In Tschetschenien verhärten sich die Fronten
Der russische Präsident Putin setzt ausschließlich, wie die Tötung des als gemäßigt geltenden Rebellenführers Maschadow bestätigt, auf die militärische Lösung - ebenso wie die islamistischen Rebellen
Der russische Präsident Putin hatte immer wieder betont, dass er mit den tschetschenischen Rebellen nicht über eine Lösung des Konflikts verhandeln werde, auch nicht mit dem relativ gemäßigten Aslan Maschadow, der sich von den brutalen Terroranschlägen und Massengeiselnahmen seines Rivalen Schamil Bassajew zumindest immer distanziert hat. Putin setzte unmissverständlich weiter auf eine letztlich militärische Lösung, lobte 10 Millionen US-Dollar auf seinen Kopf aus, suchte die Auslieferung von Mitgliedern der tschetschenischen Exil-Regierung durch Druck auf die europäischen Regierungen zu bewirken und stützte sich, anstatt zu verhandeln, auf ein dubioses, scheindemokratisch legitimiertes tschetschenisches Statthalterregime (Der Kandidat hat 99 Punkte). Wie es zur Tötung von Maschadow vor zwei Tagen genau gekommen ist, wird wohl weiterhin nach dem Stil von Putins gelenkter Demokratie nie ganz aufgedeckt werden. Der von Putin zur Schau gestellte Triumph über die Tötung dürfte jedenfalls kurzsichtig sein.
Der ehemals gewählte Präsident Tschetscheniens galt noch immer als ein führender Kopf des tschetschenischen Widerstands, der allerdings schon während seiner Präsidentschaft immer mehr unter den Druck der radikalen Islamisten geraten ist. Welche Macht er in der Region wirklich noch hatte, ist schwer zu sagen. Möglicherweise hätte man dies feststellen können, wenn Putin auf die Angebote eingegangen wäre, etwa im Falle der Massengeiselnahmen in Moskau und in Beslan als Vermittler aufzutreten. Auch hier zog Putin die harte Hand vor, selbst wenn dies zahlreichen Geiseln das Leben kostet. Zuletzt hatte Maschadow noch einen einseitigen Waffenstillstand ausgerufen, der auch weitgehend eingehalten wurde, ihn aber aus Sicht des Kremls noch gefährlicher werden ließ.
Angeblich wurde Maschadow am Dienstag von Mitgliedern des Geheimdienstes FSB während eines Gefechts getötet, als die sein Versteck, ein Bunker unter einem Haus, in der Nähe von Grosny stürmten (das erinnert natürlich nicht nur die russischen Medien gleich an die Festnahme von Saddam Hussein, die gerade dieser Tage auch wieder von einem ehemaligen US-Soldaten als Inszenierung beschrieben) wurde. Wie so oft kursieren Gerüchte über seinen Tod. Der stellvertretende tschetschenische Regierungschef Ramsan Kadyrow erzählte wohl die beste Geschichte und sagte, Maschadow habe sich durch "unachtsames" Hantieren mit Waffen selbst umgebracht. Es heißt aber auch, er sei durch eine Granate oder durch einen Schuss getötet worden. Man sagt aber auch, dass er womöglich schon tot gewesen sei, bevor ihn der FSB gefunden hatte. Möglicherweise wurde er also von tschetschenischen Widersachern bzw. von Einheiten der von Moskau gestützten tschetschenischen Regierung getötet, wie Rebellen hier behaupten,. Oder die Story stimmt doch, dass er an einem Unfall starb. Zumindest hatte der Geheimdienst aber einen Tipp erhalten, wo er suchen muss.
Nach einer an der Geheimdienstoperation beteiligten Quelle wurde Maschadow mit drei Gefährten in seinem tief unter der Erde gelegenen Bunker überrascht, zu dem nur einen einzigen Zugang gab. Gefunden in dem Bunker wurden angeblich zwei Notebooks, Schusswaffen, Granaten und ein Sprengstoffgürtel (was ihn wohl in die Nähe von Selbstmordanschlägen rückt oder rücken soll).
