Ideologische Wiederbewaffnung
Der Fall Günzel wirft Grundsatzfragen über den Mangel demokratischer Tradition in der Bundeswehr auf. Welche Rolle spielt die Geschichte der deutschen Armee noch?
Bis zu seinem Rauswurf aus der Bundeswehr hat Brigadegeneral Reinhard Günzel in der Öffentlichkeit kaum eine Rolle gespielt. Weder in militärpolitischen Kreisen, Ministerien oder der NATO hatte der 59-Jährige während der vergangenen Jahrzehnte Ämter wahrgenommen. Seit seinem Karrierestart als Berufsmilitär bei den Fallschirmjägern in Lenbach (Schwarzwald) 1973 durchlief der Träger des Ehrenkreuzes der Bundeswehr in Gold eine klassische Militärkarriere. Dass er seine Rolle kaum im Licht der Öffentlichkeit spielte, wird maßgeblich zu der Entscheidung beigetragen haben, ihn im November 2000 zum Kommandeur des drei Jahre zuvor gegründeten "Kommando Spezialkräfte" in Calw zu berufen. Mit seiner Beurlaubung durch Verteidigungsminister Peter Stuck (SPD) ist diese Karriere dem Anschein nach beendet. Günzel wurde wegen seines Briefes an den CDU-Abgeordneten Martin Hohmann entlassen (Der Wortlaut der Rede von MdB Martin Hohmann zum Nationalfeiertag), in dem er dessen "Mut zur Wahrheit und Klarheit" pries, sich seiner "Auffassung" anschloss und diesem versicherte, er könne "sicher sein, dass Sie mit diesen Gedanken der Mehrheit unseres Volkes eindeutig aus der Seele sprechen" ("Gerechtigkeit für Deutschland").
Es kommt nicht oft vor, dass ein Brigadegeneral der Bundeswehr entlassen wird. Geschieht es doch, ist die Aufregung auf der politischen Ebene groß, Forderungen und Ratschläge sind schnell zur Hand. So mahnte der Vorsitzende des Verteidigungsausschusses, Reinhold Robbe (SPD) zuletzt "totale Transparenz" in der Bundeswehr an. Sein Parteigenosse und Verteidigungsexperte Rainer Arnold forderte zeitgleich eine "kritische Prüfung" des Umstandes, dass "ein Mensch mit einer solchen Denkstruktur" gerade Brigadegeneral in einer Elitetruppe geworden sei. Solche Stellungnahmen sind scheinheilig, denn das "Kommando Spezialkräfte" bekam erst unter der sozialdemokratischen Regierung richtigen Aufwind. Die Frage lautet also grundsätzlicher: Wie stark greift gesellschaftliche Kontrolle noch in einer Elitearmee, die wie die KSK aus 85 Prozent Zeit- und Berufssoldaten besteht?
Nach Meinung von Hans Arnold, einem ehemaligen deutschen Botschafter in Italien und den Niederlanden, hatte bereits die Gründung der KSK "politisch, militärisch und unter ethischen Gesichtspunkten die Qualität einer zweiten Wiederbewaffnung". Solche Kritik aber wurde gerade unter der amtierenden Bundesregierung verschwiegen. Anstelle politischer Inszenierungen wäre eine Debatte vonnöten, wieweit sich eine zunehmend professionalisierte Armee von politischen Rahmensetzungen befreit. Zumal gerade Günzels Truppe in den vergangenen Jahren im Stillen operierte, und das von SPD und Grünen nicht nur weitreichend toleriert, sondern sogar gegen Kritiker verteidigt wurde.
Bei nur ein wenig Recherche hätte sich dabei jeder beliebige Abgeordnete der Regierungskoalition über das Geschichtsbild der KSK unter Reinhard Günzel kundig machen können. Zu erfahren wäre gewesen, dass das Spezialkommando eine Patenschaft für das so genannte Kameradenhilfswerk der 78. Sturm und Infanteriedivision der Wehrmacht übernommen hat. Dem "Hilfswerk" gehören ehemalige Wehrmachtssoldaten an, die alte Traditionen pflegen wollen. In der Calwer-Bundeswehrkaserne unter dem Kommando von Reinhard Günzel treffen sie sich regelmäßig zu Kameradschaftsabenden. Wie der Abrüstungsexperte Tobias Pflüger von der Informationsstelle Militarisierung berichtet, ist in der Kaserne sogar ein "Traditionsraum" für die Wehrmachtskameraden eingerichtet, die von amtierenden Offizieren der Calwer Bundeswehr "betreut" werden. Dazu Pflüger:
Die 78. Sturm- und Infanteriedivision der Wehrmacht war 1943 die einzige Sturmdivision. Sie gehörte zu den Speerspitzen von Hitlers Wehrmacht.
Wenn die KSK-Eliteeinheit nun die Patenschaft für die "alten Kameraden" der Wehrmachtselite übernehme, würden bewusst historische Zusammenhänge hergestellt. Wie die das Denken der geheim operierenden Elitesoldaten bestimmen, zeigt der Brief Günzels an den CDU-Abgeordneten Martin Hohmann. Ihm hatte der General zu der "Wahrheit und Klarheit" in seiner Rede gratuliert. Die nämlich höre man "in unserem Land nur noch sehr selten".
Peter Strutynski vom Bundesausschuss Friedensratschlag geht noch weiter und fordert das Verteidigungsministerium auf, nicht daran festzuhalten, dass es bei Günzel nur "um einen einzelnen verwirrten General, der einer noch verwirrteren Auffassung eines CDU-Bundestagsabgeordneten zugestimmt hat" (Verteidigungsminister Struck) handelt:
Immerhin hat General Günzel drei Jahre lang das im baden-württembergischen Calw stationierte Kommando Spezialkräfte (KSK) geführt. Diese Truppe, die unter anderem seit knapp zwei Jahren an völlig undurchsichtigen Kampfhandlungen in Afghanistan beteiligt ist, hat seit ihrem Bestehen eine eigene "corporate identity" als zu allem entschlossene "Elitetrupppe" der Bundeswehr entwickelt, arbeitet grundsätzlich verdeckt und entzieht sich parlamentarischer und erst recht öffentlicher Kontrolle. Es wäre interessant zu erfahren, welche Spuren die Tätigkeit des KSK-Chefs in dieser verschworenen Gemeinschaft hinterlassen hat.
Während Politiker der SPD und der Grünen eine Untersuchung der Bundeswehr fordern, hat CSU-Verteidigungsexperte Hans Raidel Günzel in Schutz genommen. Er sei "beim besten Willen kein Rechtsradikaler", sondern ein Mensch mit Grundsätzen. Auch Peter Gauweiler kritisierte die Entlassung Günzels. Die CDU-Fraktion will auch gegen Hohmann bislang nicht weiter vorgehen.