In geheimer Mission im Dritten Reich

Seite 3: Wo man Bücher verbrennt ...

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In einer "Dorfschule im Dritten Reich" (Das Wort, Heft 2, 1938) wurde der Unterricht im Lesen und im Schreiben reduziert, weil die Kinder jetzt etwas über die Reinheit der arischen Rasse lernen sollen und Luftschutzübungen abgehalten werden. Der Ortsgruppenleiter der NSDAP redet beim Lehrplan mit. Das andere Deutschland sucht Maria in Düsseldorf. Dort bringt sie das Personal der Landes- und Stadtbibliothek in Verlegenheit, weil sie das berühmte Heinrich-Heine-Zimmer besichtigen will. Heinrich Heine ist verboten. Sie muss mit dem Pass eines anderen Landes gereist sein, denn deutschen Staatsangehörigen ist der Zugang zu diesem Zimmer verwehrt. Die Büste Heines wurde aus ihrer Nische entfernt und ist in einem Schrank versteckt. Die vielen Übersetzungen seiner Werke stauben vor sich hin:

Bücher in japanischer, chinesischer, spanischer, griechischer, hindostanischer, indonesischer - Bücher in hundert Sprachen! Alle diese Völker dachten, es sei ein deutscher Dichter, den sie in ihrer Sprache lasen und den sie liebten ... Das Dritte Reich will sie eines anderen belehren.

Von April bis Juni 1937 druckte die Pariser Tageszeitung den Roman Elisabeth, ein Hitlermädchen ab. Die genau recherchierte Geschichte arbeitet wieder mit den Mitteln der Reportage. Maria Leitner entlarvt die offiziellen Verlautbarungen der Nazis als hohle Phrasen, indem sie diese mit der Alltagswirklichkeit ihrer Heldin kontrastiert. Elisabeth ist Schuhverkäuferin und verliebt sich in den jungen SA-Mann Erwin. Die beiden sind glühende Verehrer von Adolf Hitler, der verspricht, dass sich sofort etwas ändern wird, nicht irgendwann. Die Nazis geben sich fortschrittlich und weniger spießig als die Generation der Eltern. Auch das wirkt sehr anziehend.

Das junge Paar lebt in einer durchmilitarisierten Welt. Überall gibt es Uniformen, spielen am Sonntag die Militärkapellen, werden NS-Lieder gesungen ("Lasst wehen, was nur wehen kann,/Standarten wehn und Fahnen,/wir wollen heut uns Mann für Mann,/zum Heldentode mahnen."). Elisabeth wird von Erwin schwanger, muss das Kind abtreiben lassen. "Aber du brauchst dir keine Sorgen zu machen", sagt Erwin der SA-Mann, "es ist gesetzlich. Der Arzt ist ein Nationalsozialist." Der Grund für die Abtreibung: als junge ledige Frau wird Elisabeth zum Arbeitsdienst verpflichtet. Würde sie das Kind austragen und Erwin heiraten, könnte man ihnen das als den Versuch auslegen, sich ihrer staatsbürgerlichen Pflicht zu entziehen. Junge Leute werden per Gesetz zwangsverpflichtet, damit arbeitslose Frontkämpfer und Familienväter ihre Stellen in den Betrieben einnehmen können. Die Nazis nennen das "Arbeitsplatzaustausch für Jugendliche".

