Individuelle Machtspiele und der Gefallen am Gefälle

Bild: Dozyg/gemeinfrei

Personen, die sich gern als "Alpha-Tiere" aufführen: Viele trainieren ihre Überheblichkeit. Das ist schlecht für das Psychosozialprodukt

Mit dem Wort "Machtspiele" wird häufig etwas bezeichnet, das alles andere als spielerisch ist. Personen, die sich gern als "Alpha-Tiere" aufführen, freuen sich an ihrem Überlegenheitsgefühl und Dominanzverhalten.

Sie sind stolz auf ihre Fertigkeiten, anderen gegenüber Geringschätzung zu zeigen, sie kleinzumachen und an den Rand zu drängen. Sie leisten es sich, ihre Backen aufzublasen wie ein Ochsenfrosch, um mit aggressivem Imponierverhalten autosuggestiv genügend Stärke aufzutanken. Viele trainieren ihre Überheblichkeit und ölhäutige Unirritierbarkeit. Sie wollen Helmut Kohls und Joseph Fischers einschüchternden Machtgebärden gegenüber Parlamentariern oder Journalisten nacheifern: "Mir kann keiner! Gegen mich habt Ihr keine Chancen und seid nur kleine Wichte!"

Wer nicht Chef sein kann, dies aber unbedingt sein möchte, verhält sich zumindest bossy und arrangiert möglichst viele Situationen so, dass sie sich für die Selbstermächtigung zum kleinen Nebenherrscher eignen. Solche Zeitgenossen meinen stark zu sein, wenn sie eine andere Person ab- oder entwerten. Sie wollen als "Bestimmer" auftreten, andere entweder aus einem Feld ausschließen oder sie dominieren, kontrollieren oder manipulieren. Es gilt solche Situationen herzustellen, in denen im Unterschied zu Solidarität und Kooperation ein oben/unten-Gefälle möglich wird. Gesucht wird zudem nach Claqueuren, die dem Dominanzverhalten Beifall zollen.

Individuelle Macht über andere Individuen unterscheidet sich von Konkurrenz auf anonymen Märkten. Hier setzt sich der Anbieter durch, der ein gegebenes Produkt mit geringstmöglichen Kosten produziert oder ein qualitativ besseres Produkt auf den Markt bringt. Der eine Anbieter wirkt meist nicht direkt auf einen anderen Anbieter ein.

Die Macht von Privatpersonen über andere Individuen unterscheidet sich auch von Hierarchien in Betrieben und Organisationen. Die Individuen finden hier Ordnungen vor, die festlegen, wer auf welcher Stufe gegenüber welchen untergeordneten Stellen in Bezug auf welche Aspekte weisungs- oder kontrollbefugt ist. Persönliches Machtgebaren gegenüber anderen Personen kann sich in formalisierten Hierarchien, wie sie in Betrieben und Organisationen existieren, einnisten. Es bestimmt aber nicht deren hauptsächliche Zwecke und Wirkungen, sondern hat Einfluss auf die jeweiligen subjektiven Um- und Durchsetzungsvarianten.

In bürgerlichen Gesellschaften herrscht die Fremd- und Selbsterwartung, das Individuum möge ein starkes Subjekt sein. Dem Individuum werden Autonomie, Selbstbestimmung, Selbstbeherrschung und Selbstverantwortung als Aufgaben zugeschrieben. Es versteht sich auch selbst im Horizont dieser "Herausforderungen". Die Diskrepanz zwischen ihrer Realität und den Fremd- und Selbsterwartungen, ein starkes Subjekt zu sein, verarbeitet die betroffene Person häufig so, dass sie ein eigenes Versagen annimmt. Dieses Gefühl möchte sie verdrängen.

Angriff erscheint vielen als die beste Verteidigung. Die Diskrepanz zwischen Soll und Ist gilt es zu überspielen – mit "Aufschneiderei, expansiver, selbstdarstellerischer Aggressivität, Gewalttätigkeit gegenüber Schwächeren" (Holzkamp-Osterkamp 1976, 446). "Die Ohnmachtsangst" wird "durch unkritische Selbstüberschätzung, die passive Auslieferung [...] durch gewaltsame Überaktivität in Schach gehalten" (Richter 1979, 30).

Verarbeitung von Erfahrungen mit Konkurrenz und Hierarchien

Andere Motive für Machtspiele resultieren aus einer recht speziellen Verarbeitung von negativen Erfahrungen mit Konkurrenz und Hierarchien. Individuelles Machtverhalten soll häufig die Erfahrung kompensieren, nicht das Sagen zu haben und kein starkes Subjekt zu sein. Das Einverständnis mit Konkurrenz und Hierarchien sowie die Bejahung von Privateigentum und von Einzelkämpfertum begünstigen Machtspiele.

Der bürgerlichen Form des Subjekts ist die Dreieinigkeit von Selbstbestimmung, Selbstverantwortung und Selbstbeschuldigung eigen. Die Neigung, sich in Machtspielen zugunsten der eigenen Person zu engagieren, fällt umso größer aus, desto mehr die Überzeugung herrscht, jede Person sei für ihre Position in der Konkurrenz selbst verantwortlich und ihres Glückes Schmied.

Misserfolg zieht dann Selbstbeschuldigung nach sich. Diese motiviert manche Personen dazu, ihre Soll/Ist-Bilanz subjektiv dadurch aufzubessern, dass sie Negativ-Vergleiche anstellen. Ein ungünstiger Boden für individuelle Machtspiele besteht allerdings dort, wo die Betroffenen kollektiv ihre Lage verbessern wollen. Dann folgen sie nicht einer individuellen Rette-sich-wer-kann-Orientierung zulasten der eigenen Kollegen.

