"In einigen ostdeutschen Regionen ticken die Uhren anders"

Seite 2: Brandenburg täte ein bisschen Farbe gut

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Herr Woidke sagte auch, Kretschmann wolle Flüchtlinge vor allem loswerden. Wie erklären Sie sich diesen scharfen Ton?

Martin Patzelt: Es geht offensichtlich auch um Selbstschutz. Nach dem Motto: Ich, als euer Ministerpräsident, schütze euch Brandenburger vor solchen Zumutungen. Damit fördert er - sicher ungewollt - Fremdenfeindlichkeit

Sie meinen, Herr Woidke buhle um rechte Wählergruppen?

Martin Patzelt: Aber nein, das bestimmt nicht, vielleicht hat er Angst vor dem Einfluss solcher, ich weiß es nicht. Dass Neonazis in Ostdeutschland ein Problem sind, steht für mich außer Frage. In einigen ostdeutschen Regionen ticken die Uhren tatsächlich ein wenig anders.

Das wiederum bestreiten die ostdeutschen Ministerpräsidenten, sie sagen, es handle sich hierbei um ein gesamtdeutsches Problem.

Martin Patzelt: Ich will meine Landsleute nicht beschimpfen, aber wir sollten uns auch nichts schönreden. Ich habe schon vor Jahren gesagt, Brandenburg täte ein bisschen Farbe gut. Fremdenfeindlichkeit ist immer dort besonders ausgeprägt, wo keine oder nur wenige Ausländer leben. Das ist ein Fakt. Wer das aus Imagegründen wegwischen will, begeht einen verheerenden Fehler.

: Was könnten die Behörden in den Kommunen aus Ihrer Sicht besser machen?

Martin Patzelt: Die Verwaltung spielt in dem Prozess eine besondere Rolle. Ein Teil leistet Großes, ein Teil macht Dienst nach Vorschrift. In manchen Kommunen werden Signale gesendet, da kann man nur mit dem Kopf schütteln.

Nennen Sie bitte ein Beispiel.

Martin Patzelt: Ich bin ja auch im Gemeinderat tätig. Kürzlich ging es darum, zwanzig Flüchtlinge in Wohnungen unterzubringen - dezentral. Da schreibt der zuständige Sachbearbeiter doch tatsächlich, wir müssten diese Neuankömmlinge ja unterbringen und hätten deshalb leider weniger Platz für all jene Bürger, die man eh versorgen müsse. Das ist eine klare Wertung - völlig unangebracht. Auch viele Bürgermeister und Landräte sagen in diesen Tagen Sätze, die beginnen mit: "Wir müssen ja..." Anschließend beklagen sie sich über die "unzumutbaren Vorgaben" und faseln etwas von einer Überforderung. Und das soll die Menschen motivieren? Nein, so wird das nichts.

Wie wird es was, Herr Patzelt?

Martin Patzelt: Verstehen Sie mich nicht falsch, ich gehöre nicht zu denjenigen, die nur schlau daherreden. Ich weiß, wovon ich spreche, ich lebe in meiner Gemeinde ja mittendrin. Da muss und kann man anfangen. Es geht mir um das gesellschaftliche Klima im Land.

Wir halten fest: Mehr Zuversicht, weniger Skepsis. Und das reicht?

Martin Patzelt: Wenn ein verunsicherter und ängstlicher Bürger, der sich noch keine Meinung gebildet hat, von einem Kommunalpolitiker hört: "Wir müssen ja..." oder "Die da oben zwingen uns dazu" oder "Wir können da nichts machen", dann wird derjenige auf eine falsche Fährte gelockt. Auch das ist gefährlich. Der nächste Schritt ist beinahe programmiert: "Die Flüchtlinge nehmen uns die Wohnungen weg." Was ich meine: Politik ist auch Psychologie, verlangt Ermutigung, Phantasie, Entscheidungskraft - gerade wenn und weil die Probleme so groß sind.

Und was sagen Sie den skeptischen Bürgern?

Martin Patzelt: "Liebe Mitstreiter, die Menschen brauchen unsere Hilfe. Wir sind eine starke Gemeinschaft, gemeinsam finden wir Lösungen. Freilich, wir finden sie nicht zum Nulltarif, aber wir können das schaffen." Man muss die Bürger stets ausreichend informieren und mit ihnen sprechen. Dann kann man ihnen auch etwas zumuten. Die Menschen sind ja nicht dumm oder schlechten Willens!

Herr Patzelt, geben Sie denjenigen Recht, die der Bundesregierung vorwerfen, sie sei zu zögerlich und habe das Ausmaß der Krise falsch eingeschätzt?

Martin Patzelt: Ich kritisiere nicht gerne öffentlich meine Kollegen. Außerdem weiß ich nicht, was passiert wäre, wenn wir anders gehandelt hätten. Sicherlich wäre es sinnvoll gewesen, die Zivilgesellschaft frühzeitig einzubinden. Ich bin da aber vorsichtig. Jeder kennt das Muster in solchen Fällen: Wir machen jemanden für einen Zustand verantwortlich, benennen ihn als den Schuldigen - und meinen, wenn derjenige anders gehandelt hätte, wäre alles gut. Das ist unrealistisch. Entwicklungen haben ihre eigene Dynamik. Damit machten wir es uns zu einfach. Es geht jetzt nicht um Schuldzuweisungen, sondern um Lösungen von Problemen, vor denen wir nicht weglaufen können. Und hier sind alle gefragt, nicht nur die Regierungsvertreter.