In einem ehemaligen Lager für russische Kriegsgefangene wird Elisabeth ideologisch auf ihren Einsatz als Landhelferin vorbereitet. Fräulein Kuczinsky, die Lagerleiterin, referiert in der "Weltanschauungsstunde" über die schlimmen Folgen des Pazifismus, die deutsche Herrenrasse und die "Vernegerung Frankreichs", das plane, deutsche Frauen von schwarzen Soldaten aus den Kolonien vergewaltigen zu lassen. Im Vortrag "Mutterschaft und Heldentum" wettert Fräulein Kuczinsky über die Frauen, die zu bequem zum Kinderkriegen geworden sind. Elisabeth lernt, dass es die vornehmste Aufgabe der deutschen Frau sei, dem Führer Kinder zu schenken (das NS-Ideal sind durchschnittlich vier Kinder pro Ehe). Allerdings gilt das nicht für alle. Eine der jungen Frauen im Lager, deren Eltern die Gestapo in ein KZ verschleppt hat, wurde von einem "antragsberechtigten" Arzt für schwachsinnig erklärt und zwangssterilisiert. Auch die Lagerleiterin ist "antragsberechtigt", kann also Maßnahmen im Sinne der "Verordnung zur Ausführung des Gesetzes der Verhütung erbkranken Nachwuchses" einleiten. Mit diesem Wissen steigt die Angst im Lager.

Der Roman wäre nicht von Maria Leitner, wenn es nicht auch einen Moment der Utopie geben würde. Im Kapitel "Die Aufrührerischen" finden die angehenden Landhelferinnen heraus, dass die Lagerleiterin über jede von ihnen eine geheime Akte angelegt hat, mit Informationen über ihre Angehörigen und Empfehlungen für die Behörden. Die jungen Frauen begehren auf und verbrennen in einer wunderbaren Travestie auf die Sonnwendfeiern des Dritten Reichs die Spitzelakten, so wie die Nazis die Bücher unliebsamer Autoren wie Maria Leitner verbrannt haben (weshalb Elisabeth dann auch ihren SA-Mann und Offiziersanwärter nicht mehr wird heiraten können):

Im Hof wurden Holzscheite übereinander gerichtet und angezündet. Cilly hatte einen Stoß Papier, zuviel für ihre kurzen Arme, umklammert und rannte damit zu der Richtstätte. Sie war die erste, die ihre Last ins Feuer warf. Einige Blätter waren davongeflattert, sie lief ihnen nach, als wäre sie auf der Schmetterlingsjagd.

Kleine Atempause

1938 bat die Hilfsorganisation American Guild for Cultural Freedom Oskar Maria Graf um ein Gutachten über Maria Leitner. Graf setzte sich für sie ein und antwortete am 9. August 1938, sie sei "eine sehr aktive antifaschistische Schriftstellerin, die nur wenige kennen", und darüber hinaus "nicht nur eine gute Schriftstellerin, sondern eine der mutigsten und bescheidensten Frauen". Es ging darum, ob sie etwas Geld zum Leben erhalten sollte. Auch Anna Seghers verwendete sich für sie und schrieb am 20. August 1938 an die Guild, Maria sei "einer solchen Unterstützung bestimmt würdig, als begabte Schriftstellerin und als gute und tapfere Reporterin". Und weiter: "Bei ihrer schlechten materiellen Lage und der Qualität ihrer Arbeiten wäre eine rasche Unterstützung sehr angebracht." In der Folge erhielt Maria Leitner hin und wieder kleine Geldbeträge von der Guild.

"Danziger Gespenstergeschichte", ein Text über die Vertreibung der Danziger Juden, erschien in der Pariser Tageszeitung vom 30./31. Juli 1939. Es ist die letzte bekannte Veröffentlichung Maria Leitners. Weil die Verdienstmöglichkeiten immer weniger wurden, musste sie aus der Rue Saint Sulpice in ein noch schlechteres Zimmer in der Rue de Seine Nr. 75 umziehen. Am 16. April 1940 schrieb sie in einem Brief:

Ich bin seit einem halben Jahr fast ständig krank. Es begann mit einer schweren Grippe, und in einer ungeheizten Dachkammer, hungernd, ist es schwer, gesund zu werden; besonders, wenn sich obendrein die Weltgeschichte auch in unserem so bescheidenen Privatleben bemerkbar macht. Aber trotz allem, oder vielleicht auch deshalb, habe ich sehr viel gearbeitet.

