Industry Standard Europe streicht die Segel

Angespannte Marktsituation für Internet-Wirtschaftsmagazine

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Mit der gestern bekanntgegebenen Einstellung des Industry Standard Europe birgt die Krise unter den Wirtschaftsjournalen, die sich auf die New Economy spezialisiert hatten, zunehmend lethale Auswirkungen. Drastische Rückgänge im Anzeigengeschäft hatten bei vielen Wirtschaftsmagazinen in diesem einst so hyperventilierenden Markt in den letzten Wochen zu Einsparungen und Arbeitsplatzverlusten geführt. Doch das Ziehen des Steckers bei der europäischen Ausgabe des Industry Standard kam relativ überraschend.

Standard Media International, die Mediengruppe, unter deren Dach der Industry Standard Europe herausgegeben wurde, hat, wie viele andere amerikanische Unternehmen auch, in der Einsparung der europäischen Ausgabe die beste Lösung für die Probleme des Gesamtunternehmens gesehen. Die ca. 60 Mitarbeiter, die von der Einstellung betroffen sind, scheinen von der Entscheidung erst am Dienstag in einer Rundmail informiert worden zu sein.

Letzte Woche noch hatte das Magazin nach einem Käufer oder Partner gesucht. Doch keines der europäischen Medienverlagshäuser, die an Standard Media International kleinere Beteiligungen haben, wollte sich entschließen, rettend unter die Arme zu greifen. Der Chefredakteur der europäischen Ausgabe, James Ledbetter, berief sich in einem Artikel auf der Website das Magazins auf die allgemeine Marktsituation. Der Industry Standard habe sich mit ebensoviel Stolz wie Amüsement "als Teil der selben Geschichte gesehen, die von ihm gecovert wurde", schreibt Leadbetter. Dem Magazin seien nicht die Themen ausgegangen, und die europäische Internet-Wirtschaft sei durchaus sehr lebendig, doch die Marktbedingungen des erst vor einem Jahr in Planung gegangenen Magazins hätten sich dramatisch verändert.

Ledbetter verweist auf den scharfen Rückgang am Anzeigenmarkt. Allein im März gab es laut New York Times einen Einbruch um 24.7% gegenüber dem Vorjahr. Viele renommierte Firmen hatten zuletzt Einsparungen und Jobkürzungen bei ihren Internetabteilungen und internetbezogenen Magazinztiteln vorgenommen, darunter das Wall Street Journal und Pearson, die Mediengruppe, die unter anderem die Financial Times herausgibt. Doch trotz der vielzitierten Marktkonditionen stellt sich die Frage, ob manche Unternehmen nun nicht überreagieren. In der bis zu dieser Zeit im Vorjahr noch wie wild wachsenden Branche fällt nun die Axt, aber dabei könnte es auch manches inhaltlich durchaus lebensfähiges Pflänzchen erwischen.

Der Industry Standard Europe hatte einige der Top-Internetjournalisten Europas für sich verpflichten können, darunter Chris Nuttall, ehemals BBC Online, Bruno Giussani, früher bei der New York Times im Netz - der Cybertimes. Berliner Bürochef war Boris Groendahl, der zuvor Redakteur der Financial Times Deutschland gewesen war und davor noch den einen oder anderen Artikel zu Telepolis beigetragen hat. Neben Kernthemen wie Börsengängen von Internet-Startups und Fusionen in der ITC-Branche berichtete der Internet Standard Europe auch über europäische und nationale Netzregulierung und kulturelle und gesellschaftliche Themen. Doch der Titel wird nicht völlig von der Bildfläche verschwinden, die Website und die Newsletter sollen erhalten bleiben und mit insgesamt 10 Mitarbeitern wird das europäische Team weiterhin für die US-Ausgabe berichten.

Einen Überblick und Kommentar zur maroden Situation der Internetmagazine, gedruckt und online, bietet (vorerst nur in englischer Sprache) The New "Three C's": Consolidation, Cut-backs, Collapse von David Hudson.