Industrie 4.0 - paradiesische Aussichten mit Marx und Keynes?
Seite 2: Kann der "steigende Wertschöpfungsanteil der Maschinen" verteilt werden?
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- "Marx ohne Murks"
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Hagelüken aber will noch mehr, sucht Rat bei John Meynard Keynes und wird fündig. Der nämlich "sah schon 1930 technologische Arbeitslosigkeit kommen: die 15-Stunden-Woche - für alle." Denn wenn die meisten Arbeitsplätze wegrationalisiert seien, werde die Menschheit "endlich frei sein. Dank der Maschinen." Um eine Einschränkung kam allerdings auch Keynes nicht herum: "... er setzte voraus, dass die Erträge der Maschinen so verteilt werden, dass alle Menschen profitieren."
Dass es zwischen dem Verlust des Arbeitsplatzes aufgrund vermehrten industriellen Maschineneinsatzes und den Kosten des Lebensunterhalts einen mit existenziellen Problemen behafteten Zusammenhang gibt, ist auch Hagelüken nicht entgangen. Es müsse deshalb "die Maschinenära mit aller politischen Energie gestaltet werden, denn sie wirkt sich nicht von selber für alle Menschen positiv aus. Dafür sind die Interessen von Kapitalisten und Arbeitnehmern zu unterschiedlich", Er vergaß hinzuzufügen: aber eigentlich zu gegensätzlich! Denn Auseinandersetzungen um den Erhalt der Beschäftigung oder des Erhalts oder der Verbesserung des Einkommensniveaus gehen, sind sie erfolgreich, immer zu Lasten der Ertragskraft eines Unternehmens. Deshalb waren und sind ökonomische Umverteilungskämpfe nie ein Zuckerlecken. Erfolge darin erziel(t)en die Beschäftigten immer nur aufgrund ihrer Bereitschaft zu solidarischem Handeln. Doch darauf zielt Hagelüken gar nicht ab.
Es geht Hagelüken um den erwarteten "steigenden Wertschöpfungsanteil der Maschinen", den es zukünftig gerechter zu verteilen gebe. Er geht davon aus, dass die Digitalisierung und Vernetzung der industriellen Fertigung (bei Hagelüken verkürzt: "Maschinen") ihren Anwendern ein beträchtliches Mehr an Profit einbringen werde, als dies bisher der Fall gewesen ist. Es würden dadurch ja auch Arbeitsplätze, also Kosten entfallen.
Hier wäre anzumerken, dass im maschinellen Wertschöpfungsprozeß immer nur der in den "Maschinen" vergegenständlichte Kostenanteil auf das bearbeitete Produkt übergeht. Daraus resultiert aber keineswegs dessen Wertvergrößerung. Denn die Steigerung der Arbeitsproduktivität hat zum Ziel, mehr Produkte in gleicher Zeit als zuvor herzustellen. Dies führt dazu, dass sich der gestiegene Anteil an fixem Kapital (die "Maschinen") auch auf mehr Produkte verteilt. Da der Preis der Waren durch Rationalisierung jedoch gesenkt werden soll, sinkt in der Regel der im Produkt vergegenständlichte "Maschinen"-Anteil und damit dessen Wert.
Wertschöpfung mit Profitanteil resultiert ausschließlich aus der Anwendung menschlicher Arbeitskraft
Die Arbeitszeit eines jeden Lohnarbeiters besteht aus einem Anteil bezahlter und einem Anteil unbezahlter Arbeitsleistung. Der bezahlte Teil muss seine Lebenshaltungskosten abdecken, mit Betonung auf "muss"! Denn dessen Höhe - wie auch immer zustande gekommen - und die darin sich widerspiegelnden Möglichkeiten und Notwendigkeiten seiner Verausgabung ist immer in Bezug zu setzen zu den Kosten der dafür zu erwerbenden Gebrauchsgüter. Mietsteigerung, Teuerung von Lebensmitteln und anderen Gütern oder eine Lohnsenkung wirken sich immer unmittelbar auf die Lebenshaltungskosten aus und sind existenzielle Unsicherheitsfaktoren.
Der unbezahlte Teil bildet den Mehrwert oder Profit des Unternehmers nach Abzug aller sonstigen in der Produktion anfallenden anteiligen Kosten. Die unbezahlte Mehrarbeit steht bei Marx als Synonym für Ausbeutung. "Maschinen" bzw. die zur Produktion eingesetzten technischen und sonstigen Hilfsmittel allein erwirtschaften keinen Mehrwert, sie sind Mittel zum Zweck für menschliche Arbeit. Letztere "... bildet Mehrwert, der den Kapitalisten mit allem Reiz einer Schöpfung aus Nichts anlacht".1 Es ist die unbezahlte Arbeit, die den "Reiz einer Schöpfung aus Nichts" ausmacht und dem Kapital überhaupt sein Dasein ermöglicht!
Profitinteressen stehen gegen Lohninteressen, denn das Interesse der einen Seite geht immer auf Kosten der anderen. Gerade weil Unternehmer und Lohnabhängige im Prinzip unversöhnliche Interessen verfolgen, sollen die daraus resultierenden Konfliktlagen entschärft, besser noch gänzlich aufgehoben werden. Hagelüken möchte die Lohnabhängigen deshalb zu Miteigentümern an den sie beschäftigenden Unternehmen machen und ihnen ein Mitspracherecht an den Unternehmensentscheidungen geben: "Eigentum plus demokratische Entscheidungsmacht: So kommt die Masse der Menschen in die Maschinenära, ohne zu verelenden." Das mag, würde es gelingen, ja für alle jene zutreffen, die ihren Arbeitsplatz behalten werden, doch was ist mit denen, die ihn an die Maschinen verlieren? Denen dürfte die Möglichkeit der Beteiligung am Betriebsvermögen herzlich egal sein.