Infrastruktur und Handel: Der Westen drängt nach Indien, aber China war schon da

EU und USA stecken Milliarden in Schiffs- und Bahnnetz von Indien nach Europa. Chinas Einfluss wird das nicht mindern. Bestandsaufnahme eines absehbaren Scheiterns.

Zumindest in der Vorstellung von EU-Beamten geht alles zügig. Die Bahnfahrt von Budapest nach Athen lässt sich bequem über Nacht und ein wenig vom Tag erledigen, und alles andere auf dem Kontinent natürlich auch. Flüge? Brauchen Touristen immer weniger. Lastwagen für den Gütertransport? Völlig oldschool.

Hunderte von Plänen für europäische Schienenkorridore und Infrastrukturprojekte sind im Laufe der Jahrzehnte in Brüssel erdacht worden. Sie heißen "Transeuropäische Netze" (TEN) und sollen den Binnenmarkt sowie die wirtschaftliche und soziale Zusammenarbeit stärken. Dazu gehören Energienetze, Häfen, Flughäfen, aber eben auch Schienenkorridore, die Güter und Menschen möglichst schnell von A nach B bringen sollen.

Dabei zeigt sich immer wieder: Die TEN sind das Vergnügen der Reichen in der Europäischen Union, wer es sich nicht leisten kann, bleibt außen vor. Also vor allem die Mitgliedsstaaten in Südosteuropa. In Rumänien und Bulgarien rumpelt der Bahnverkehr wie zu sozialistischen Zeiten, wer auf der Schiene reisen will, muss viel Zeit mitbringen. Von teuren Infrastrukturprojekten wie Stuttgart 21, die die Reise ein paar Minuten schneller machen sollen, wagt man hier nicht einmal träumen. Dafür fehlt schlicht das Geld.

Doch Ende vergangener Woche wurden die Regierungen der Region hellhörig. Am Rande des G-20-Gipfels in Neu-Delhi stellten die Europäische Union, die USA sowie Indien und mehrere Regierungen der arabischen Halbinsel einen großangelegten Plan vor: Ein Netz aus Eisenbahnlinien, Häfen, Wasserstoff-Pipelines und Datennetzen soll Indien über die arabische Halbinsel mit Europa verbinden.

Das heißt: Güter würden von Indien per Schiff zu einem Hafen in voraussichtlich Oman oder den Vereinigten Arabischen Emiraten transportiert und von dort über Saudi-Arabien und Jordanien zu den Mittelmeerhäfen in Israel.

Dies sei die lang erwartete Antwort auf die "Neue Seidenstraße", in die die chinesische Regierung und Unternehmen seit zehn Jahren viele Milliarden US-Dollar investiert hätten, meinte unter anderem das Nachrichtenmagazin Spiegel.

China hat dadurch massiv an politischem Einfluss in Afrika, aber auch im Nahen Osten gewonnen. So gelang es zuletzt, die Führungen Saudi-Arabiens und Irans zu einer Annäherung zu bewegen und Fortschritte zu einer Lösung des Jemen-Kriegs zu erzwingen.

Balkan und Südosteuropa wird China überlassen

Regierungssprecher aller Balkanstaaten sowie Rumäniens, Bulgariens und Griechenlands erklärten auf Anfrage, man befürchte, dass der nun vorgelegte Plan dringend benötigte Mittel von Investitionen in Europa abziehen und damit den Einfluss chinesischer Unternehmen in der Region sogar noch verstärken werde. Denn wenn man nicht auf die Unterstützung der europäischen Partner zählen könne, müsse man sie eben woanders suchen.

Das chinesische Engagement ist dabei recht einfach zu beschreiben: Man bezahlt die Musik und bestimmt daher die Playlist. Gleichzeitig kümmert man sich nicht darum, dass die Partygäste völlig ausrasten.

Bei den Plänen der Europäischen Union hingegen kann man schon mal durcheinander kommen: Man will etwas bauen, Menschenrechte, Demokratie, Umweltschutz sollen zählen, aber wie und wo das geschehen soll, steht nirgendwo.

Aber der Reihe nach: 2021 hat die EU ein Programm namens "Global Gateway" aufgelegt. Dafür sollen bis 2027 rund 300 Milliarden Euro "aktiviert" werden, die zur Hälfte in Projekte in Afrika fließen sollen.

Geplant ist unter anderem ein transafrikanischer Eisenbahnkorridor vom "Kupfergürtel" in Sambia über den Kongo bis zum Hafen Lobito in Angola, der den Export von Rohstoffen erleichtern soll.

