"In einer Utopie der Idioten sehe ich die größte Gefährdung für die kapitalistische Maschinerie"
Seite 2: Kybernetik und der Übergang von der Disziplinar- zur Kontrollgesellschaft
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Ein Sprung zurück. Kannst du den Übergang von der sogenannten Disziplinar- zur Kontrollgesellschaft und den Zusammenhang zur Kybernetik einmal näher erläutern?
Hans-Christian Dany: Bis lange in das 20 Jahrhundert hinein herrschten die Strukturen der Disziplininargesellschaft, in der Autoritäten wie Eltern, Lehrer, Polizei, Ärzte dem Einzelnen vorgaben, was er zu tun hat. Dieses Modell kommt in den 1960er Jahren in die Krise, teilweise durch die emanzipatorischen Bewegungen, aber auch, weil sich Fabriken und Unternehmen kleinteilig auflösen und der Vorarbeiter oder Chef seine Kontrollfunktion nicht mehr wahrnehmen kann. Gilles Deleuze beschreibt die nun entstehende Kontrollgesellschaft Anfang der 90er Jahre. In ihrem Zentrum steht die Selbstkontrolle und Selbstdisziplinierung. Ab jetzt sagt mir nicht mehr der Chef, dass ich morgens pünktlich zur Arbeit erscheinen soll, sondern ich frage mich selbst, was ich schon alles hätte tun können. Dieser Mechanismus ist heute vielen sehr vertraut. Nicht der Arzt sagt mir, dass ich mehr Sport treiben muss, um gesund und arbeitsfähig zu bleiben, ich sage mir selbst: "Ich muss mehr joggen."
Frage: Dieser Wechsel, der heute tief in der Gesellschaft verankert ist, setzt Mitte der 70er Jahre ein. Heute sind wir ständig dabei uns zu optimieren.
Hans-Christian Dany: Schon Deleuze sagte in einem Interview, dass die Kybernetik die zentrale Maschine der Kontrollgesellschaft ist. Ständig arbeiten wir an uns, überprüfen, ob wir gut aussehen und witzig sind. Die kybernetischen Bewertungmaschinen forcieren diese Entwicklung. Über Facebook und die anderen Medien kontrollieren wir uns, ob wir wirklich cool und voll auf Zack, also immer gut informiert sind. Es bedarf keiner Autorität von außen mehr, das alles am laufen zu halten, das erledigt der einzelne selbst. Als die Kontrollgesellschaft sich etabliert hatte, war die Kybernetik schon länger aus dem kollektiven Bewusstsein verschwunden.
Konkret technischer Höhepunkt war sicherlich die Regulationsmaschine, die Salavador Allende in Chile 1972 durch den Betriebswissenschaftler Stafford Beer installieren ließ, um den Staat zentral zu verwalten.
Hans-Christian Dany: Ein in verschiedener Hinsicht interessanter Ansatz: Stafford Beer prägt das kybernetische Management und galt als Retter der britischen Stahlindustrie. Aber ihm ist egal, ob er für ein kapitalistisches oder sozialistisches System arbeitet, er sagt, dass jede Ordnung der Kybernetik unterworfen wird. Als Postideologe wird er also zum Berater von Allende, der ihn mit dem Bau einer kybernetischen Staatssteuerung beauftragt. Er entwirft ein Netzwerk mit einer Zentrale in der Hauptstadt, das von über 50 Fernschreibern permanent Informationen erhält und diese zu regulieren versucht. Höchster Informationsstand und höchste Transparenz sollten zu höchster Regulierbarkeit führen. Die Zentrale sieht aus wie Raumschiff Orion und ist zu einem Kult geworden. Der Putsch setzt dem ein Ende und im Rahmen der allgemeinen Technologieskepsis geraten die Ansätze, ein politisches System in Echtzeit zu kontrollieren in Vergessenheit. Später tauchen dann die kybernetischen Managementansätze in St. Gallen und bei Unternehmensberatungen wie McKinsey wieder auf.
Beobachter des Beobachters
Heinz von Foerster war der frühe Star der Bewegung. Was war an ihm so faszinierend?
Hans-Christian Dany: Zunächst einmal ist Heinz von Foerster ein toller Wissenschaftserzähler und eine schillernde Persönlichkeit. Seine Kybernetik 2. Ordnung war stark von der Biologie beeinflusst. Aus der Erkenntnis heraus, dass jeder Mensch, aber auch jedes System, einen blinden Fleck besitzt, entwirft von Foerster eine Managementtheorie, die die Beobachtung des Beobachters einführt. Der blinde Fleck beim Menschen ist der Punkt im Augeninneren, an dem die Nervenstränge zusammenlaufen. Man selbst erkennt aber nicht, dass man an dieser Stelle nicht sieht. Man braucht eine weitere Instanz, die einen über den Fleck in Kenntnis setzt.
Aber von Foersters waren durch zunächst grundsätzlich nicht für die Betriebswirtschaft gedacht, sondern erkenntnistheoretisch formuliert.
Hans-Christian Dany: Er fand aber bei den Managern Gehör. Denn um die blinden Flecken seiner selbst aufzuheben, muss der Manager die Mitarbeiter in die Betriebsführung miteinbeziehen.