Angeblich lehnte er es ab, sich zu ergeben. Daraufhin sollen die FSB-Truppen Handgranaten in den Bunker geworfen haben, wie auch der russische Innenminister sagt, wodurch er und seine Gefährten getötet wurden. Andere Mittel wie Tränengas, die "erprobten" chemischen Betäubungsmittel oder ähnliches, um Maschadow lebendig zu fangen, wurden danach nicht in Betracht gezogen. Ilya Shabalkin, der Sprecher der russischen Truppen in Tschetschenien, erklärte ebenfalls, dass Maschadow durch die Explosion einer Granate gestorben sei, meinte aber, die drei Gefährten seien gefangen genommen worden. Stolz ließ Putin wie in einem archaischen Ritual die Leiche des Rebellenführers in den Medien präsentieren (und bedankte sich überschwänglich beim FSB, was eben auch betonte, dass er die Darstellung stärkt, Maschadow sei vom Geheimdienst getötet worden). Auf den Bildern der Leiche sah man davon allerdings wenig, nur am linken Auge scheint er eine Verletzung, die von einem Schuss herrühren könnte, zu haben.
Auch in Russland gilt die Tötung von Maschadow nicht gerade als Meisterleistung der Politik von Putin. Mit Maschadow stirbt die Hoffnung kommentierte etwa die Moscow Times. Putin inszenierte die Tötung auch so, dass er sich im Fernsehen zeigte, wie er angeblich gerade vom Geheimdienstchef in der üblichen Steifheit die Nachricht vom Tod des Rebellenführers erhielt. Allgemein wird angenommen, was auch die Rebellen selbst sagen, dass nun eine weitere Eskalierung und Radikalisierung stattfinden wird. Nachdem nun die wohl einzige Person auf Seiten der Separatisten eliminiert wurde, mit der Verhandlungen über eine friedliche Lösung überhaupt hätten geführt werden können, dürfte Putin erst recht auf die militärische Karte und damit auch auf weitere Missachtung von Menschenrechten setzen.
Putin, der in letzter Zeit im Inland und im Ausland stark unter Druck geraten war, könnte mit diesem "Erfolg" seiner harten Linie punkten wollen. Zugleich kann er nun gegenüber dem Westen sagen, der immer wieder zu Verhandlungen aufgefordert hat, dass es niemanden mehr dazu gibt. Und er hat vermieden, dass mit einer Gerichtsverhandlung gegen Maschadow auch seine auf Gewalt setzende Politik zur Sprache kommt und diskutiert wird. Dem Geheimdienstchef sagte er unter den Augen der Kameras, es gebe in Tschetschenien "noch viel zu tun". Das ist eindeutig.
Den radikalen Kräften unter den Rebellen kommt der Tod von Maschadow ebenfalls zu Pass. Auch sie müssen jetzt nicht mehr Zurückhaltung gegenüber den Gemäßigten üben und können alles auf die Karte der Gewalt setzen. Prompt kam denn auch der Aufruf zur Einheit und zum Dschihad von Seiten der Rebellen, für die nun Maschadow zum Märtyrer geworden ist. Nun gebe es in der Tat nichts und niemanden mehr zum Verhandeln:
Mit der Ermordung von Maschadadow hat der Kreml in die letzte Illusion bei den Tschetschenen getötet, die noch immer an das sogenannte "internationale Recht" und an zivile Kommunikationsformen mit dem heutigen Regime in Moskau geglaubt haben. Mit dem Tod des Präsidenten beginnt eine neue Periode in der Geschichte der ruassisch-tschetschenischen militärischen Konfrontation.
Mehr oder weniger wird also der totale Krieg bis zum endgültigen Rückzug der Russen ausgerufen, was erneut Schlimmes für die Menschen in Tschetschenien und der Region befürchten lässt, die Geiseln und Opfer beider Konfliktpartner sind. Seit dem Ausbruch des Konflikts sind 200.000 Menschen in Tschetschenien umgekommen. Auch Ansor Maschadow, der Sohn des Getöteten, sowie der in London lebende Sprecher des politischen Flügels der Rebellen, Achmed Sakajew, betonen, dass der bewaffnete Kampf weiter gehen wird. An die Stelle von Maschadow rückt der Islamist Abdul Chalim Sadulajew, während Schamil Bassajew nun ganz freie Hand haben dürfte und mit neuen Terroranschlägen aufwarten wird, bei denen sich Putin wieder als starker Mann präsentieren kann.