Im Medienzirkus: Die Handlungsreisende der Wahrheit vs. Mister X

Seite 4: Motorroller und Paparazzi

Der folgende Beitrag ist vor 2021 erschienen. Unsere Redaktion hat seither ein neues Leitbild und redaktionelle Standards. Weitere Informationen finden Sie hier.

Mit der Montesi-Affäre schlägt die Stunde der Photographen, die mit einer bis dahin ungewohnten Aggressivität zu Werke gehen. Das liegt schon an der Ausrüstung. Die meisten haben eine zweiäugige Spiegelreflexkamera (mit zwei übereinander angeordneten Objektiven), die Rolleiflex oder die billigere Rolleicord, mit einem Blitzgerät der Marke Braun, und können nur aus kurzen Entfernungen photographieren. Sie belagern den Justizpalast, wo Dr. Sepe im Laufe seiner Untersuchung Hunderte von Zeugen einbestellt. Wer diese Zeugen abschießt, oder auch nur Leute, die welche sein könnten, weil sie in das Gebäude gehen, verdient gutes Geld. Die meisten dieser Wegelagerer haben als scattino angefangen (von scattare = schnappen, aufnehmen). Die scattini streiften durch das Rom der ersten Nachkriegsjahre, um Bilder von Soldaten und Touristen zu machen (das private Photographieren war damals noch nicht so selbstverständlich wie heute). Weil die potentiellen Kunden die Photos im Studio abholen mussten, wo sie entwickelt wurden, war es für die scattini essentiell, mit diesen ins Gespräch zu kommen, ihrer Eitelkeit zu schmeicheln, vielleicht ein neckisches Wortgeplänkel mit ihnen zu beginnen (ein paar Brocken aus anderen Sprachen waren schnell gelernt) und sie jedenfalls zum Kauf zu bewegen. So übten sie ein, fremden Leuten auf den Leib zu rücken.

Die Promi-Photographie auf den Straßen und in den Clubs von Rom nahm mit Tyrone Power einen ersten Anlauf, der es noch genoss, in den Cafés der Via Veneto abgelichtet zu werden. Weniger begeistert waren die Reichen und die Schönen, als sie bemerkten, dass solche nicht arrangierten Schnappschüsse aus ihrem Privatleben auch negative Publicity bedeuten konnten. Was früher schamhaft verdeckt worden war, wurde nun gnadenlos enthüllt. Um die Welt gingen 1950 die Bilder von einem ersten Zusammenstoß von König Faruk von Ägypten mit den römischen Photographen, die ihn gegen seinen Willen in der Badehose ablichteten (der König, der daheim nach Gutdünken die Gesetze ändern ließ, um seinen luxuriösen Lebensstil finanzieren zu können, war sehr dick - und fraß sich buchstäblich zu Tode). 1952, durch Nassers Militärputsch vom Thron gestürzt, ging Faruk nach Rom ins Exil, wo die Pressephotographen dauernd auf seinen Fersen waren. Der dicke Ex-König war ein besonders dankbares Objekt, weil er sich mit jungen Frauen umgab und leicht aus der Haut fuhr. Der Promi in Wut wurde zum beliebten Motiv. Er signalisierte den Käufern der Klatschblätter, dass er in flagranti erwischt worden war und etwas zu verbergen hatte, sie somit einen privilegierten Blick hinter die Fassade werfen durften, den ihnen die Reichen und die Schönen gern verwehrt hätten. Die Provokation wurde zur Geschäftsgrundlage.

Die Bewegung, die bereits zum Beruf des durch Rom streifenden scattino gehört hatte, war jetzt auch für Promi-Jäger unverzichtbar. Der Motorroller, auf dem Audrey Hepburn und Gregory Peck in Roman Holiday so nett durch die Stadt fahren, wurde zur Waffe im Kampf um das beste, peinlichste, entlarvendste Bild. Die Verfolgungsjagd, die für Prinzessin Diana 1997 in einem Pariser Tunnel tödlich endete, begann in den 1950ern in Rom: mit der Lambretta oder der Vespa, auf der die Photographen den Prominenten hinterher fuhren, um die Schnappschüsse zu machen, die dann von der Agentur an die Illustrierten verkauft wurden. 1953 investierte der Fiat-Konzern in den Bau einer hochmodernen Montagestraße für den Seicento. Der Fiat 600 rollte ab 1955 vom Band und war das Sinnbild des wirtschaftlichen Aufschwungs und der Massenmotorisierung. Die Promi-Jäger gehörten zu den ersten, die von der Lambretta auf ihn umstiegen. So zeigten sie den Wohlstand, den ihnen ihre Bilder eingebracht hatten, wurden sie in Verbindung mit dem Seicento, ihrem Blitzgerät und ihrer Kamera selbst zum Symbol eines modernen Italien und des Kapitalismus.

