krieg und Desinformation einen solchen Fauxpas freudig nutzen, um die Aussagen auszuschlachten. Sie wären ja blöd, würden sie es nicht tun.
Dabei hat Außenministerin eine einfache Wahrheit ausgesprochen: Kriege und Kriegsbeteiligungen werden von Regierungen fast immer gegen die Bevölkerung durchgesetzt, no matter what German voters think. Das war bei dem Afghanistan-Krieg so, der menschenrechtlich begründet wurde und in jeder Hinsicht in einer Menschenrechtskatastrophe für die Afghaninnen und Afghanen endete. Das ist so bei der Frage der atomaren Teilhabe.
Und wie war das nochmal mit dem 100-Milliarden-Euro-Aufrüstungspaket der Bundesregierung gelaufen? Selbst in der SPD-raunte man am Tag nach der Zeitenwende-Rede von Olaf Scholz am Tag danach, der Kanzler habe nach dem OWD-Prinzip entschieden: Olaf will das. Und Annalena eben auch.
Artikel zum Thema:
Thomas Pany: Baerbock und die Desinformationskampagne: Aber sie hat es doch gesagt
Redaktion Telepolis: "… egal, was meine deutschen Wähler denken"
David Goeßmann: Warum der Höhenflug der Grünen im Desaster enden könnte
Gaskriege und Inflation
Hans-Josef Fell, Präsident der Energy Watch Group und Mitautor des Erneuerbaren-Energien-Gesetzes, verweist darauf, dass die Diversifizierung neuer Erdgaslieferungen aus fernen Ländern nur in geringem Umfang möglich ist.
So hat Katar erst kürzlich mitgeteilt, dass es die großen LNG-Mengen, die Deutschland erwartet, in den nächsten Jahren gar nicht liefern kann. Und auch Kanada war beim jüngsten Besuch von Bundeskanzler Scholz und Wirtschaftsminister Habeck sehr zurückhaltend, was die deutschen Wünsche nach LNG-Lieferungen betrifft.
Hans-Josef Fell
Offenbar münde die Diversifizierungsstrategie Deutschlands und der EU nur in neue geopolitische Spannungen, so Fell, der auf einen Artikel in der Zeitung The New Arab berichtet, nach dem Frankreich Truppen in den Krieg nach Jemen entsenden will. Das Ziel: Erdgasexporte im LNG-Terminal Balhaf in der umkämpften Provinz Shabwa vorzubereiten und militärisch zu sichern.
Zu einer scharfen Kritik an der Europäischen Zentralbank holt heute bei Telepolis der Wirtschaftswissenschaftler und ehemalige Staatssekretär Heiner Flassbeck aus. Die Geldpolitik der EZB führe dazu, dass "viele Millionen Menschen leiden werden".
Man habe aus den Ölkrisen des vergangenen Jahrhunderts nichts gelernt und macht einen noch viel schlimmeren Fehler als damals. "War es damals ein Boom bei deutlich steigenden Löhnen, den die Geldpolitik brutal abwürgte, ist es diesmal eine Rezession, die von der Geldpolitik massiv verstärkt wird", so Flassbeck.