"Ich sehe eine Tendenz der Medien, selbstkritischer zu arbeiten"
- "Ich sehe eine Tendenz der Medien, selbstkritischer zu arbeiten"
- "Jeder Befragte interpretiert den pauschalen Begriff 'die Medien' anders"
- Auf einer Seite lesen
Kim Otto im Interview über seine Auswertung der Ergebnisse des Standard-Eurobarometer
"Einen so starken Anstieg des Vertrauens in die Presse wie im November 2016 haben wir seit dem Jahr 2001 nicht mehr gesehen", sagt Kim Otto, Professor für Wirtschaftsjournalismus an der Universität Würzburg im Interview mit Telepolis.
Zusammen mit seinem wissenschaftlichen Mitarbeiter Andreas Köhler hat Otto Umfragedaten des Eurobarometers ausgewertet (siehe "Medienvertrauen so hoch wie nie seit 15 Jahren") und festgestellt, dass im Jahr 2016 das Vertrauen der Deutschen in die Presse um zehn Prozentpunkte auf 55,7 Prozent angestiegen ist.
Otto geht davon aus, dass die Diskussion um die journalistische Arbeit, wie sie seit geraumer Zeit öffentlich geführt wird, das Vertrauen der Mediennutzer in die Medien gestärkt hat. Medien, so Otto, würden ihre eigene Arbeit mehr reflektieren und stärker gegenüber den Zuschauern und Lesern darlegen, wie die Berichterstattung entsteht.
"Tendenz zu mehr Vertrauen"
Herr Otto, Sie haben die Daten für das Standard Eurobarometer ausgewählt und dabei festgestellt: Das Vertrauen der Deutschen in die Medien ist gestiegen. Wie sehen die konkreten Zahlen aus?
Kim Otto: Im Jahr 2016 vertrauten 55,7 Prozent der Deutschen der Presse. Gegenüber dem Vorjahr wuchs der Wert damit um zehn Prozentpunkte. Es ist der höchste Wert seit dem Jahr 2000. Auch dem Fernsehen vertrauen die Menschen in Deutschland wieder stärker als im Vorjahr. 60,5 Prozent der Deutschen geben an, dem Fernsehen zu vertrauen.
Das ist eine Steigerung um fast sechs Prozentpunkte gegenüber dem Vorjahr und der höchste Wert seit 2001 im Eurobarometer. Das höchste Medienvertrauen in Deutschland genießt auch im Jahr 2016 das Radio. 67,8 Prozent der Menschen in Deutschland vertrauen dem Radio. Gegenüber dem Vorjahr steigerte sich das Vertrauen um mehr als sieben Prozentpunkte.
Was konnten Sie noch feststellen?
Kim Otto: Besonders an den Rändern des politischen Spektrums hat das Vertrauen in die Medien zugenommen. 51 Prozent der Menschen, die sich auf der rechten Seite des politischen Spektrums sehen, vertrauen der Presse. Das sind 18 Prozentpunkte mehr als noch im Vorjahr.
Wie lautet die Frage, die an die Umfrageteilnehmer gestellt wurde?
Kim Otto: Für das Eurobarometer wird nach dem Vertrauen in verschiedene Institutionen gefragt. Die Frage lautet: Für die folgende Institution - tendieren Sie dazu, ihr zu vertrauen, oder tendieren Sie dazu, ihr nicht zu vertrauen? Diese Frage wird u.a. hinsichtlich der gedruckten Presse, dem Radio und dem Fernsehen gestellt.
Die Frage ist sehr pauschal gestellt. Welche Aussagekraft hat sie wirklich?
Kim Otto: Sie gibt eine Tendenz an. Und da diese Frage im Standard-Eurobarometer seit vielen Jahren genauso gestellt wird, in fast allen Ländern Europas, bietet sie über diesen langen Zeitraum die Möglichkeit des Vergleichs zwischen Zeiträumen, um Trends anzuzeigen, und zwischen verschiedenen Ländern. Und die Frage geht jeweils separat auf Presse, Hörfunk, Fernsehen und Internet ein.
Und das bedeutet?
Kim Otto: Das erhöht die Validität. In vielen anderen Umfragen wird nur nach dem Vertrauen in "die Medien" gefragt, was das Internet einschließt und dadurch eher zu Unschärfen führt. Denn den einzelnen Institutionen wird unterschiedlich stark vertraut, dem Internet beispielsweise viel weniger als anderen Medien. Zumal es sich bei "dem Internet" auch um einen sehr unkonkreten Begriff handelt.
Wird von "den Medien" gesprochen, ist nicht klar, was die Befragten in ihre Beurteilung einbeziehen. Die Vermischung von gedruckter Presse und Rundfunk mit privaten Websites, journalistischen Websites, sozialen Netzwerken, Blogs usw. führt dazu, dass jeder die Frage anders interpretiert und es somit nicht eindeutig ist, worauf diese sich bezieht. Das ist beim Standard-Eurobarometer, in den Fragen die wir ausgewertet haben, konkreter.
"Lügenpresse-Vorwürfe haben den tatsächlichen Stand des Medienvertrauens nicht widergespiegelt"
Kritik an der Berichterstattung gibt es seit geraumer Zeit. Medienkritik war wohl noch nie so breit und laut in der Bevölkerung verankert, wie das heute der Fall ist. Verweisen die Studienergebnisse tatsächlich auf eine grundsätzliche Veränderung im Hinblick auf das Vertrauen der Bürger in ihre Medien?
Kim Otto: Einen so starken Anstieg des Vertrauens in die Presse wie im November 2016 haben wir seit dem Jahr 2001 nicht mehr gesehen und der Wert ist so hoch wie seit langer Zeit nicht mehr. Gleichzeitig sind jedoch auch zehn Prozent Anstieg kein radikaler Umschwung. Haben beispielsweise - grob gerundet - 2015 fünf von zehn Menschen der Presse vertraut, so sind es 2016 sechs von zehn. Das Medienvertrauen war auch nie auf einem richtigen Tiefpunkt in den letzten Jahren, es war seit 2001 relativ stabil. Da wurde vieles dramatischer dargestellt, als es war.
Wodurch wurde Ihrer Meinung nach denn die Diskussion über die Arbeit der Medien ausgelöst?
Kim Otto: Sie wurde von den Lügenpresse-Rufen der Bewegungen wie Pegida am rechten Rand ausgelöst, aber hat den tatsächlichen Stand des Medienvertrauens nicht widergespiegelt. Aber sie hat dazu beigetragen, dass die Menschen sich mit den Medien auseinandergesetzt haben. Der öffentliche Diskurs über die Arbeit und Bedeutung der Medien hat deren Relevanz und das in sie gesetzte Vertrauen gesteigert.
Es gab auch von Seiten der Rundfunkanstalten und Medienhäusern Transparenzoffensiven infolge dieser Debatte. Im zweiten Halbjahr 2016 trug sicher auch die Berichterstattung über Fake-News und die Einschränkungen der Pressefreiheit in der Türkei dazu bei, dass die Deutschen Presse und Rundfunk wieder stärker wertschätzen.