Roman Holiday

Hart ins Gericht geht La dolce vita mit der Branche. In der zweiten Episode, im Nachtclub, wirkt es noch spielerisch, wenn der Klatschreporter Marcello seinen Photographen auf das nächste Opfer aufmerksam macht, eine junge Frau, die Angst vor ihrem Ehemann haben muss, wenn in der Zeitung steht, wo sie gewesen ist. Dann nimmt sich Marcellos Freund, der Schriftsteller Steiner, das Leben und bringt vorher noch seine Kinder um. Steiners Frau, die von nichts ahnt, wird mit dem Autobus zurück erwartet. An der Bushaltestelle versammeln sich die Photographen, um die ersten Photos von der Witwe zu machen. Wäre das ein Western, wären sie Banditen, die auf die Postkutsche, oder Geier, die auf Menschenfleisch warten. So sind sie die Repräsentanten einer neuen Zeit, in der das Bild endgültig zur Ware und kein Unterschied mehr gemacht wird zwischen öffentlich und privat, Verbrechen und Unterhaltung, Politikern und Promis, Klatsch und harten Fakten, journalistisch sauberer Berichterstattung und schamloser Schnüffelei. Das hat eine demokratische Komponente, weil Klassengegensätze abgeschmolzen werden und jeder gleich (rücksichtslos) behandelt wird. Beunruhigend ist es aber auch.

La dolce vita

Fachberater bei La dolce vita und Vorbild für den mit Marcello zusammenarbeitenden, von Walter Santesso gespielten Photographen war Tazio Secchiaroli, in den 1950ern der bekannteste seines Gewerbes. Fellini oder sein Co-Autor Ennio Flaiano hatten vorher die italienische Übersetzung von By the Ionian Sea gelesen oder auch nur durchgeblättert (es gibt da verschiedene Versionen), ein Reisebuch des englischen Schriftstellers George Gissing. Im 13. Kapitel wird der Hotelbesitzer Coriolano Paparazzo erwähnt. Vermutlich wegen der onomatopoetischen Qualität des Namens, der klingt wie ein lästiges Insekt, entschieden sich die beiden, ihren Photographen so zu nennen. Linda Christian, die sich 1949 noch bereitwillig ablichten ließ, als sie mit Tyrone Power die "Jahrhunderthochzeit" feierte, beklagte sich schon bald über die "camera-fiends", die Vergewaltigern gleich in intimste Bereiche ihres Lebens eindrangen. Fellinis Film gab ihnen einen Namen.

Fußbad Nummer 2

Ein bis heute beliebter Schauplatz der Paparazzo-Photographie sind Flughäfen, Bahnhöfe, Orte des Kommens und des Gehens, welche die Dynamik dieser Schnappschüsse unterstreichen. In La dolce vita ist es der Busbahnhof, an dem Signora Steiner, durch eine private Tragödie interessant geworden, ihre 15 Minuten der Medienprominenz durchleben muss und der Flughafen Ciampino, wo 1946 der letzte italienische König das Land verließ und dann die Filmstars einschwebten wie in der ersten Szene die Jesusstatue (alles in La dolce vita wird gedoppelt und kommentiert sich gegenseitig). In beiden Szenen geht es, auf unterschiedliche Weise, um das Berufsethos des Photographen. Auf dem Rollfeld erwarten die Paparazzi die Ankunft der von Anita Ekberg gespielten Sexbombe aus Hollywood. Sylvia verlässt das Flugzeug und wiederholt den Vorgang dann, weil die Photographen sie darum gebeten haben. Ist das beim zweiten Mal noch authentisch oder nur eine Inszenierung? Ist das eine Betreten der Gangway die Generalprobe und das andere die Premiere? Kann man einen "einmaligen" Vorgang so oft wiederholen, bis er überzeugend wirkende Bilder liefert? Die Antwort darauf ist schwieriger, als man denkt.

La dolce vita

Anita Ekberg, die frühere Miss Schweden, hatte 1955 eine kleine Rolle in King Vidors War and Peace (mit Audrey Hepburn, gedreht in Cinecittà) und kam dann immer wieder zurück nach Rom, wo sie schließlich zur Königin der Nacht wurde. Zunächst als Eisberg verschrien, taute sie bald auf, weshalb der Schlagersänger Tony Dallara ein ihr gewidmetes Lied mit dem Titel "Ghiaccio bollente" (Kochendes Eis) aufnahm. 1956 heiratete sie in Florenz den britischen Schauspieler Anthony Steel. Für Aufsehen sorgte ihr Hochzeitskleid, das eine Schulter freiließ und den Kommentar provozierte, dass eigentlich Tarzan der Bräutigam hätte sein müssen. Steel kam nicht mit seiner neuen Rolle als "Mr. Ekberg" zurecht, prügelte sich mit Paparazzi und mit Verehrern seiner Frau, trank zuviel und wurde regelmäßig in peinlichen Situationen photographiert.

