In Deutschland sinkt die Lebenserwartung - aber warum?
Mehr Ärzte und mehr Krankenhausbetten als andere Länder. Trotzdem sterben die Deutschen im internationalen Vergleich früher. Das sind einige Gründe.
Nicht nur beim Eurovision Song Contest landet Deutschland inzwischen regelmäßig auf den letzten Plätzen. Auch bei der Lebenserwartung findet sich das Land der Dichter und Denker im europäischen Vergleich auf den letzten Rängen. "Bei einem Ranking zur Lebenserwartung unter 16 Ländern in Westeuropa erreicht Deutschland bei den Männern lediglich Platz 15 – bei den Frauen Platz 14", meldet Die Welt am 11. Mai 2023.
Hauptursache für den deutlichen Rückstand sei eine Zunahme der Todesfälle durch Herz-Kreislauf-Erkrankungen, schreibt das Bundesinstitut für Bevölkerungsforschung (BiB). Es beruft sich dabei auf eine Studie, die Forschende des BiB und des Max-Planck-Instituts für demografische Forschung am 25. April dieses Jahres im European Journal of Epidemiology veröffentlicht haben.
Hauptursache für frühen Tod: Herz-Kreislauf-Erkrankungen
Herz-Kreislauf-Erkrankungen könnten in vielen Fällen vermieden werden. Die Hoffnung der Mediziner auf die Vernunft der Menschen oder auf strengere Regeln etwa bei der Tabak- und Alkoholwerbung ist trügerisch.
Alkohol gilt oft noch als Lebensmittel, Tabakkonzerne dürfen Parteitage sponsern und eine Zürcher Tageszeitung schmückt ihren Newsletter für Deutschland mit Werbung für einen Schweizer Zigarettenhersteller.
Der irische Vorschlag, italienische Weinflaschen mit einem Gesundheitslabel zu versehen, hat nicht nur in Italien für Unmut gesorgt. Der Spitzenplatz Deutschlands beim Pro-Kopf-Verbrauch von Zucker und der hohe Anteil tierischer Produkte sind nachweislich gesundheitsschädlich.
Die Häufigkeit der Arztkontakte pro Person ist zwar extrem hoch, aber die Zeit, die pro Patient zur Verfügung steht, um gesundheitsförderndes Verhalten zu besprechen, ist deutlich kürzer als in den in der BiB-Studie verglichenen Ländern.
Krankenkassen stark belastet
Eine ungesunde Lebensweise macht sich bei den Krankenkassen immer stärker bemerkbar. Sie verursacht viele Krankheiten, die gerade im Alter auftreten und deren Behandlung teuer ist.
Ein Knackpunkt ist die im Gesundheitssystem völlig unterrepräsentierte Prävention. Sie ist in Deutschland, auch im Vergleich zu den anderen untersuchten Ländern, kein Bestandteil der Gesundheitsversorgung. Selbst dort, wo sie konsequent umgesetzt werden könnte und der politische Wille dazu vorhanden wäre, kann der öffentliche Widerstand erhebliche Ausmaße annehmen.
Dies zeigt sich aktuell bei der in der Europäischen Union zugelassenen Impfung gegen das Dengue-Fieber. Die am RKI angesiedelte Stiko zögert bislang mit einer Empfehlung. Die Folgen: Ärzte impfen nur zögerlich und die gesetzlichen Krankenkassen übernehmen die Kosten auch auf Antrag nicht.
Gesundheitliche Vorsorge ist in Deutschland verpönt
Das geringe Interesse der deutschen Versicherten an Prävention treibt die Kosten im ohnehin schon teuersten Gesundheitssystem Europas weiter in die Höhe. Deutschland leidet massiv unter seiner Fokussierung auf den medizinischen Reparaturbetrieb anstelle einer konsequenten Gesundheitsvorsorge.
Die Versicherten erwarten hierzulande von den Ärzten, dass sie ohne zu zögern reparieren, was durch ihr eigenes Verhalten schiefgegangen ist. Und von den Krankenhäusern erwarten sie, dass immer ein Bett für sie frei ist.
Die mangelnde Vorsorge beginnt im Kindesalter mit dem oft schlechten Angebot an gesunder Schul- und Kitaverpflegung und kommunalen Sportangeboten und reicht bis zu fehlender Gesundheitsberatung und mangelnden Anreizen für gesunde Ernährung. Das immer beliebter werdende Convenience-Food von der Dosenravioli bis zur Fertigpizza hat verheerende Folgen.
Gerade angesichts der enormen Ressourcen, die in Deutschland für Gesundheit ausgegeben werden, sollte der Vergleich der Lebenserwartung mit anderen Ländern zumindest verstören, besser noch aufrütteln.
So gibt es in Deutschland überdurchschnittlich viele Ärztinnen und Ärzte. Gleichzeitig gibt es mehr Krankenhaus- und Intensivbetten als in fast allen anderen in der BiB-Studie verglichenen Ländern. Auf die Lebenserwartung scheint sich dieser Aufwand nicht positiv auszuwirken.
Die Deutsche Gesellschaft für Allgemeinmedizin und Familienmedizin (DEGAM) fordert nun, endlich mehr auf Prävention und Gesundheitskompetenz zu setzen. So müsse der akute Bewegungsmangel der deutschen Gesellschaft jetzt intensiver angegangen werden.
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