"Im Verhältnis zur Politik ist die Polizei auch Akteurin"
Seite 2: "Polizei wirkt auch in die Politik hinein"
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- "Polizei wirkt auch in die Politik hinein"
- Welche Polizei braucht unsere Gesellschaft?
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Wie sehen Sie das Verhältnis von Politik und Polizei? Wenn etwa die Politik von der Polizei fordert, gegen Straßenhandel mit Drogen vorzugehen?
Benjamin Derin: Im Verhältnis zur Politik ist die Polizei auch nicht nur reine Befehlsempfängerin. Sie ist Akteurin in all diesen diskursiven und politischen Prozessen und hat ein wechselseitiges Verhältnis mit der Politik. Nicht nur, dass sie einen großen Spielraum darin hat, wie sie ihre Aufgaben ausführt und wahrnimmt, sondern dass sie selbst auch Antworten liefert oder an der Produktion von Ordnungsvorstellungen mitwirkt, dass sie mitdefiniert, dass sie teilweise selbst die Vorgaben macht.
Wir haben also dieses und jenes Lagebild, wir identifizieren diese und jene Probleme und gewichten sie. Das wirkt auch in die Politik herein. Gleich, welches soziale Phänomen man aufgreift.
Meistens betrifft dies Menschen, die an den Rändern der Gesellschaft leben. Und die Polizei definiert auch selbst mit, wo beginnt dieser Rand. Bei der Definition von Randständigkeit spielt die Polizei durchaus eine tragende Rolle.
Die schreiben in Ihrem Buch, "Ungleichheit hat System" Als Beispiele zieht Polizeigewalt gegen schwarze US-Bürger heran, dann die nordirische Royal Ulster Constabulary während der bürgerkriegsähnlichen bewaffneten Auseinandersetzungen, die sich klar auf eine Seite im Konflikt gestellt hatte und die andere schikaniert hat.
Als drittes Beispiel nennen Sie unnötige Gewalt gegen jemanden, der am Rande einer Corona-Demo von Rad getreten wurde. Legen Sie einen bestimmten System- oder Strukturbegriff zugrunde? Weil man die Beispiele kaum vergleichen kann.
Denn in den USA wurde durch Rassengesetze wurde Polizeigewalt gesetzlich abgestützt. In Nordirland hingegen war die Polizei eine Nachfolgeorganisation der Royal Irish Constabulary (RIC), eine Kolonialpolizei. Dort wurden Polizeien für das gesamte Empire, für Ceylon, Kenia, oder Rhodesien, ausgebildet. Deren Aufgabe bestand ausschließlich darin, Aufstände niederzuschlagen.In Deutschland hat die Polizei zwar auch keine rühmliche Geschichte, auch hier wurde wenig aufgearbeitet, Stichwort: Polizeibatallion 101.
Würde zu der These, mit wachsender sozialer Ungleichheit stiege auch die Gewalt bzw. Gegnerschaft der Polizei gegen gesellschaftliche Gruppierungen an, nicht auch Beispiele wie Norwegen oder Irland gehören? In Norwegen wird die Polizei als Dienstleister wahrgenommen, weil sie aus Steuermitteln finanziert wird. In Irland heißt die An Garda Siochana übersetzt "Bewahrer des Friedens" und ist eine unbewaffnete Kraft. Es gibt auch positive Beispiele.
Benjamin Derin: Genau darum geht es. Unsere Beispiele zeigen, dass Polizei immer von dem gesellschaftlichen Hintergrund abhängt. Und je nachdem, wie stark die Ungleichheit, die Fragmentierung oder die Spaltung in einer bestimmten gesellschaftlichen Ordnung angelegt ist, wirkt sich das auch auf die Polizei aus.
Wenn in anderen Gesellschaften das Verhältnis zur Polizei besser ist, ist genau das interessant: Warum hat die Polizei in Deutschland einen relativ großen, wenn auch inzwischen leicht sinkenden, Rückhalt in der Gesellschaft? Warum ist sie in manchen Gesellschaften mit einem hervorragenden Verhältnis zu einem breiten Spektrum der Gesellschaft ausgestattet und in anderen nicht? Oder hat nur zu einer kleinen, privilegierten Minderheit ein gutes Verhältnis? Warum ist das so und worauf müssen wir achten, wenn wir nicht wollen, dass das so wird?
Teile der Bevölkerung haben auch hierzulande kein Vertrauen in die Polizei oder haben sogar Angst vor ihr. Nach meinem Eindruck ist der Umgang mit den Adressaten polizeilicher Maßnahmen, je nach Raum, sehr unterschiedlich.
Zum Beispiel ist dieselbe Polizei nördlich der Hamburger Reeperbahn mit Elendskonsumenten und anderen randständigen Menschen eher sozialarbeiterisch tätig, während sie südlich der Reeperbahn, wo ihr Kritik entgegenschlägt von linken Initiativen, die sich im räumlichen, nicht unbedingt ideologischen Umfeld der Hausbesetzerszene in der Hafenstraße gebildet haben. Dort tritt die Polizei, sogar dieselben Beamten, ganz anders auf, viel mehr wie ein Fremdkörper. Es ist erstaunlich, wie kleinräumig sich das ausspielen kann.
Benjamin Derin: Stimmt. Die ganzen Bilder, oder auch Feindbilder, die ein Polizist oder eine Polizistin in sich trägt, sind stark verräumlicht: "Die Leute hier sind so, die Leute da sind anders". Da weiß der einzelne Mensch vielleicht gar nicht, in welcher Kategorie er da gelandet ist bei der Polizei.