Ideologie statt Hilfe
Deutschlands Entwicklungsminister Dirk Niebel kanalisiert Gelder in Südamerika für politische Gesinnungsfreunde und geopolitische Ziele
Der Bundeswehrreservist und amtierende Minister für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung, Dirk Niebel, hat sich um ein gutes Verhältnis zu Lateinamerika zuletzt nicht gerade verdient gemacht. Entgegen dem Votum aller Bundestagsfraktionen – auch seiner eigenen – blockierte er vor wenigen Wochen die deutsche Beteiligung an dem Umweltschutzprojekt Yasuní-ITT in Ecuador. In dieser Woche nun hält sich der FDP-Mann in Südamerika auf, um, wie er im Deutschlandradio sagte, die Werte der "freien Welt" zu vertreten. Am Donnerstag traf Minister Niebel in Kolumbien ein. Es erwarteten ihn dort nicht nur die engsten Partner der schwarzgelben deutschen Regierung – sondern auch massive Kritik.
Grund dafür ist die deutsche Beteiligung an einem Sicherheits- und Entwicklungsprogramm der kolumbianischen Führung in der Krisenregion Macarena in Zentralkolumbien. Nach Informationen der Nachrichtenagentur epd will das Entwicklungsministerium das Vorhaben in den Jahren 2011 und 2012 mit bis zu einer halbe Million Euro unterstützen. Die Gelder sollen in die Erstellung eines Umwelt- und Raumordnungskonzeptes im Rahmen des Plans zur Integralen Konsolidierung der Macarena fließen.
Das Problem: Die Region Macarena im Bundesstaat Meta ist seit Jahren Schauplatz schwerer Kämpfe zwischen linksgerichteten Guerillaorganisationen auf der einen Seite sowie Armee und Paramilitärs auf der anderen Seite.
Eine halbe Millionen Euro für das Kriegsgebiet
Auch das neue Programm wird von regierungsunabhängigen Akteuren vor Ort als Teil der Militärpolitik im Kampf gegen die Rebellen gesehen. Der deutsche Journalist Gerhard Dilger zitiert in einem epd-Bericht den katholischen Bischof José Figueroa Gómez, nach dem das geplante Regierungsprogramm in der Maracena-Region "militärisch geprägt" ist. Nicht nur Hilfsorganisationen vor Ort sehen die deutsche Beteiligung als Testballon für eine weitere entsprechende Förderung der umstrittenen Militärpolitik der kolumbianischen Führungen im Inneren. Auch in Berlin wächst die Sorge vor dem Kurswechsel in Kolumbien, den Niebel kurz nach Amtsantritt als Entwicklungsminister vor einem Jahr angekündigt hat.
Der Bundestagsabgeordnete der Grünen, Thilo Hoppe, spricht von einem Tabubruch und verweist auf die "desaströse Menschenrechtsbilanz der Streitkräfte" in dem südamerikanischen Land. Über alle Bedenken hinweg versuche die Regierung Merkel "der kolumbianischen Führung und ihren politischen Strategien Legitimität zu verleihen". Die Bundestagsabgeordnete der Linkspartei, Heike Hänsel, die als Mitglied der parlamentarischen Delegation mit dem Minister vor Ort ist, sieht das ähnlich. Kolumbiens amtierender Staatschef Santos sei als Armeeminister in der Vorgängerregierung für extralegale Hinrichtungen, Vertreibungen und die Zusammenarbeit mit Paramilitärs verantwortlich, sagte sie im Deutschlandradio.
Auch in einem vertraulichen Gutachten der staatlichen "Deutschen Gesellschaft für technische Zusammenarbeit" (GTZ), aus dem die Nachrichtenagentur epd zitiert, werden schwere Bedenken gegen eine engere Kooperation mit der kolumbianischen Führung geäußert. Die Region weise im Land mit die stärkste Präsenz von Streitkräften auf, heißt es in dem Dokument. Zugleich seien in Macarena die landesweit höchsten Mord- und Vertreibungsraten zu verzeichnen: "Hinzu kommt eine im Landesdurchschnitt überdurchschnittliche Minenopferrate."
In der Tat weist Kolumbien die weltweit zweithöchste Zahl von Binnenflüchtlingen auf. Vier Millionen Menschen sind im eigenen Land auf der Flucht. Eine höhere Zahl von Vertriebenen verzeichnet nur der Sudan. Den deutschen Minister Dirk Niebel tangiert das alles nicht. Die Bundesregierung sei der Meinung, dass sowohl Ex-Präsident Álvaro Uribe als auch der Amtsinhaber Manuel Santos "eine Menge zur Befriedung von Kolumbien beigetragen haben", sagte er gegenüber dem Deutschlandradio. Kolumbien bedürfe deswegen "der Unterstützung der freien Welt".
