In der "gefährlichsten" Stadt der Welt
Ein Besuch in San Salvador
Vor dem Hotel Sheraton, einem der besten Häuser der Stadt, stehen bewaffnete Polizisten mit dem Maschinengewehr im Anschlag. Policia del Turismo wird die Einheit genannt, Touristen-Polizei.
San Salvador (auf Deutsch: "Heiliger Erlöser"), Hauptstadt von El Salvador ("Der Erlöser"), dem geographisch kleinsten Staat Mittelamerikas, verfügt über einen zweifelhaften Ruf.
San Salvador gilt als gefährlichste Stadt der Welt, als Mordhauptstadt, gemäß der internationalen Statistiken, wonach nirgendwo mehr Menschen einem Gewaltverbrechen zum Opfer fallen (außerhalb der Kriegsgebiete).
"Jaja, die Gangs", murmelt Roberto Caledonio. "Weißt Du, ich fahre jeden Tag in San Salvador mit den öffentlichen Verkehrsmitteln umher, mir ist aber bisher noch kein Mitglied der Gangs begegnet", stellt er nüchtern fest.
Caledonio, Jahrgang 1974, ist ein Kind des Bürgerkrieges, der das Land von 1979 bis 1992 heimsuchte. Ein klassischer Stellvertreterkonflikt des Kalten Krieges, der zehntausende von Opfern forderte, flankiert von den gravierenden soziopolitischen Rahmenbedingungen der Region, an denen sich bis heute nicht viel geändert hat.
Caledonio, Architekt von Beruf, arbeitet seit Jahren als freier Tourguide. El Salvador versucht Touristen aus aller Welt anzuziehen, auch um die ökonomische Dauermisere zu durchbrechen, unter der das Land seit Jahrzehnten leidet.
"Ja, natürlich gibt es die Probleme mit den Maras, die Gewalt, aber davon sind Touristen am allerwenigsten betroffen, die Massaker finden in den Armenvierteln statt" fügt Roberto Caledonio hinzu.
Caledonio lädt zu einem Bummel durch die Innenstadt ein, ein Unterfangen vor dem das US-Außenministerium seinen Landsleuten dringend abrät - und auch das Auswärtige Amt hat auf seiner Homepage Sicherheitshinweise platziert.
Vom Hotel Sheraton geht es im Bus in Richtung Zentrum. Wie in den mittelamerikanischen Nachbarstaaten befinden sich die besseren Viertel auf den Hügeln um die Stadtmitte herum.
Der majestätisch von Wolken umrahmte Vulkan Boqueron, an dessen Ausläufern sich das Stadtgebiet erstreckt, ist von jedem Punkt der Metropole aus sichtbar.
Der Verkehr wird dichter, die Architektur verändert sich. Statt moderner Neubauten, palmengesäumter Alleen und Blumenrabatten tauchen jetzt heruntergekommene Straßenzüge mit Kolonialbauten auf, die von Menschenmassen überquellen. An einer Straßenkreuzung stehen bewaffnete Soldaten, die ihr Gesicht hinter Sturmhauben verbergen. Eine martialische Szene, die nachdenklich stimmt.
Die Maras
Erst vor einigen Wochen wurden in einer landesweiten Razzia über 500 Gang-Mitglieder verhaftet. Pro Tag werden im Durchschnitt 14 Menschen im Land ermordet, die Zahlen schwanken. Anfang des Jahres vermeldeten die Medien den ersten Tag ohne Mord - ein Ereignis welches die Schlagzeilen dominierte.
An eine Hauswand hat jemand einen Slogan gesprüht. "Christian Poveda es inmortal" - "Christian Poveda ist unsterblich". Eine Hommage an den französisch-spanischen Filmemacher und Fotografen, der 2009 außerhalb der Hauptstadt ermordet wurde, nachdem er seinen Film "La Vida Loca" / "Das verrückte Leben" über die Gewalt der Gangs beendet hatte.
Eventuell hatte er sich zu intensiv mit der Mara 18 auseinandergesetzt und damit die Konkurrenz der Mara Salvatrucha verärgert, aber das ist nur Spekulation. Mara 18 und Mara Salvatrucha sind jene beiden Gangs, die sich seit über 20 Jahren in El Salvador und in den Nachbarstaaten eine blutige Fehde liefern, die Züge eines Vernichtungskrieges anzunehmen schien.
Es begann in den 1980er Jahren in Los Angeles, in den Ghettos und mittelamerikanischen Einwandervierteln des südkalifornischen Städtebreis, wohin es viele Flüchtlinge während des Bürgerkrieges aus San Salvador verschlagen hatte. Gerade als in El Salvador ein Waffenstillstand ausgehandelt wurde, begann die USA mit der Rückführung vieler Flüchtlinge und exportierte so die Gewalt.
Das geschundene Land war der beste Nährboden für die Gangs, Waffen gab es in Hülle und Fülle, die bittere Armut führte immer neue Jugendliche in die Hände der Banden.
"Eine Geschichte der Gewalt", lautet der Titel des lesenswerten Buches des salvadorianischen Journalisten Oscar Martinez, in dem er sich mit den Ursachen des Bandenkrieges tiefgehend auseinandersetzt. Martinez analysiert, wie der Rückzug des Staates die Narco-Kriminalität - also den Drogenhandel - in Richtung USA befördert und die Gesellschaft durchdringt.
"Es war ein Fehler, dass wir unsere eigene Währung aufgegeben haben!"
Roberto lädt den Besucher in eine Bar ein. Junge Männer lungern am Tresen herum, spielen Billard und trinken Bier. Aus den Boxen dröhnt lateinamerikanischer Pop, zwischendurch auch Hispano-Rap.
