Impfen gegen die nächste Welle
Infektionszahlen nehmen auch hierzulande wieder zu; Impfen verlangsamt
Weltweit sind inzwischen 4,085 Millionen Todesfälle im Zusammenhang mit der Corona-Pandemie gemeldet worden. Die Dunkelziffer dürfte noch um einiges darüber liegen. 16,5 Millionen gelten zurzeit als infiziert und - sofern sie Symptome habe - als noch nicht genesen. In den globalen Daten - veröffentlicht auf worldometer.info und oben verlinkt - zeichnet sich deutlich die nächste Welle ab.
Auch hierzulande steigt die Zahl der Neuinfizierten - wenn auch zunächst noch auf niedrigem Niveau - rasch wieder an. Besorgniserregend ist vor allem der R-Wert, der die Ausbreitungsgeschwindigkeit des Virus beschreibt. Ein R-Wert von 1 bedeutet, dass 100 Infizierte 100 Personen anstecken. Bei einem Wert von 0,8 sind es nur 80, die Pandemie geht zurück, und bei R gleich 1,2 stecken 100 Infizierte 120 Personen an.
Nun steigt der R-Wert seit dem 14. Juni, als er mit 0,68 seinen niedrigsten Wert seit Ausbruch der Pandemie erreichte, ziemlich kontinuierlich wieder an. Am 30. Juli erreichte er den Wert 1, zuletzt lag er am 11. Juli bei 1,38. Letzteres ist seit dem 22. Oktober 2020 der höchste Wert. Nachzulesen ist das alles auf der oben verlinkten Seite mit den Daten der Funke Mediengruppe. (Das RKI gibt allerdings mit 1,18 am 14. Juli einen deutlich niedrigeren Wert an.)
Nun könnte man einwenden, dass es vor 11 Monaten schon einmal einen derart steilen Anstieg des R-Wertes auf ähnliche Höhen gegeben hat, der dann jedoch schnell wieder abfiel. Auszuschließen ist das derzeit natürlich auch nicht, insbesondere für den unwahrscheinlichen Fall, dass mit den Lockerungen deutlich vorsichtiger umgegangen wird, als derzeit geplant.
Steiler Anstieg in Großbritannien
Andererseits dominiert inzwischen auch in Deutschland mit einem Anteil von mindestens 75 Prozent die Delta-Variante des Virus, und die ist deutlich infektiöser. Letzteres ist vor allem aus Großbritannien bekannt, wo sie sich seit Längerem schnell ausbreitet und inzwischen täglich über 40.000 Neuinfizierte gemeldet werden.
Der Anstieg der Infiziertenzahlen in Großbritannien ist derart steil, dass nicht mehr viel fehlt, um das Ausbreitungsniveau der bisher größten Welle aus dem Januar 2021 zu erreichen. Dabei sind nach Angaben des Senders BBC bereits 46 Millionen Menschen mindestens einmal geimpft. Das wären rund 76 Prozent der Bevölkerung über 11 Jahren.
Wie die britischen Erfahrungen zeigen, können sich auch Menschen mit teilweisen oder vollständigem Impfschutz noch anstecken. Anfang Juli veröffentlichte Daten zeigen aber, dass Menschen mit vollständigem Impfschutz sich mit einer um sechs Siebentel verringerten Chance anstecken und im Falle einer Infektion ein geringeres Risiko haben, an Long Covid zu erkranken.
Impfquoten
Hierzulande haben immerhin 49,47 Millionen Menschen zumindest eine erste Impfung erhalten. Das sind bei rund neun Millionen Kindern unter 12 immerhin 66,8 Prozent des Teils der Bevölkerung, für die eine Impfung in Frage kommt. (Wobei bei den nicht ganz fünf Millionen 12 bis 17-jährigen immer noch große Unsicherheit herrscht, ob eine Impfung sinnvoll ist.)
Eine vollständige Impfung haben bisher knapp 38 Millionen Menschen. Nach Angaben des Robert-Koch-Instituts vom 14. Juli wurden seit dem 1. Februar 2021 hierzulande 5.374 Fälle gemeldet, bei denen sich Personen mit vollständigem Impfschutz infiziert hatten.
Anders als noch letzte Woche etwas zu optimistisch berichtet, verlangsamt sich inzwischen die Zahl der Erstimpfungen deutlich. Insofern ist es sicherlich eine gute und vermutlich noch ausbaubare Idee, dass in diversen Städten mit mobilen Impfwagen und -stationen in Einkaufszentren näher an die Menschen gegangen wird, die mit den Impfzentren und Arztpraxen bisher nicht erreicht werden konnten.
Die Frage ist, welche Impfquote ist notwendig, um die Pandemie einzudämmen. Das Robert-Koch-Institut hat dazu Anfang Juli die Ergebnisse von Modellrechnungen (PDF, ab Seite drei). Diese sind in letzter Zeit öfter zitiert worden, wobei allerdings offensichtlich viel Raum für Missverständnisse gelassen wurde.
Zum einen ist beim RKI von der Kontrolle der Pandemie die Rede, die sich vor allem an der Belegung der Betten in den Intensivstationen bemisst. Keine Rolle spielt dabei zum Beispiel der Infektionsgrad der Kinder und Jugendlichen, von denen man bisher annimmt, dass sie ein sehr geringes Risiko eines schweren Krankheitsverlaufs haben. Ob das so bleibt, ist ungewiss. Erste Berichte aus Großbritannien lassen befürchten, dass die Delta-Variante bei ihnen vermehrt zu Long Covid führen könnte.
Zum Zweiten gibt es eine gewisse Verwirrung mit Impfquote und Prozentzahlen. Meist wird die Zahl der Geimpften im Verhältnis zur Gesamtbevölkerung angegeben. Das RKI spricht aber davon, dass "bis mindestens 85% der 12- bis 59-Jährigen bzw. 90% der ≥60-Jähri-gen vollständig gegen COVID-19 geimpft" sein müssen, um die angestrebte Kontrolle der Pandemie zu erreichen.
Daher haben wir oben die Zahl der mindestens einmal Geimpften auf die Bevölkerung über 11 Jahren bezogen. Der Vergleich mit dem Zielwert des RKI zeigt, dass wir von diesem nicht mehr so weit entfernt sind, vorausgesetzt, alle holen sich auch die Zweitimpfung. Vom RKI beauftragte Umfragen, die die Impfbereitschaft erkunden sollen, lassen den Schluss zu, dass die angestrebten Quoten erreichbar sind.
Zum Dritten heißt das Erreichen dieser Quoten aber noch lange nicht, dass alle Vorsichtsmaßnahmen überflüssig werden. Beim RKI heißt es dazu:
Unter Annahme dieser Impfquoten und in Kombination mit Basishygienemaßnahmen und einer geringfügigen Reduktion des Kontaktverhaltens sollte es im Herbst/Winter nicht mehr zu einem starken Anstieg der COVID-19-bedingten Intensivbettenbelegung kommen. Aufgrund der sich schnell ausbreitenden Delta-Variante ist es jedoch entscheidend, dass (i) die noch ungeimpfte Bevölkerung motiviert wird, das Impfangebot noch im Sommer wahrzunehmen, um die notwendigen Impfquoten möglichst bald zu erreichen, (ii) ausreichend Kapazitäten zur Verabreichung der in Aussicht gestellten Impfstoffmengen bestehen und (iii) die Bevölkerung weiterhin die Basishygienemaßnahmen umsetzt.
RKI, Epidemiologisches Bulletin vom 8. Juli 2021