"Ihr macht das Kreuz, wir den Rest"
In den Landtag von Mecklenburg-Vorpommern ziehen nicht allein nur plakative NPD-Abgeordnete ein
Es mag am Wahlabend des 17. September fast zur selben Tageszeit gewesen sein, zufällig erscheint nachträglich lediglich die zeitliche Nähe der Ereignisse. Während einer NPD-Wahlparty – im Ausschank offensichtlich böhmisches Bier der Marke Krusovice - wurden in Schwerin Journalisten von Rechtsextremisten massiv bei ihrer Arbeit behindert und körperlich attackiert. Dabei kam es auf Seiten der Medienschaffenden zu Verletzungen und Sachbeschädigungen. Kurz nach 23 Uhr sendete SPIEGEL TV an jenem Abend den Teil des Videos, auf dem in Wismar der militante Einsatz rechtsextremistischer Kameraden im mecklenburg-vorpommerischen Wahlkampf dokumentiert wurde.
Die mit 7,3 Prozent der Zweitstimmen in den Landtag von Schwerin eingezogene NPD dürfte zukünftig allerdings beabsichtigen, sich offiziell nicht unbedingt mit dem Hauch von Militanz zu umgeben. Schließlich gelten nicht wenige rechtsextremistische Protagonisten in der Region als „nette Jungs von nebenan“. Die im östlichen Norden über Jahre hinweg erfolgte Assimilierung der bürgerlichen Mitte soll schließlich nicht nur stabilisiert, sondern weiter ausgedehnt werden. Inwieweit sich dabei die so genannten Freien Kameradschaften mehr oder weniger widerspruchslos als lediglich parlamentarischer Hilfsarm der Landtagsfraktion rekrutieren lassen, bleibt abzuwarten. Vermutlich wird aber schon bald wieder ein Vor-Wahlversprechen von NPD-Spitzenkandidat Udo Pastörs - "Ihr macht das Kreuz, wir machen den Rest" – als gewandt formulierter außerparlamentarischer Kampfauftrag entsprechend interpretiert werden.
Pastörs bestätigte bereits kurz nach der Wahl, dass er als vormalig lernwilliger Praktikant im Sächsischen Landtag (Die braune Achse Dresden-Schwerin) und zukünftiger Fraktionsvorsitzender in Schwerin gewillt ist, die verbal-provozierende Strategie der sächsischen NPD-Fraktion nun auch im Nordosten zur Anwendung zu bringen. Nach Pastörs’ Gusto ist Adolf Hitler - “wertfrei“ und "nur gemessen an den objektiv messbaren Ergebnissen auf vielen Gebieten" - grundsätzlich “ein Phänomen gewesen ... militärisch, sozial, ökonomisch - er hat ja wahnsinnige Pflöcke eingerammt auf fast allen Gebieten“. Hitler-Stellvertreter Rudolf Heß wiederum ist für Pastörs als “absoluter Idealist ... vergleichbar mit Gandhi“. Und der Holocaust-Leugner Ernst Zündel hat nach der Ansicht von Pastörs "in der Vergangenheit Unglaubliches geleistet".
Der als Kaufmann und Juwelier firmierende Pastörs gilt als eng mit der rechtsextremistischen Szene verbunden. So unterzeichnete er 1998 das einschlägig verortete Pamphlet "Aufruf an alle Deutschen zur Notwehr gegen die Überfremdung - Der Völkermord am Deutschen Volk". Berichten vom September 2006 zufolge hat Pastörs mehrmals die Sektenkolonie Colonia Dignidad in Chile aufgesucht. Er habe “dort viel gelernt, sehr viel. Wie man mit wenig Geld sofort Zivilisation schaffen kann, wenn alle arbeiten", zitierte der Stern den NPD-Politiker. Im mecklenburg-vorpommerischen Lübtheen engagiert sich Pastörs, der seit 2000 Parteimitglied ist, in der Bürgerinitiative “Braunkohle Nein!“. Zudem agiert er noch als stellvertretender Landesvorsitzender und als Mitglied im Kreisvorstand Ludwigslust und ist als Schulungsreferent der NPD tätig. Schulungsmäßig versuchte Pastörs in einem Interview mit der National-Zeitung vom 8. September 2006 dann auch, etwaigen Traumata infolge der personellen Verluste innerhalb der sächsischen Parlamentsvorreiter bereits vorab entgegen zu wirken:
... unsere Mitglieder in den Kreisverbänden sind dahingehend unterrichtet, dass sie jeden Annäherungsversuch von Seiten der Geheimdienste dem Landesvorsitzenden melden. Und es ist durch höchste Aufmerksamkeit auf allen Führungsebenen dafür Sorge getragen, dass Straftaten durch Agenten mit NPD-Mitgliedsausweis nur schwer vorstellbar sind.