Im Mai 1940 wurde sie in das Camp de Gurs gebracht, ein berüchtigtes Internierungslager in den Pyrenäen, in dem 30 000 Menschen auf engstem Raum zusammengepfercht waren. Maria gelang die Flucht. Am 6. Juli schrieb sie an den Generalsekretär der American Guild in New York:

Nach allerlei abenteuerlichen Fahrten kreuz und quer durch Frankreich kam ich nach Toulouse. Ich habe ungeheuer viel Interessantes erlebt, das ich sicher literarisch verwerten kann, falls ich am Leben bleibe. Meine Lage ist jetzt wirklich schwierig: Ohne Mittel, abgeschnitten, muss ich befürchten, neu inhaftiert zu werden, was für mich diesmal bedeutend ernsthaftere Folgen haben könnte. Überdies habe ich mein Gepäck eingebüßt, so dass ich kaum das Primitivste bei mir habe.

Als Jüdin und als linke Autorin, die auf der schwarzen Liste der Nazis stand, war sie in größter Gefahr. Für Bürokraten waren andere Dinge wichtig. Auf dem amerikanischen Konsulat erfuhr sie, dass sie unter die Quote für Ungarn fallen würde. In Frage kam nur ein Besuchsvisum, und dafür mussten erst allerlei zeitraubende Formalitäten erledigt werden. Das erwähnt sie in einem Brief (12.8.1940) an Hubertus Prinz zu Loewenstein von der American Guild. Darin fragt sie an, ob es irgendwie möglich wäre, bald in die USA zu kommen ("Ich werde mich so kaum noch lange halten können."). Vielleicht könne Theodore Dreiser helfen, der Autor von An American Tragedy. Zwei Jahre zuvor, als Dreiser zu einer Friedenskonferenz in Paris war, sei sie dessen Sekretärin gewesen, und kurz vor Kriegsausbruch habe er sie nach Amerika eingeladen. Ob jemand Kontakt zu Dreiser aufnahm, ist nicht dokumentiert.

Casablanca

Toulouse war in diesem Sommer 1940 voller Flüchtlinge, die hofften, von dort nach Marseille und dann weiter nach Nordafrika gelangen zu können (Rick alias Humphrey Bogart kommt so nach Casablanca). Nach Frankreich verschlagen hatte es auch Luise Kraushaar, früher wie Maria beim Verlag der Jugendinternationale in Berlin tätig:

Eines Tages ging ich in eines der zahlreichen Cafés von Toulouse. Da sah ich Maria Leitner allein und wie verloren an einem Tischchen sitzen. Mir war, als hätte sie sich in den 18 oder 19 Jahren überhaupt nicht verändert. Das gleiche zierliche Figürchen, die gleiche Haartracht, der gleiche - etwas melancholische - verlorene Gesichtsausdruck.

Am 28. Oktober 1940 bedankte sich Maria Leitner bei der American Guild für 35 Dollar, die sie erhalten hatte:

Ich kann Ihnen gar nicht sagen, was für eine sehr große Hilfe das für mich ist und wie sehr zurecht sie kam. Ich bin gesundheitlich in einem sehr schlechten Zustand, und ich hätte kaum noch lange standgehalten. Sie werden es sich sicher denken, dass wir es hier nicht leicht haben, aber von dem Zustand der ständigen Gehetztheit und der unhygienischen Lebensweise kann sich ein Fernstehender kaum eine Vorstellung machen. Für meine Arbeit ist solch unmittelbares Erleben sicher gut, aber es ist noch besser, dass ich, dank Ihnen, die Möglichkeit zur Erholung, zu einer kleinen Atempause habe.

Auf ein Visum musste sie weiter warten. Ihr letzter Brief an die American Guild ("hier sind Hunger und Angst das Schlimmste") datiert vom 4. März 1941. Im April 1941 wurde sie von Anna Seghers in Marseille gesehen. Dann verschwand sie. Maria Leitner starb vermutlich irgendwo in Südfrankreich, an Hunger, Krankheit und Erschöpfung. Oder sie wurde direkt von den Nazis umgebracht.

