Indien: Gift und Religion

Seite 2: Modi, der Retter, und der Westen

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Abends gibt es noch einen Tee im kleinen Kabuff in New Delhi. Nach ein paar Minuten winkt der Teeverkäufer einen untersetzten Korpulenten herein und sagt mir, dass dieser besser erklären kann, warum Modis Politik gut für Indien ist: "Modi sorgt gerade in Kaschmir für Ruhe. Der Streit um Kaschmir hat Indien daran gehindert Fortschritte zu machen."

Dann verweist der Korpulente darauf, dass Indien unter Modi bald die fünftgrößte Volkswirtschaft der Erde ist und erfolgreiche Konzerne wie Tata besitzt: "Dazu braucht die Wirtschaft des Westens Indien, damit sie ihre Produkte verkaufen und weiter wachsen kann."

Nun gäbe es auf diese Pro-Modi-Speech eine Menge zu erwidern. Was die aktuelle Situation im von Indien verwalteten Teil von Kaschmir angeht, schreibt selbst Amith Baruah von der indischen Zeitung The Hindu, dass es düster aussieht: In den 30 Jahren, in denen er aus Kaschmir berichte, hätte er hier noch nie so viel Polizei, Armee und Paramilitärs gesehen, wie seit der Streichung des Autonomiestatus Kaschmirs durch die Modi-Regierung am 5. August diesen Jahres. Baruah kommt zu dem Schluss, dann Indien nun auch die letzten Befürworter unter den Muslimen Kaschmirs verloren habe.

Doch in einem Punkt hat der Korpulente Recht: Der Westen braucht Indien, damit er weiter das System Wirtschaftswachstum verfolgen kann. Gerade Deutschland als Exportnation, dessen meist exportierte Ware immer noch Benzin- und Dieselautos sind.

Vergessen hat der Modi-Anhänger, dass der Westen Indien auch noch braucht, um dort billig Leder und andere Produkte zu kaufen, damit sie nicht daheim die Umwelt verschmutzen. Deutschland ist einer der größten Einkäufer der Leder-Gerbereien Indiens, die dort die Flüsse verdrecken.

Vor einer Fabrik gibt es Rettich frisch vom Feld. Foto: Gilbert Kolonko

Wenn auch aus Deutschland Indien vorgeworfen wird, dass das Land einer der größten Verursacher von CO2-Emissionen ist, so ist das scheinheilig. Genauso, wenn die aufgeklärten Deutschen Indien vorwerfen, sich noch im religiösen Mittelalter zu befinden: Es sind auch die deutschen Gläubigen des "freien Marktes" die immer noch nicht verstanden haben, dass die Umweltschäden für mehr Wirtschaftswachstum das Leben auf der Erde gefährden.

Die Chemiebrühe des Hindon River fließt übrigens in den Yamina Fluss und der endet im Ganges. An seinen Ufern sagte Narendra Modi vor den Wahlen 2014, dass die "Mutter Ganges" zu ihm gesprochen habe und er versprach, den Fluss in fünf Jahren zu reinigen. Doch der Ganges ist immer noch verdreckt, wie 70 Prozent des Oberflächen- und Grundwassers - Indien droht eine Trinkwasser-Katastrophe.

So darf man gespannt sein, wen Narendra Modi und die patriotischen Hindu-Fanatiker Indiens dafür verantwortlich machen werden. Nationalstolz zu fördern und Sündenböcke zu liefern, um von Wurzeln der Probleme abzulenken, ist ja nicht nur in Indien stark in Mode.