Ihr hattet einfach zu viel Geld

Auf der BerlinBeta kam es zum Showdown zwischen zwei Top-Managern aus der "New" und der "Old" Economy

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Ein Streitgespräch sollte es werden, das Zusammentreffen von Heinz "Top-Sanierer" Dürr und Paulus "Pixel" Neef. Doch letztlich waren sich der alte und der junge Unternehmer einig, dass die Geldgeber und Analysten die New Economy in die Krise getrieben haben. Aber es gab auch andere Meinungen auf der Konferenz des Berliner "Cross-Media-Events", das mit Buzzwords auch im vierten Jahr seines Bestehens nicht geizt.

Was waren das noch für Zeiten, als überall über Startups, Börsengänge und 70-Stunden-Wochen geredet wurde. "My-company-is-my-family" hatten sich noch vor einem Jahr viele Durchstarter zur Devise gemacht, die Abende vor dem Rechner in der Firma verbracht und notfalls sogar im Büro den Schlafsack ausgerollt haben. Derlei während des großen Hypes gängige Verhaltensweisen lösen aus der Retrospektive heraus eher ein Schmunzeln aus. Doch das vergeht so manchem Kleinanleger schnell wieder, wenn er bedenkt, dass der Neue Markt während der vergangenen 12 Monate rund 270 Millionen Mark an Wert verloren hat und ein Teil davon sich in seinem Depot schmerzhaft auswirkt.

Auf der BerlinBeta version 2001 ließen Gründer und Marktbeobachter die Ups and Downs der New Economy am Freitag in all ihren Facetten noch einmal Revue passieren, was vor allem bei ersteren teilweise selbstquälerische Züge annahm. Höhepunkt des Business-Tracks war ein Streitgespräch zwischen dem alten Hasen und Top-Sanierer Heinz Dürr und Paulus Neef, dem Chef des Berliner Webdienstleisters Pixelpark

Ja, wir haben grauslige Management-Fehler gemacht, den Markt vollkommen falsch eingeschätzt und uns nicht an die Spielregeln der Wirtschaft gehalten,

so der Tenor der Geläuterten. Ihr Treibstoff kam von den Investoren, die blind Placebo-Kapital ausstreuten, und Analysten, denen das unbändige Wachstum der jungen Firmen gar nicht schnell genug gehen konnte. Aber sind damit schon alle "Schuldigen" gefunden?

Für den ehemaligen Bahn-Vorstand Heinz Dürr, der inzwischen Aufsichtsratsvorsitzender der Dürr AG ist, wurde das ganze New-Economy-Ding jedenfalls erst kritisch, "als die Börse dazugekommen ist". Durch das Venture Capital (VC), dessen Verteiler den Neuen Markt als Gelddruckmaschine betrachteten, "wurden die Sitten verdorben". Die ganzen Übertreibungen der Gründer und "Haffateure", so Dürr, seien erst durch die Finanzmärkte geboren worden. "Ihr hattet einfach zu viel Geld", erinnerte der Manager seinen Kollegen von Pixelpark an die guten schlechten Zeiten.

Von Chancen und Risiken

Die Jungunternehmer, die sich von heute auf morgen in den Chefsessel einer mit Millionen- und Milliarden bewerteten Firma katapultiert sahen, ließen sich von der Börsenwelle nur allzu gerne davon treiben. "Mein Kapitalfehler war, dass ich in der euphorischen Stimmung die Chancen viel stärker gesehen habe als die Risiken", sagte der lange Zeit als Vorzeige-Boy der New Economy dienende Neef. Die Analysten und Berater hätten immer nur den Ausbau der Marktanteile gefordert, "die wir uns nicht von den Amis streitig machen lassen sollten." Mit der Entscheidung für den Börsengang hätte Pixelpark eben klar und bewusst die Weiche Richtung Wachstum gestellt. Und da man "nicht alles auf einmal machen kann", wie Neef heute weiß, waren Gesichtspunkte wie "Effizienz" kein Thema. "Kohle machen? Das war später".

Später beziehungsweise inzwischen hat der einstige Strahlemann "ein paar hundert Millionen Mark verloren" mit seinen Anteilen an Pixelpark. Ganz arm wird er deswegen noch nicht sein, aber ein Aktienkurs von wenigen Euro erfreut den Vorstandsvorsitzenden des Webdienstleisters, an dem auch Bertelsmann im großen Stil beteiligt ist, nicht wirklich. Bis zum Jahresende will Neef, der froh darüber sein konnte, dass kein Pixelpark-Aktionär im Publikum saß, sein Unternehmen zwar profitabel machen, wozu er vor einigen Monaten eine große "Restrukturierungs-, Qualitäts-, und Vertriebsoffensive" gestartet hat. Doch ob damit auch der Aktienkurs wieder anzieht, steht auf einem anderen Tablett.