Roberto begrüßt Antonio, den Inhaber der Bar. "Meine ganze Familie lebt in Seattle, im pazifischen Nordwesten der USA, scheiß auf LA, ich sag Dir, Seattle ist "The place to be", erzählt Antonio dem Besucher." Ich habe zwar 'ne Greencard, kann aber nicht zurück, weil ich 40.000 Dollar Schulden habe, so ist das Leben", fügt er mit einem Lachen hinzu. Mit einem jener Lachen, hinter denen sich in El Salvador auch immer Trauer verbirgt.
"Ich war Baarkeeper, der beste zwischen San Franciso und der kanadischen Grenze, sogar Bill Gates war mal mein Gast. Sah der aus: wie ein Penner - aber gutes Trinkgeld gab er. Aber, weißt Du, hier in El Salvador lebst Du nicht schlecht. Die Menschen sind nett, das Land ist schön, fahr doch mal raus, schau Dir die Vulkane an, die Küste am Pazifik, den Regenwald, wo findet man so etwas?" Roberto schiebt einen Dollarschein über den Tresen, das offizielle Zahlungsmittel in El Salvador. "Es war ein Fehler, dass wir unsere eigene Währung aufgegeben haben!" fügt er hinzu." Sind wir denn eine Kolonie der USA?" Roberto ist ein Anhänger der linken Regierung:
Links waren meine Familie und ich schon immer, auch während des Bürgerkrieges, wir behielten unsere Überzeugungen aber für uns. Meine Eltern schickten mich auf das französische Gymnasium, dort lernte ich mit den Kindern der Juntas, der Oligarchen, der ultrarechten Eliten des Landes, manchmal war ich sogar bei einem Klassenkameraden zu Gast, dessen Vater ein hoher General war.
(Roberto)
Ende 1989, nachdem in Berlin die Mauer gefallen war und der Kalte Krieg in Europa zu Ende ging, tobte der Bürgerkrieg seinem Höhepunkt entgegen und erreichte auch die Hauptstadt."Sogar das Hotel Sheraton, wo wir uns vorhin getroffen haben, wurde damals zeitweise von den Rebellen erobert", berichtet er.
"Ich bin Optimist, was die Zukunft El Salvadors angeht. Ich bin jetzt 43, der Bürgerkrieg begann als ich 6 war und endete als ich 18 wurde. Mein Vater war Bauunternehmer. In der Euphorie nach dem Waffenstillstand wurde viel gebaut, dann kam das Erdbeben von 2001, tausende Tote, unser Geschäft war zerstört. 2003 kam mein Vater bei einem Verkehrsunfall ums Leben, mit der Firma ging es bergab, ich hängte meinen Beruf als Architekt an den Nagel und arbeite jetzt in der Tourismusbranche. Wie soll man da kein Optimist sein?", ergänzt er lachend.
Geburtenrate unterhalb der Reproduktionsziffer
Roberto drängt zum Aufbruch, und führt den Besucher durch die Straßen, in denen sich die Ladenzeilen unter den Waren biegen. Die Passanten begrüßen ausländische Besucher, pauschal Gringos genannt, freundlich und mit Interesse.
Trotz der steigenden Anzahl internationaler Besucher sind Touristen in der Innenstadt selten. Der Tourismus konzentriert sich in den zahlreichen landschaftlich reizvollen Regionen, außerhalb der Metropole. Hände werden geschüttelt und ein Schwätzchen gehalten, woher man denn sei, wie es einem gefalle und dass das Land besser sei als sein Ruf.
Die Mehrzahl der Einwohner besteht heute aus Mestizen. Indige Gesichtszüge sieht man - im Gegensatz zum Nachbarstaat Guatemala - kaum. Die indianische Bevölkerung fiel 1933 einem Völkermord zum Opfer, ein Ereignis, vergessen und verschwiegen von der Weltöffentlichkeit, welches man in El Salvador La Matanza nennt, das Massaker.
Viele Häuser werden saniert, nach Jahren des Zerfalls und der Vernachlässigung. Immer neue Geschäfte werden eröffnet, wobei die Malls, welche weiter außerhalb errichtet werden, massiv Kundschaft abziehen.
Im Gegensatz zu den Nachbarstaaten ist die Geburtenrate inzwischen unter die Reproduktionsziffer gefallen und liegt bei 1,9 Kindern pro Frau, obwohl im ganzen Land ein strenges Abtreibungsverbot gilt. El Salvador, ein Land der Widersprüche.
"Der wahre Erlöser von El Salvador"
"Jetzt zeige ich Dir noch das Grab von Oscar Romero, des wahren Nationalhelden von El Salvador", sagt Roberto und läuft in Richtung der Kathedrale.
Oscar Romero, der ehemalige Erzbischof von El Salvador, wurde 1980 während einer Messe abgeknallt. Seine Ermordung befeuerte den schon begonnen Bürgerkrieg. Romero war ein Befreiungstheologe, der in Opposition zu der herrschenden Junta im Land stand und sich dadurch auch mit dem Vatikan überwarf. Sein Einsatz für die verarmte und entrechtete Landbevölkerung, damals wie heute herrschen wenige reiche Familien über das ganze Land, machte ihn zum Feind des Systems, welches sich auf diese Oligarchie stützte.
"Mi amor es el pueblo", lautete sein Wahlspruch "Meine Liebe gilt dem Volk". Vor dem Grabmal hat sich eine dichte Menschenmenge gebildet. Alte und Junge, Männer und Frauen, erweisen auch heute noch dem tapferen Kirchenmann ihre Referenz. "Auch 37 Jahre nach seiner Ermordung bleibt er im Volk unvergessen", flüstert Roberto. "Er war der wahre Erlöser von El Salvador", fügt er leise hinzu.