Die Aufgabe als Bindeglied der Fraktion zu den so genannten Freien Kameradschaften fällt wahrscheinlich an Tino Müller, auf den zweiten NPD-Listenplatz in den Schweriner Landtag gewählt. Der gelernte Maurer gilt als einer der führenden Köpfe der regionalen Kameradschaftsszene – so in der Nationalgermanischen Bruderschaft (NGB) und der Heimattreuen deutschen Jugend (HdJ). Wie vielen rechtsextremistischen Kadern eigen, ist auch Müller in einer örtlichen Bürgerinitiative (“Schöner und sicher wohnen in Ueckermünde“) äußerst aktiv tätig. Erst seit Ende 2005 NPD-Mitglied fungiert Müller mittlerweile als Vorsitzender des Kreisverbandes Uecker-Randow und ist dem Sozialen Nationalen Bündnis Pommern zugehörig.
Aufmerksame Beobachter der rechtsextremen Szene in Mecklenburg-Vorpommern sehen gleichfalls in Michael Andrejewski einen Garanten für örtliche NPD-Wahlergebnisse jenseits der 30-Prozent-Marke. Nach Einschätzung des Mobilen Beratungsteams für demokratische Kultur (MBT) aus Schwerin hat Andrejewski “das Netzwerk zwischen Partei und Kameradschaften vorangetrieben“. Der über Listenplatz 3 gewählte ausgebildete Volljurist, der nach eigener Aussage das “herrschende politische System“ ablehnt, ist Mitglied des NPD-Landesvorstandes sowie Abgeordneter im Kreistag Ostvorpommern und in der Stadtvertretung Anklam. Den wie auch immer gearteten Wählerauftrag Kommunalpolitik stuft Andrejewski lediglich als Mittel zum Zweck ein - um das "System zu kippen". Die politischen Wurzeln Andrejewskis reichen bis zur Hamburger “Liste für Ausländerstopp“ (HLA) zurück.
Wie Müller dürfte auch der über Listenplatz 4 gewählte Stefan Köster seine Dienste für Klientelbegehrlichkeiten der militanten Kameradschaften leisten. Im Kreistag von Ludwigslust fiel Köster allerdings bisher nicht durch übermäßige Aktivitäten jenseits rechtsextremistischer Propaganda auf. Im Mai 2006 wurde das frühere Mitglied der Wiking-Jugend und derzeit als NPD-Bundesgeschäftsführer sowie mecklenburg-vorpommerischer Landesvorsitzender amtierend in erster Instanz wegen gemeinschaftlicher Körperverletzung zu sechs Monaten Freiheitsstrafe auf Bewährung, 60 Stunden gemeinnütziger Arbeit sowie 500 Euro Schmerzensgeld verurteilt. Köster hat in dem aus seiner Sicht “politischen Prozess“ Berufung gegen das Urteil eingelegt.