Nicht per Briefverteiler kündigen

Trotz seiner Kritik an den Kapitalverbrennern und "Fund-Raisern in eigener Sache" outete sich Dürr allerdings letztlich doch als ein "New-Economy-Typ". Schließlich habe er selbst auch Geld von seinem Papa bekommen, um das Wirtschaften zu lernen. Auch dass das Internet die gesamte Gesellschaft und auch die Old Economy grundsätzlich verändert, glaubt der alte Hase. Generell sieht er in der New Economy eher ein soziales denn ein wirtschaftliches Phänomen, das sich vor allem in einer neuen Arbeitskultur niederschlage. Denn die zehn Unterschriften, ohne die in einem Konzern einfach nichts laufe, brauche es in einem Startup eben nicht. Wenn dieser Schwung der "neuen Ökonomen", der auch den Bertelsmann-Chef Thomas Middelhoff deutlich angesteckt habe, wieder verloren gehe, "wäre das ein Verlust".

Was Dürr, der bei der Deutschen Bahn 250.000 Leute "abgewickelt" hat, bei manchen Durchstartern in den jetzigen Krisenzeiten vermisst, ist die "soziale Kompetenz". Bei Entlassungen müsse man "zumindest mit den Leuten reden", gab er Neef einen guten Tipp, und nicht etwa "per Briefverteiler" kündigen, wie es bei manchen Internet-Agenturen wohl vorgekommen sei. Ein derartiges Verhalten stimme nicht mit seiner Auffassung von Unternehmertum überein, bei dem es immer auch um das Tragen einer gesellschaftlichen Verantwortung gehe.

Die von Dürr und Neef gemeinsam ausgebreitete Story, demnach die bösen Geldgeber und Börsenanalysten die Gründer versaut haben, wurde auf der BerlinBeta allerdings nicht von allen Abgesandten der New Economy so akzeptiert. "Ich mache den Investoren keinen Vorwurf", sagte Felix Frohn-Bernau, Geschäftsführer des Berliner Verbraucherportals dooyoo. Sie hätten sich einfach "ein Stück weit nach dem Kapitalmarkt richten müssen". Zudem habe der sich größtenteils aus dem Startup zusammensetzende Vorstand alle wichtigen Entscheidungen wie auch die der Eröffnung von Büros in mehreren europäischen Ländern letztlich selbst getroffen.

Im Büro wird nicht geschlafen

"Alle haben mitgezogen", erinnert sich auch Sabine Fischer, Beraterin der Berliner New Economy Business School und ehemalige Pixelpark-Mitarbeiterin, an den aufregenden Frühling des Internet mit seinem enormen Wachstumsschub zurück. "Wir haben einfach täglich neue Dinge im Netz entdeckt", das habe die ganze Sache so spannend gemacht. Dass den Eingeweihten der Branche gleichzeitig "irrsinnige Umsätze" versprochen wurden, hätte man nebenbei noch bereitwillig geglaubt. "Das ganze war ein große Pilotenspiel", so Fischer, bei dem jeder ein paar Mark einzahlen und die Tausender rausbekommen wollte. Beschämend sei nur gewesen, dass so viele "hochdotierte Leute" mitgemacht hätten, ohne gegenzusteuern.

Inzwischen ist die Blase, die keinesfalls einmalig in der Wirtschaftsgeschichte ist, zerborsten und mit ihr viele Blütenträume. In den noch durchfinanzierten Startups, die der Pleitewelle entkommen sind, ist die Normalität eingekehrt. Wer überleben wolle, "muss erwachsen werden", sagt Jörg Rheinboldt, Geschäftsführer von eBay Deutschland. Die Betreiber der Auktionsplattform hätten sich irgendwann entschieden, lieber den Marathon als den Sprint zu machen. Die Folge ist, dass das Leben und Arbeiten bei eBay deutlich reglementierter geworden ist. Eingeführt worden, so Rheinboldt, sei beispielsweise die Vorschrift, dass "im Büro nicht geschlafen wird."

Der Markt ist tot, aber das Internet lebt

Auch bei dooyoo ist das Management längst "ganz kleinlaut zu den alten Regeln wie Zielvereinbarungen zurückgekehrt", berichtete Frohn-Bernau. Trotz des Stellenabbaus Ende Februar (Dooyoo sagt Ciao zu 15 Prozent der Belegschaft) habe man dadurch festgestellt, dass "alles genauso funktioniert" wie mit dem Überhang an Mitarbeitern. "Bloss ist jetzt alles eben besser organisiert."

Bleibt von der kurzen Hochzeit der New Economy und der wie Popstars und Boygroups gefeierten Gründer also nur die Erinnerung an eine überschwängliche Party mit dem üblichen Kater am nächsten Morgen? Das Netz, auf das die meisten Jung- beziehungsweise Möchtegern-Manager ihre Geschäftsmodelle bauten, ist jedenfalls immer noch da und wird uns wohl noch länger erhalten bleiben. "Das Schöne ist ja", philosophiert Sabine Fischer, "dass das Internet derart unabhängig ist von der Wirtschaft." Auch wenn kaum noch Geld fließe, entstünden doch nach wie vor ständig neue und spannende Websites. "Der Markt ist tot, aber das Internet lebt."