Im elektronischen Wald des Robin Hood

Als Tourist in digitalen Städten

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Na klar, alle Hacker lieben den schicken Räuber, der den Reichen etwas abnimmt und das Geraubte den Armen gibt - zu schön ist die Vorstellung vom edlen Computerfreak, der den großen Konzernen Paroli bietet. Das tolle Bild passt nur an einer Stelle nicht: Der Sherwood Forest, in dem Räuber und Gesellen leben, ist eigentlich der Hort des Lebens von der Hand in den Mund, der Nährboden aller Technologiefeinde und Ökobewegten. In diesem Wald eine digitale Siedlung anzulegen, gleicht also dem Ruf nach neuen Ordnungen - wovon einst Robin Hood zum Sheriff von Nottingham sprach.

Eine digitale Stadt ist es nicht, was Bruce Damer seiner Netzaktivität Active Worlds und Alpha World als Sherwood Forest angefügt hat, sondern eine Siedlung, ein Dorf, eine Gemeinde im Sinne von Siedlern. Der alte amerikanische Traum von Pioniergeist und Abenteuer scheint da durch, auch die Idee von einer Gemeinschaft freier Geister, die sich freiwillig einer gegenseitigen und totalen Selbstkontrolle unterwerfen. Wer das einen Widerspruch in sich nennen will, weiß nichts über Netzaktivisten und vor allem über Spiele im Internet.

Active Worlds und Alpha World sind Spielzonen im Internet, Bereiche der angenommenen Identitäten und Spielrollen, Areale voll psychologisch überfrachteter Selbstdarstellungen. Da gibt es MUDs und MOOs als unterschiedliche Rollen, und es gibt Spielzonen mit Science-Ficition-Anmutung oder mit Horrorszenarien. Wenn aus einem solchen Hintergrund heraus - und es spielen in Alpha World rund 100.000 eingeschriebene TeilnehmerInnen - eine digitale Siedlung gegründet wird, dann geht es weniger um die Simulation eines Stadt- oder Landschaftsbildes, sondern um die Erprobung gesellschaftlicher Zusammenhänge. Was mit einer Landkommune in Montana, Oregon oder Niederbayern klappt, müsste im Internet wohl auch zu bewerkstelligen sein. So liest es sich in einem nicht signierten, aber wohl von Bruce Damer selbst stammenden Text, den man unter obiger URL und dem Schalter 'Community Story' nachlesen kann.

Wer sich dem Dorfe nähern will, sollte nach Aufrufen der Homepage erst einmal im 'Guide' nachschauen. Siehe da, wie an der Münchner Autobahn gibt es zunächst einen großen Stadtplan - nun heißt der Ort auch Sherwood Towne -, und wer damit nicht zurecht kommt, sollte sich durch eine kleine Bildersammlung klicken, die typische Szenen aus der Gemeinde vorführt. Der eigentliche Besuch und die eigene Ansiedlung in Sherwood sind ein wenig komplizierter: Erst lädt man sich den Browser (die Bedienungsoberfläche) von ActiveWorld in den Computer und dann lässt man sich - ganz spielgemäß - durch die Eingabe der Koordinaten 105.4N 188.8E vors Tor von Old Sherwood Towne teleportieren. Die Gebrauchsanweisung endet mit dem Satz: "Nach der Landung drehen Sie sich bitte um, um das Haupttor zu sehen". Wer hindurchgehen will, wird alsbald um die Eingabe einer Identität gebeten und ist damit selbst eine Figur im Spiel.

Sherwood Forest ist ein großes Ensemble: Es gibt die Altstadt mit Frakturschildern, zwei Parks, Wasserfall und gemütlichen Versammlungsräumen, aber es gibt auch eine New Town mit quadratgerasterten Einfamilienhäuser-Arealen und einer eigenen Universität samt Lehrangebot. Einer der Mitbegründer von Sherwood Forest ist der Psychotherapeut Steve Lankton - man kann ihn in Pharaonen-Maske übers Gelände schreiten sehen. Er setzte auf das Gelände eine virtuelle Klinik - Therapies 'R' US - zur Heilung von Internetsucht und -abhängigkeit. Zwischen den Städten und um sie herum erstrecken sich weite Gebiete als Wälder und landwirtschaftliche Nutzflächen. Überall werkeln Avatare (Spielfiguren mit der Identität von Internet-Teilnehmern) und äußern sich durch kurze, ins Bild eingeblendete Sätze oder versammeln sich zum lächelnden Gruppenbild - "Say Cheese".

Die Koordinaten des Sherwood Forest sind nicht von dieser Welt. Dasselbe gilt für seine Landschaften. Meist sind sie subtropisch, in der Aufsicht eben und in der Ansicht von phantastischen Bergen gesäumt. Die Bauwerke folgen relativ einfachen Schemata aus dem Fröbel'schen Kasten und sind mit groben Texturen als steinern oder hölzern gekennzeichnet. Verirrt man sich einmal in einen Innenraum, so ist das ästhetische Repertoire des Fred Flintstone nicht weit: Kamin und grobe Bruchsteinwände, aber selbstverständlich immer ein Computer auf einem Büromöbel oder ein Fernsehgerät im Sichtfeld.

Dächer haben die Häuser von Sherwood Forest ohnehin nicht, die stehen der virtuellen Teleportierung im Weg wie dem realen Satellitenfunkverkehr. Aus der Gründungszeit stammt die räumliche Festlegung des Gesamtfeldes durch römische Aquädukte - so werden sie in der Gemeindesatzung genannt. Sie sind grün und markieren Möglichkeiten der Geländeerweiterung, selbst anheben lassen sie sich. Allerdings transportieren sie kein Wasser, das kommt quasi von selbst; ein ökologisch-ökonomisches Lehrspiel ist der Sherwood Forest nicht.

Was die visuelle Ausstattung angeht, zeigt sich das Ensemble als typisches Spielfeld der frühen 1990er Jahre und ist damit Opfer seines Erfolgs geworden - Änderungen würden von den MitspielerInnen mit Verlassen quittiert, was das ganze Unternehmen in Frage stellt. Ins Netz gestellt wurde die Gemeinde im März 1996; ab Mai desselben Jahres war ein virtueller Landschaftsarchitekt für das Aussehen der Spielareale verantwortlich. Die Geschichte von Sherwood Forest stellt sich, wie bei derlei Spielen im Internet üblich, als Folge von Erfolgen und Katastrophen dar. Sobald sich Erfolge zeigten - wie etwa die Verleihung einer Auszeichnung durch den Prix Ars Electronica 1997 -, kamen Terroristen und zerstörten größere Spielbereiche. Seitdem muss das Contact Consortium ständig darüber entscheiden, welche Aktivität ins Spiel gehört oder nicht. Erich Fromms Satz von der Zerstörung als Kreativität der Hoffnungslosen hat auch diese Kommune früh erreicht. Die Ideale aller Hippie-Kommunen im Westen der USA haben sich allesamt als trügerisch erwiesen, also auch hier.

Als Spiel ist Sherwood Forest keine klassische Digitalstadt, obwohl sämtliche virtuellen Angebote vorhanden sind: Informationen zu (vorzugsweise ökologischer) Ernährung und Lust, eine Gemeindezeitung, eMail-Services und allerlei Verbindungen zu Gesprächsforen, Newsgroups oder Chatrooms. Außerdem verpflichtet sich die elektronische Forstverwaltung, die Dörfer sauber zu halten, das Gras zu schneiden, die Blumen zu gießen und notwendige Straßen zu bauen. Ist es nicht wunderbar?