Persönliches Machtverhalten wird umso wahrscheinlicher, desto weniger das Individuum in der Lage ist, überhöhte (überkompensatorische) Erwartungen an sich selbst zu korrigieren oder die Kluft zwischen eigenem Soll und Ist mit der Entwicklung eigener Fähigkeiten und Vermögen bzw. mit produktiver Wirklichkeitsaneignung zu begegnen oder an entsprechende kollektive Formen des Engagements teilzuhaben.

Individuelle Machtspiele sind umso wahrscheinlicher, desto stärker in der Gesellschaft "man dem, wodurch sich Menschen voneinander unterscheiden, ihrer Ich-Identität, einen höheren Wert beimisst als dem, was sie miteinander gemein haben, ihrer Wir-Identität" (Elias 1987, 21).

Einen Verstärker für individuelle Machtspiele bilden negative Einschätzungen bzw. das entsprechende Menschenbild: Menschen seien nun einmal, so heißt es dann, egoistisch und unzuverlässig, unfähig und undiszipliniert. Unter Voraussetzung dieser Sichtweise erscheint das eigene Macht-Verhalten als realistisch.

Gewiss wird heute niemand offen sagen "Bei so viel Untermenschen braucht es Übermenschen." Viele, die an individuellen Machtspielen Gefallen finden, denken aber so. Es gebe eben wenige Vollwertige wie man selbst und (zu) viele Minderwertige.

Die Willkür persönlicher Überlegenheit

Die bestehenden Rang- und Positionsunterschiede in den Bereichen, auf die es gesellschaftlich wirklich ankommt (Wirtschaft und Politik), bilden den Resonanzboden für persönliche Machtspiele. Wer sich für seine individuelle Selbsterhöhung allerdings nicht auf die gesellschaftlich maßgeblichen Kriterien berufen kann, sucht nach anderen Möglichkeiten.

Die kulturellen Lebensstile bilden ein Terrain, in dem allerhand Distinktionsgewinne im "Spiel sich gegenseitig ablehnender Ablehnungen" (Bourdieu 1982, 107) möglich sind. Die Distanzierung von anderen Geschmacksgruppen kann mit "Ekel" und "Abscheu" einhergehen. "Die ästhetische Intoleranz kann durchaus gewalttätig werden" (Ebd., 105).

Der Blick verschiebt sich sukzessive von den gesellschaftlich anerkannten Maßstäben in Geschäft und Arbeit zu eigenen, subjektiv und privat definierten Maßstäben. Schließlich geht es nur noch um denjenigen Vergleich, in dem man selbst stärker und besser dasteht. Zuletzt werden die Inhalte, auf die sich die Konkurrenz bezieht, gleich so definiert, dass man in ihr Sieger ist.

Besonders bei Jugendlichen, aber auch im sog. abweichenden Verhalten gibt es eine Tendenz dazu, sich unabhängig von der gesellschaftlich maßgeblichen Konkurrenz als Sieger zu behaupten und Auseinandersetzungen zu provozieren, bei denen man als Sieger mit hoher Wahrscheinlichkeit feststeht. Per körperlicher Gewalt etablieren Jugendliche eine eigene Hierarchie.

Die gängigen Inhalte der Konkurrenz beziehen sich auf das Geschäfts- und Erwerbsleben. Diese Inhalte verlieren dort subjektiv an Wert, wo die Kränkung des Selbstbewusstseins beim Misserfolg in der Konkurrenz wichtiger erscheint als die damit verbundenen materiellen Einbußen. Die Konkurrenz wird nun imaginär von diesen Anliegen getrennt und um das beraubt, was sie als Konkurrenz ausmacht: Dass es Sieger und Verlierer gibt. Nun geht es nur noch um eines: den Vergleich partout zugunsten der eigenen Person ausfallen zu lassen.

Die Absicht, unbedingt Sieger zu sein und als überlegene Person anerkannt zu werden, hat keinen anderen Inhalt als eben diesen. Diese (gewalttätigen, Erg. d. A.) Jugendlichen wollen ganz abstrakt die Überlegenen sein. Wo der Vergleich in der bürgerlichen Konkurrenz die Entscheidung über die Versetzung, einen Arbeitsplatz oder den Geschäftserfolg bringt, da kehrt sich bei ihnen alles um: Die Vergleichsinhalte – die Kleidung, die Gossensprache, die Körperkraft, die Waffen etc. – taugen nur soviel, wie sie das Ziel, im Vergleich den eigenen Sieg sicherzustellen, auch garantieren. Ihre Maßstäbe heißen also schlicht "Sieg", "Macht" über andere – ohne ein davon getrenntes "wofür" und "in welcher Hinsicht".

Freerk Huisken: Jugendgewalt

Außerhalb der objektiven maßgeblichen Hierarchien auf Märkten, in Betrieben und Organisationen wollen viele das darstellen können, was sie dort faktisch nicht sind: Vorgesetzter, Bestimmer, Entscheidungsträger über den Platz, den andere einzunehmen haben, Platzanweiser oder Torwächter am Eingang zu "wichtigen" und begehrten Territorien.

Wer die Verortung in der Position des "oben" gegenüber anderen, die "unten" stehen, meint unbedingt brauchen zu müssen, macht sich Gelegenheiten dafür zurecht. Die damit möglichen Praktiken unterscheiden sich nach dem Grad der individuellen Willkür, mit der ihr Inhalt ge- oder erfunden wird. Er bildet häufig nur den Vorwand, um individuelles Machtgebaren inszenieren zu können.