In der Kanzlerfrage weiter alles offen
Nach dem CDU-Parteitag ist klar, der Vorstand will den Kanzlerkandidaten wie bisher mit der CSU aushandeln. Deren Vorsitzender sparte nicht mit markigen Worten gegen die AfD, will aber durchaus deren Politik umsetzen
In der Union ist weiterhin alles offen in der Frage der Kanzlerkandidatur. Das ist das Ergebnis, des am Samstag zu Ende gegangen CDU-Parteitag. Schon seit Wochen hatten die Medien die Frage der Kanzlerkandidatur in den Fokus gerückt und ein Showdown Merz-Kramp-Karrenbauer beschworen. Das kam der Regie der CDU-Führung entgegen, nach außen Geschlossenheit zu zeigen. So wurde dann die gegenwärtige Parteivorsitzende in dieser Funktion mit Applaus gedacht. Auch der CSU-Vorsitzende Söder hat sie ausdrücklich als aktuelle Vorsitzende unterstützt. Das bleibt sie einstweilen auch, die Frage der Kanzlerkandidatur wird vertagt und alles bleibt offen.
Die Verschiebung der Frage scheint für die CDU auch ohne Risiko, weil sich die Anzeichen mehren, dass die SPD in der gegenwärtigen Regierungskoalition verbleibt. Das Duo Scholz-Geywitz, das mittlerweile viel Unterstützung aus der SPD-Führung erfährt, steht ganz eindeutig auf der Linie Weiter so. Aber auch die beiden Kontrahenten Borjan/Esken, die als diffus links gehandelt werden, haben schon längst klargemacht, dass sie das Regierungsbündnis auch beibehalten wollen. Schließlich hat die Union vor der entscheidenden Abstimmung der SPD-Mitglieder den Sozialdemokraten bei der Frage der Altersrenten kleine Erfolge gegönnt.
Da allgemein bekannt ist, wie genügsam die SPD ist, war es auch nicht schwer, ihr zu suggerieren, wie wichtig sie in der Regierung ist. Zudem war die Bereitschaft der SPD-Basis aus der Regierung auszutreten nie so groß als medial suggeriert wurde. Schließlich sagen die Umfrageergebnisse der SPD auch keine großen Zugewinne voraus, im Gegenteil. Eine Regierungskonstellation ohne die Union gibt es nach den Mehrheitsverhältnissen nicht. Zudem bereiten sich die Grünen eher auf eine Koalition mit der Union nach den nächsten Wahlen als auf ein sogenanntes Linksbündnis vor.
Auch wenn in den letzten Wochen Umfragen lanciert wurden, die wieder mehr Zustimmung für eine Regierung aus SPD, Grünen und Linkspartei ergeben, sind das die üblichen Mutmacher für diejenigen, die von einer Reformpolitik träumen. Nur gab es dafür über mehrere Legislaturperioden rechnerische Mehrheiten, ohne dass diese Projekte ernsthaft in Angriff genommen wurden. Auch in dem Wissen, dass die vielgepriesene Reformpolitik unter dem Vorbehalt der Märkte, der wirtschaftsliberalen EU-Konstruktion und vieler anderer kapitalistischer Zwänge gestanden hätte.
Es bestand also auf dem CDU-Parteitag kein Grund, die Kanzlerfrage jetzt zu klären. Auch für die Merz-Anhänger in der Union ist klar, dass die Ernennung eines Kandidaten zwei Jahre vor den nächsten Wahlen bedeutet, dass mehr Zeit besteht, den Kandidaten zu desavouieren. Gerade in der politischen und beruflichen Karriere des praktizierenden Marktradikalen Friedrich Merz würde sich da sicher einiges finden.
Keine Mitgliederbefragung in der Union
Immerhin ist nach dem Unionsparteitag klar, dass der Kanzlerkandidat in der Union nicht durch eine Mitgliederbefragung gekürt werden soll. Das wird allgemein als Erfolg für die aktuelle Vorsitzende gewertet, was aber nur indirekt richtig ist. Denn es ist keineswegs klar, ob Merz mehr Zustimmung unter den Unionswählern hat als Kramp-Karrenbauer. Hier werden oft die Kommentatoren von wirtschaftsliberalen Medien und Organisationen, die sich immer lautstark zu Wort melden, mit der Stimmung der Mehrheit der Mitglieder verwechselt.
Die Ablehnung der Mitgliederbefragung in der Kanzlerfrage bedeutet aber, dass die CDU-Führung eben noch genügend Hegemonie beansprucht, um die Kanzlerfrage in den Gremien klären zu können. Insofern ist das auch eine Unterstützung der gegenwärtigen Vorsitzenden, aber eben nicht nur. Es geht eher um eine Bestätigung der Gremien. Dass sich die CSU besonders gegen eine Mitgliederbefragung wandte, liegt daran, dass man dort besonders großen Wert legt, die Hegemonie in der Partei auszudrücken. Wenn Söder davor warnte, mit der Mitgliederbewerbung die SPD zu kopieren, wird das besonders deutlich. Denn auch dort geht es nicht um den Ausdruck einer neuen Basisdemokratie. Den Beschluss, die Basis über den Vorsitz entscheiden zu lassen, ist eine Folge des Hegemonieverlusts der SPD-Führung, der mit dem Abgang von Andrea Nahles besonders deutlich wird.