Was als Heterarchie, "flache Hierarchie" und Mitbestimmung gefeiert wurde.
Hans-Christian Dany: Was dabei gerne übersehen wurde: Das bedeutet eben nicht, an den Produktionsmitteln beteiligt zu sein. Der Angstelle wird zwar viel stärker in die Arbeit miteinbezogen, Betriebsanteile werden sogar vergeben, aber die Beteiligung täuscht über die Eigentumsverhältnisse hinweg. Und die shares kann man schnell verlieren. Es geht immer darum, wie bestimmte Begehren integriert werden können, die die kapitalistische Ordnung stabilisieren.
Aber die Selbstorganisation fand doch aus Ausdruck in nichtökonomischen Zusammenhängen.
Hans-Christian Dany: Natürlich gab und gibt es Ansätze, die "Noise out of Order" in antikapitalistischen Bewegungen zu nutzen. Die frühe Techno-Bewegung ist ein Beispiel. Zudem hat von Foerster selbst die große Suchmaschine der Gegenbewegung, den "Whole Earth Catalog", auf die Universitäten zu übertragen. Im "Whole University Catalog" konnten die Studenten direkt ihre Seminare wählen.
Kommen wir zur modernsten kybernetischen Maschine, dem Internet in Verbindung mit den mobilen Netzen. In diesem sind wir unter ständiger Beobachtung. Zudem ist es enorm gewinnbringend, die Daten, die wir mit jedem Anruf, jeder Suchanfrage und jeder Bewegung hinterlassen, zu erfassen und zu analysieren. Gibt es einen Ausweg, wenn man das als Einzelner nicht will?
Mit dem Internet ist etwas total schief gelaufen
Hans-Christian Dany: Zunächst einmal bleibt zu attestieren, dass da etwas total schief gelaufen ist mit dem Internet. Da lagen Potentiale drin, aber es scheint mittlerweile komplett erfasst von der schnöden Logik des Kapitals, da scheint nur noch die schwarze Sonne der Langeweile. Vielleicht sollte man sich davon abwenden.
Oder alles verschlüsseln?
Hans-Christian Dany: Für mich ist die Diskussion bizarr. Du hast mich vor 18 Jahren zum Thema Verschlüsselung interviewt und wir wollten uns ja eigentlich weiter entwickeln und müssen nun wieder über Pretty Good Privacy oder ähnliche Programme reden, als ob sie gestern erfunden wurden. Warum haben wir plötzlich Menschen, die denken, ihre Emails seien für irgendeinen Geheimdienst relevant? Warum haben wir einen Bundespräsidenten, der einen Verräter lobt? Es ist eine Scheindiskussion, denn was ist das für eine Privatsphäre, wenn es keine politische Öffentlichkeit mehr gibt. Verschlüsselung kann bestimmte Nebelbänke im Gefüge herstellen, mehr nicht. Wahrscheinlich geht es auch hier nun um die Lancierung neuer Märkte für deutsche Technikfirmen. Von daher finde ich es nicht sehr interessant. Zudem wird dadurch suggeriert, dass es um die Überwachung durch einen Geheimdienst oder eben die Polizei geht. Aber es geht darum, dass du mein Polizist bist und ich deiner.
Auch Organisationen wie WikiLeaks arbeiten mit der Vorstellung, es gäbe ein Geheimnis der Macht. Ist das falsch?
Hans-Christian Dany: Die Kategorien stimmen nicht mehr. Die Forderung nach Transparenz beinhaltet, dass wir uns alle gegenseitig transparent machen. Die avancierteste Position nimmt die Piratenpartei ein.
Die argumentieren, dass nur die staatliche Macht transparent sein soll und unsere Daten dagegen geschützt.
Hans-Christian Dany: Aber es wird ein positives Bild der Kontrolle gezeichnet. Auch die Piraten sehen es positiv, wenn wir uns alle gegenseitig bewerten und den Strom der Information weiter aufrechterhalten. Ich soll das Café nach dem Gespräch hier verlassen und bewerten und erzählen, dass die Toiletten nicht geputzt waren.
In Deinem Buch entwirfst Du die Figur des Idioten, also des Privatmanns im eigentlichen Sinne. Rückzug ins Private? Ist das nicht eine Kapitulation? Wie ernst ist das gemeint?
Hans-Christian Dany: Das ist schon ernst gemeint. Das fällt schwer, weil man viel abkappen muss. Ich sehe das Hauptpotential in einer Verweigerung der Kommunikation. Der Idiot ist ein gangbarer Weg, er ist eine nicht lesbare Störung. Störungen sind halt zweischneidig. Das System braucht sie einerseits als Impuls und es ist fraglich, wie man Störungen implementiert, die nicht mehr verdaut werden können. Wie die genau aussehen, das kann man ja auch nicht genau beschreiben. In einer Utopie der Idioten sehe ich die größte Gefährdung für die kapitalistische Maschinerie. Denn diese hat keinen Horizont entwickelt und kann keine Vorstellung der Zukunft mehr zulassen, weil sie sich wie ein Homöostat nur nach Störungen ausrichtet. Sie hat keinen Plan von sich selbst. Utopien könnten an dieser Stelle ansetzen.
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