In Mitteldeutschland findet eine geräuschlose völkische Graswurzelrevolution statt. Mit einem moderaten Ton, zivilem Auftreten und alltagsnahen Themen gelingt es Nationalisten vielerorts zum integralen Bestandteil des gesellschaftlichen Lebens zu werden, während sich die Systemkräfte dem Volk immer mehr entfremden und in der Lebenswelt der von ihnen tief enttäuschten Durchschnittsbürger immer weniger vorkommen. Mit Plakatlosungen wie „Arbeit, Familie, Heimat“ und dem politischen Kampf gegen Zuwanderung, EU-Fremdbestimmung und Globalisierung als den Zerstörungsmächten der Zeit treffen Nationalisten zunehmend den Nerv der Menschen und werden oftmals als einzige noch wählbare idealistische Kraft angesehen.
Jürgen Gansel/NPD
Über NPD-Listenplatz 5 führte der Weg von Birger Lüssow direkt aus der Kameradschaftsszene in den Landtag von Mecklenburg-Vorpommern. Als 2002 das rechtsextremistische Aktionsbündnis “Festungsstadt Rostock“ ins Leben gerufen wurde, war Lüssow einer der führenden Mitiinitiatoren – damals auch mutmaßlicher Blood&Honour-Kader und nach wie vor Aktivist des Kameradschaftsbundes Mecklenburg (KBM). Nunmehr agiert Lüssow, seit 2005 NPD-Mitglied, ebenfalls als Vorsitzender des Kreisverbandes Mecklenburg-Mitte.
Welche Funktion dem bisher eher unbekannten Raimund Borrmann in der Landtagsfraktion zukommt, ist ob der relativen Blässe des stellvertretenden NPD-Kreisvorsitzenden von Mecklenburg-Mitte derzeit noch nicht deutlich absehbar. Der über Landeslistenplatz 6 gewählte Borrmann soll angeblich ein Philosophiestudium mit Schwerpunkt Marxismus absolviert haben.
Die nach dem Wahlabend umgehend postulierte “enge Zusammenarbeit“ der “Achse Schwerin-Dresden“ (O-Ton NPD) hat zur Folge, dass der bisherige sächsische Fraktionsgeschäftsführer Peter Marx seinen Aufgabenbereich von Dresden nach Schwerin verlagert. Ein so genannter "Arbeitskreis volkstreuer Abgeordneter" soll als “regelmäßige gemeinsame Beratungen beider Fraktionen“ möglichst bald zum “Alltag gehören“.
Mittlerweile wurden auf der konstituierenden ersten Fraktionssitzung Udo Pastörs zum Fraktionsvorsitzenden, Tino Müller und Stefan Köster zu stellvertretenden Fraktionsvorsitzenden sowie Köster gleichfalls zum Parlamentarischen Geschäftsführer gewählt. Wie Michael Andrejewski verlautbaren ließ, würde die Fraktion “auf jeden Fall“ Mitarbeiter aus der Kameradschaftsszene einstellen. Am 20. September hat die Fraktion “ihre Arbeit aufgenommen, um zum Wohle unseres Volkes in Mecklenburg und Pommern zu wirken“ (vgl. Schmackhafte NPD-Bonbons).
Die NPD – und damit unweigerlich auch die regionale Kameradschaftsszene – wird dabei in ihrer weiteren Aufbauarbeit in Mecklenburg-Vorpommern direkt von der öffentlichen Hand gefördert. Für jede Wählerstimme stehen der NPD laut Parteiengesetz jährlich 85 Cent zu. Die monatliche Grundentschädigung pro Abgeordneten beträgt etwa 4.400 Euro, zudem werden Mittel für zusätzliche Mitarbeiter im Wahlkreis bereitgestellt. Jeder gewählte NPD-Abgeordnete beabsichtigt nach bisherigen Verlautbarungen, ein eigenes Wahlkreisbüro einzurichten – ähnlich wie in Sachsen ein rechtsextremistischer Struktur- und Personenausbau finanziert mit staatlichen Geldern. Berechnungen gehen davon aus, dass allein der NPD-Landtagsfraktion in Mecklenburg-Vorpommern für die nächsten fünf Jahre zirka 2,5 Millionen Euro Steuergelder zur Verfügung stehen.