In der SPD streiten sich aktuell sehr unterschiedlich Kräfte und Gruppen um Einfluss und Macht, und es ist über Jahre nicht gelungen, dort einen neuen hegemonialen Block herzustellen. Dann bleiben die Mitgliederbefragungen als letzter Ausweg. Die Union hat mit ihrer Ablehnung der Vorstöße nach einer Mitgliederbefragung deutlich gemacht, dass sie eben noch ihre Gremien noch für hegemoniefähig hält. Sie müssen in der Lage sein, zeitnah zu den nächsten Wahlen die Kanzlerkandidatur auszuhandeln. Dabei wird die gegenwärtige Vorsitzende eine Rolle spielen. Ob sie selber in der Lage ist anzutreten, oder die Kandidatur einem anderen Unionspolitiker anzutragen, wie es 2001 Merkel gemacht hat, als sie Stoiber den Vortritt ließ, wird auch davon abhängen, wie die nächsten Landtagswahlen ausgehen. Da sollte man aktuell mit Prognosen vorsichtig sein.
Rechts von der Union nur die Wand?
Neben der Kanzlerfrage gingen andere sachte Weichenstellungen in der Politik unter, die auf dem CDU-Parteitag zu beobachten waren. Natürlich wurden auch die Grünen als politische Konkurrenten angegriffen. Doch das ist der übliche politische Streit unter politischen Kontrahenten, die im Anschluss durchaus miteinander koalieren können. Besonders schroff war die Abgrenzung von Söder zur AfD, die er mit der NPD auf eine Stufe stellte.
Wenn er dann der AfD vorwarf, sie könne nicht bürgerlich und konservativ sein, weil bürgerliche und konservative Politiker nicht hetzen und spalten, dann muss man sich fragen, ob er jetzt Innenminister Seehofer aus der CSU ausschließen will. Schließlich hatte der vor zwei Jahren im Streit um die Obergrenzen für Migranten eine Koalitionskrise herbeigeführt, von der Herrschaft des Unrechts gesprochen, weil 2015 die Grenzen nach Deutschland nicht geschlossen wurden und auch schon angekündigt, bis zur letzten Patrone gegen Zuwanderung in deutsche Sozialsysteme zu kämpfen. Söder hatte bereits vor einigen Monaten markig erklärt, dass Strauß die AfD bis aufs Blut bekämpft hätte. Damit hat er gar nicht Unrecht. Strauß hatte immer erklärt, dass rechts von der Union nur die Wand sein dürfe. Er sorgte dafür, dass die CSU so weit nach rechts offen ist, dass daneben keine andere Rechtspartei mehr Platz hat. Genau das ist noch immer das Programm der CSU, und es gibt auch in der Union und darüber hinaus Stimmen, die von der Union insgesamt mehr konservatives Profil fordern, um der AfD das Wasser abzugraben. Genau diese Richtungsentscheidung bleibt auch nach dem Parteitag offen.
Auch ohne AfD Antifaschisten bekämpfen - das Beispiel VVN-BdA
Dass Bayern keine AfD braucht, um gegen Linke und speziell gegen antifaschistische Organisationen vorzugehen, zeigte sich vor einigen Tagen. Da wurde bekannt, dass das Berliner Finanzamt der Bundesvereinigung der Vereinigten der Verfolgten des Naziregimes/ Bund der Antifaschisten die Gemeinnützigkeit aberkannt hat. Als Begründung wurde der bayerische Verfassungsschutzbericht herangezogen, in dem die VVN-BdA von Linksextremisten beeinflusst dargestellt wurde.
Ein Entzug der Gemeinnützigkeit würde die Organisation gefährden, weil damit nicht nur der Wegfall von finanziellen Mittel, sondern sogar die Rückzahlung von bereits ausgezahlten Geldern verbunden wäre. In einer Pressemitteilung schreibt die VVN-BdA schreibt in einer ersten Pressemitteilung:
Das bedeutet, dass die Bewertung durch eine nachgeordnete bayrische Landesbehörde, die laut bayrischem Gerichtshof keine Tatsachenbehauptung darstellt, demnach über das Schicksal einer bundesweit arbeitenden zivilgesellschaftlichen Organisation entscheiden dürfen soll.
Aus der Erklärung der VVN-BdA zur Aberkennung der Gemeinnützigkeit
Die Organisation wurde 1947 von Widerstandskämpfern gegen das Naziregime der unterschiedlichen politischen Richtungen gegründet, stand aber bereits im Kalten Krieg im Visier der oft von NS-Mitgliedern bestückten Staatsapparate in der BRD. Sie galt ab den 1950er Jahren als kommunistisch beeinflusst, wurde beobachtet und in einigen Bundesländern gar verboten. Ein bundesweites Verbot der VVN-BdA wurde im Kalten Krieg durchaus in Erwägung gezogen. Doch man sah davon ab, weil es einen internationalen Skandal provoziert hätte, wenn Staatsapparate mit ehemaligen NS-Funktionären eine Organisation der Antifaschisten verboten hätte. Doch sie stand immer im Visier vom Verfassungsschutz und manches Berufsverbot wurde auch mit der Mitgliedschaft bzw. mit Aktivitäten für die die VVN-BdA begründet. In den 1970er Jahren öffnete sich die Organisation für junge Antifaschisten und spielt in manchen Städten eine wichtige Rolle bei der Erinnerungspolitik und nimmt auch eine vermittelnde Funktion zwischen älteren Antifaschisten und der jungen Antifabewegung ein. Das ist wohl auch ein Grund, warum die Organisation aktuell wieder im Visier der Staatsapparate, nun des Finanzamtes, steht.
Das Beispiel zeigt aber auch, dass sich eine bürgerliche Partei sehr vehement von der AfD abgrenzen und gleichzeitig eine Politik machen kann, die deren Mitglieder begeistert. Das ist genau das Projekt von F.J. Strauß gewesen. Wir brauchen keine rechte Partei neben uns, wir können das besser. Wenn nun Söder am CDU-Parteitag dieses Rezept empfiehlt, zeigt sich am Beispiel der VVN-BdA, wie es umgesetzt wird.
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