Epilog: Maria Leitner in Ost und West

Im Nachkriegsdeutschland (West) interessierte sich niemand für Maria Leitner. Aber in Deutschland Ost, beim Sachsenverlag in Dresden, erschien 1950 eine Neuausgabe von Hotel Amerika - leider ohne Nachwort und ohne Angaben zur Autorin. 1960 und 1962 wurde der Roman vom Dietz Verlag neu aufgelegt, und 1974 vom Aufbau Verlag (beide Ostberlin). 1962 erschien, ebenfalls im Dietz Verlag, Eine Frau reist durch die Welt.

1965, beim Internationalen Schriftstellertreffen in Weimar, hielt Anna Seghers eine Rede, in der Maria Leitner eine lobende Erwähnung fand. In der DDR bedeutete das Wort von Anna Seghers, Autorin von Das siebte Kreuz und Trägerin des Nationalpreises, viel. Das dürfte auch Helga W. Schwarz geholfen haben, als sie anfing nachzuforschen, wer Maria Leitner eigentlich gewesen ist. Ihren Recherchen verdanken wir einen Großteil unseres heutigen (immer noch sehr bruchstückhaften) Wissens. 1985 gab sie im Aufbau Verlag das Buch Elisabeth, ein Hitlermädchen heraus, einen Sammelband mit erzählender Prosa, Reportagen und Berichten von Maria Leitner (mit Bibliographie und 20-seitigem Nachwort).

1988 erschien im Dietz Verlag eine Neuauflage von Eine Frau reist durch die Welt. Hartmut Kahn steuerte ein linientreues Nachwort bei, in dem die USA zum "mächtigsten Zentrum des fortschrittsfeindlichen Teils der Welt" erklärt werden. Der kommunistische Teil der Welt steuerte damals auf den Konkurs zu. Herr Kahn wirkt denn auch etwas unwirsch. Die Vereinnahmung Maria Leitners will ihm nicht recht gelingen. Ob ihm wohl die Ironie bewusst war, die darin liegt, dass er ein Nachwort zum Buch einer Frau verfasste, die von Nord nach Süd und von Ost nach West durch den amerikanischen Kontinent gereist war - ein Nachwort, das von den Bewohnern eines Staates gelesen wurde, der seinen Bürgern keine Reisefreiheit gewährte?

Alles, was Maria Leitner geschrieben hat, lässt darauf schließen, dass sie in der DDR in einem Stasi-Gefängnis gelandet und/oder ausgebürgert worden wäre. Der utopische Aufstand der Landhelferinnen in Elisabeth, ein Hitlermädchen, von dem die DDR-Bürger 1985 erstmals lesen durften, fand einige Jahre später seine Fortsetzung in der Realität: beim Sturm auf die Stasi-Zentrale in Ostberlin. Weil aber die Welt kompliziert und widersprüchlich ist, verdanken wir es der DDR, dass Maria Leitner heute nicht völlig vergessen ist. Helga W. Schwarz widmete ihr ein Kapitel in Internationalistinnen. Sechs Lebensbilder. Das Buch war eines der letzten, das 1989 im Militärverlag der Deutschen Demokratischen Republik erschien - in der Reihe "Kleine Militärgeschichte" (auch das ist nicht ganz ohne Ironie, wenn man bedenkt, dass Maria Leitner eine überzeugte Anti-Militaristin war).

20 Jahre nach dem Fall der Mauer wartet man weiter vergeblich darauf, dass ein gesamtdeutscher Verlag da weitermacht, wo die DDR aufgehört hat. Den Reportageroman Hotel Amerika und einige wenige journalistische Texte Maria Leitners gibt es im Internet. Doch eine gedruckte und gebundene Ausgabe ihrer Schriften wäre in diesem Fall, aus Gründen der Symbolik, besonders wichtig. Dann könnten wir endlich die angemessene Antwort auf die Bücherverbrennung geben, indem wir Maria Leitners Werke dorthin stellen, wo die Nazis sie auf keinen Fall sehen wollten: in die Regale der öffentlichen Bibliotheken.