Anita hatte zahlreiche Affären und erzählte den Klatschreportern von ihren Liebhabern. Tyrone Power, dessen Ehe mit Linda Christian auch nicht glücklich wurde, war genauso mit dabei wie Franco Silva, der in Photoromanen den Helden verkörperte wie Alberto Sordi alias Fernando Rivoli in Fellinis Der weiße Scheich. 1958 bezog Ekberg eine Wohnung in der Via Tagliamento. Das ist die Straße, in der Wilma Montesi wohnte, als sie im April 1953 das Haus verließ, um nie wieder heimzukommen. Stephen Gundle hat genau recherchiert und schreibt in seinem Buch Death and the Dolce Vita, dass man von Anitas Dachterasse in der einen Richtung das Mietshaus der Montesis sehen und in der anderen den Blick hinüber zur Via Veneto schweifen lassen konnte. Anita dürfte das nicht gewusst haben, als sie diese Wohnung bezog, aber irgendwie symbolisch ist es doch.

Wenn der kochende Eisberg bei einer Party die Schuhe auszog war es das Signal dafür, dass jetzt der Spaß erst richtig losging. Im August 1958 verletzte sich Anita im Nachtclub Rancho Grande die nackte Ferse und beschloss, den Schmerz mit Wasser zu lindern. Der Setphotograph Pierluigi Praturlon schlug vor, dass sie das doch in der nahegelegenen Fontana di Trevi tun könne. Ihrem in Rom entdeckten Temperament folgend, oder um ihrem Ruf gerecht zu werden, oder beides, hielt sie dort nicht nur den Fuß ins Wasser, sondern watete in den Brunnen. Praturlon hatte immer seine Leica mit dabei, leuchtete die Szene mit den Scheinwerfern seines Wagens aus und verkaufte das Photo an L’Espresso. Das Bild erschien danach in Zeitungen und Zeitschriften auf der ganzen Welt. "Nach Wilma Montesis angeblichem Ausflug nach Ostia", schreibt Gundle, "war dies das berühmteste Fußbad-Ereignis im Rom der 1950er."

La dolce vita

Fellini sah das Bild in der Illustrierten Tempo, und es inspirierte ihn zu dem Film, in dem er es nachstellte. Der Rest ist Geschichte. Das süße Leben in Rom war nun bald weltweit auf der Leinwand zu bewundern - wenn man es denn noch bewundern konnte, nachdem man La dolce vita gesehen hatte. Vom Rand des Trevi-Brunnens aus beobachtet ein Mann die Szene, der nicht in die Illustrierten kommt und der für seine Arbeit ein Fahrradrad braucht. Das ist eine Verbeugung Fellinis vor Vittorio De Sica und dessen Film Fahrraddiebe, eine Erinnerung an die Römer, die nicht im Rancho Grande oder in den Caracalla-Thermen die Nacht zum Tag machen und sein Kommentar zum süßen Leben der Reichen und der Schönen. Fellini, bekannt für seine barocke Fülle, kommt meistens mit ganz einfachen Mitteln aus, um zu sagen, was er sagen will.

La dolce vita

Lex Barker als Robert, Gatte der von Anita Ekberg verkörperten Sylvia, spielt den ständig alkoholisierten Anthony Steel und als Tarzan-Darsteller auch sich selbst. Nach der Szene am Trevi-Brunnen bringt Marcello Sylvia zum Hotel. Robert schläft am Steuer eines Cabrios seinen Rausch aus. Die wartenden Paparazzi wecken ihn, damit er die Ankunft der beiden auch bemerkt. Robert liefert die von ihm erwartete Szene mit Ohrfeigen und gehörntem Ehemann, die es ohne das Eingreifen der Photographen, die nun ihre Schnappschüsse vom Leben der Stars geliefert bekommen, nie gegeben hätte. Wo bleibt da die Wirklichkeit? Ist sie rettungslos verloren, oder kommt sie, da sowieso nur als das Bild existent, das wir uns von ihr machen, endlich zu ihrem Recht? Bei der Montesi-Affäre fragt man sich das dauernd. Die Schreinerstochter aus der Via Tagliamento, möge sie ihre Füße im Meer gebadet haben oder nicht, führt uns mitten hinein in eine postmoderne Welt. Und weil dem so ist, wird es auch nicht verwundern, dass sogar Tazio Secchiaroli, der Vater aller Paparazzi und eigentlich hinter der Kamera zu erwarten, durch den Skandal seine 15 Star-Minuten erlangte.

La dolce vita

Mehr dazu demnächst in diesem Theater, wo nun auch endlich Alida Valli die Bühne betritt, Star des faschistischen Unterhaltungskinos, Femme fatale bei Hitchcock, Geliebte von Harry Lime im Film und von Piero Piccioni im realen Leben. Dies und mehr in Teil 3:

Besser als Agatha Christie und Edgar Wallace: The plot thickens

Empfohlener redaktioneller Inhalt

Mit Ihrer Zustimmmung wird hier eine externe Buchempfehlung (Amazon Affiliates) geladen.

Ich bin damit einverstanden, dass mir externe Inhalte angezeigt werden. Damit können personenbezogene Daten an Drittplattformen (Amazon Affiliates) übermittelt werden. Mehr dazu in unserer Datenschutzerklärung.