Beratung mit Oppositionellen in Bolivien
Dass der Berliner Minister die anti-neoliberalen Staaten Lateinamerikas nicht dazuzählt, konnte zu Wochenbeginn Boliviens Präsident Evo Morales merken. Ihm erteilte der FDP-Mann nach Berichten aus Delegationskreisen eine wahre Standpauke. Undiplomatischer Höhepunkt: Niebel überreichte dem Präsidenten und Vorsitzenden der "Bewegung zum Sozialismus" ein Bruchstück der Berliner Mauer. Dies sei ein Zeichen für das Ende von 40 Jahren sozialistischer Diktatur, so der Kommentar des Gastes.
Dass dies kein Fauxpas war, wurde angesichts des Programms in dem Andenstaat deutlich: Dort kam Niebel mit zahlreichen Vertretern der Opposition gegen Staatschef Morales zusammen, wie Telepolis aus dem Ministerium erfuhr. Demnach kam der FDP-Politiker mit dem Politiker Juan del Granado von der Partei "Movimiento Sin Miedo" zusammen. Treffen fanden zudem mit dem Ex-Präsidenten Carlos Mesa und dem Senator Oscar Ortíz von der rechten Oppositionspartei Podemos sowie Eduardo Rodríguez Vetze statt.
Hinter diesen Treffen stehen durchaus strategische Überlegungen. Die in Bolivien präsente und CDU-nahe Konrad-Adenauer-Stiftung (KAS) hatte nach den Regionalwahlen in Bolivien am 4. April dieses Jahres ein Erstarken der Opposition gegen die Regierung Morales festgestellt. Seit dieser Wahl "häufen sich Konflikte mit verschiedenen Sektoren der Gesellschaft", hieß es in einem Bericht der KAS aus Bolivien. Diese Konflikte könnten die Regierung in Bedrängnis bringen und ließen zudem vermuten, "dass ihre Allmachtstellung doch nicht so unanfechtbar ist wie bisher vermutet".
Beim Treffen mit der deutschen Delegation habe die Vertreterin der CDU-nahen Stiftung deutlichere Worte gefunden, sagte die Bundestagsabgeordnete Heike Hänsel gegenüber Telepolis: "Die Dame erweckte den Eindruck, als ob in Bolivien eine Diktatur herrsche", so Hänsel, die einer ähnlichen Stimmung in deutschen Unternehmerkreisen in Bolivien begegnete.
Zunehmende Rolle der Parteistiftungen aus dem Regierungslager
Hänsel macht die selektive Wahrnehmung von Menschenrechten und Freiheiten auch an den Gesprächen während der zweiten Reisestation in Peru aus. Nach Angaben des deutschen Botschafters in Lima, Christoph Müller, hat sich die Lage unter dem Präsidenten Alán García hervorragend entwickelt. García ist neben seinem Amtskollegen Santos in Kolumbien einer der letzten Verfechter von Freihandel und Marktradikalismus in Südamerika.
"Auf die Vorwürfe der Wahrheitskommission, nach denen die Regierung nicht bereit ist, die zahlreichen Menschenrechtsverletzungen von Armee und Guerilla während des so genannten schmutzigen Krieges ernsthaft aufzuarbeiten, wurde kein Wort verloren", so Hänsel. Während in Bolivien die Entwicklungszusammenarbeit zurückgefahren wird, konnte sich die neoliberale Führung in Peru über Zusagen von bis zu 200 Millionen Euro bis zum Ende des kommenden Jahres freuen.
Versucht die deutsche Bundesregierung tatsächlich, Bündnispartner ungeachtet von rechtsstaatlichen Zielen und Menschenrechtsbilanzen zu stärken, wie es der Grünen-Parlamentarier Hoppe im Fall von Kolumbien vermutet? Dafür spricht die starke Präsenz der Parteistiftungen von Union und FDP in der Region. Teil der Delegation Niebels ist nicht nur Bernhard Waldersee, der Lateinamerika-Beauftragte des Auswärtiges Amtes, sondern auch sein Abteilungskollege aus dem Entwicklungsministerium, Harald Klein, der zuvor für Lateinamerika in der FDP-nahen Friedrich-Naumann-Stiftung tätig war. In Bolivien kam die deutsche Delegation folglich mit Vertretern der CDU-nahen KAS und der CSU-nahen Hanns-Seidel-Stiftung zusammen. Auch das Programm in Kolumbien wird Freitagfrüh durch ein Treffen mit Vertretern deutscher Stiftungen eingeleitet. Mit dabei: die Adenauer-Stiftung und die Seidel-Stiftung.