Die andere Hälfte des Geldes war bisher für den Bau von Unterwasser-Stromverbindungen u.a. von Ägypten und Israel nach Europa sowie für eine Eisenbahnverbindung von Nordmazedonien nach Bulgarien und eine Vielzahl anderer Projekte vorgesehen. Nun soll unter dem sperrigen Namen "Global Partnership for Infrastructure and Investment" (PGII) die Verbindung Indien-Europa hinzukommen.

Die Skepsis ist groß. Denn erstens unterhalten Saudi-Arabien und Israel noch gar keine diplomatischen Beziehungen. Es gibt Kontakte und viele, viele Signale, dass es bald so weit sein könnte. Aber dazwischen steht die nach wie vor ungelöste Palästina-Frage und mehr noch eine ultrarechte Regierung in Israel.

Und dann ist da noch ein weiteres Problem: Zwar ist die Bahnstrecke von Ras al Khair am Persischen Golf und von Riad zur jordanischen Grenze bereits fertig. Die Strecke ist aber weitgehend eingleisig und nicht elektrifiziert. Und der Bau der Bahnstrecke von Oman nach Kuwait, die entweder bei Ras al Khair oder bei Damman an die Strecke nach Jordanien anschließen würde, kommt seit Jahren nicht in Gang. Denn die Kosten werden auf gigantische 270 Milliarden US-Dollar geschätzt. Und Geld ist auf der arabischen Halbinsel nicht mehr im Überfluss vorhanden.

Unterschied zwischen Handelsrouten ist erheblich

In al Haditha, einem kleinen saudischen Ort an der jordanischen Grenze, zeigt sich übrigens, wie es um die israelisch-saudischen Beziehungen bestellt ist: Hier, im Nirgendwo, endet die Eisenbahnlinie vom Persischen Golf.

Waren und Rohstoffe werden auf Lastwagen umgeladen, und natürlich weiß jeder, dass sie weder ins Bürgerkriegsland Syrien noch nach Aqaba am Roten Meer gebracht werden, um dann per Schiff durch den teuren Suezkanal nach Europa zu gelangen. Täglich bringen Hunderte von Lastwagen die Waren zu den Häfen in Israel.

Doch während die EU, die USA und andere vage Pressemitteilungen verschicken und ihre Vertreter vollmundige Ankündigungen machen, ist China oft bereits da. Von dort kommen auch die Lokomotiven für die Bahnstrecke in Saudi-Arabien.

Und dort, wo die Reise von der arabischen Halbinsel wahrscheinlich enden würde, im nordisraelischen Haifa, baut die Shanghai International Port Group einen neuen Containerhafen. Mehrheitseigentümer: die Stadt Shanghai.

Auch das Containerterminal im Hafen von Piräus bei Athen wird seit 2016 von einem chinesischen Unternehmen betrieben, der China Ocean Shipping Company (Cosco) im Zuge der griechischen Finanzkrise wurde die Anlage 2009 zunächst zur Hälfte für 35 Jahre an das chinesische Staatsunternehmen verpachtet.

2016 wurde dann die Übernahme von zunächst 51 Prozent der Anteile angekündigt. 2021 sollen die Anteile auf 67 Prozent aufgestockt werden.

Aus Sicht der griechischen Regierung haben sich die Deals gelohnt: Der Containerumschlag stieg, das Containerterminal warf erste Gewinne ab. Was allerdings sank, waren die Löhne. Die schwarzen Zahlen wurden auch durch Lohnkürzungen, Einschränkung der Gewerkschaftsarbeit und erhöhten Leistungsdruck erreicht.

Auch dieses Beispiel zeigt: Die "Neue Seidenstraße" ist meist eine matschige Abkürzung, keine Autobahn, auf der man gerne fährt. In der Finanzkrise brauchte die griechische Regierung Geld, und chinesische Unternehmen hatten es gerade. Ein Szenario, das sich seit Jahren nicht nur in afrikanischen Staaten, sondern auch auf dem Balkan, in Rumänien und Bulgarien wiederholt.

Die wirtschaftliche Entwicklung kommt nicht voran, weil die Infrastruktur marode ist, und sie ist marode, weil das Geld fehlt.

Und so setzen die Regierungen in Südosteuropa auch beim Eisenbahnkorridor Budapest-Athen auf chinesische Unterstützung. Ab 2021 soll die Strecke von Budapest nach Belgrad auf Hochgeschwindigkeit getrimmt werden, statt acht Stunden soll die Fahrt dann nur noch dreieinhalb Stunden dauern. Und das offiziell ab 2025. Ein Zeitplan, der in Deutschland undenkbar wäre.

Der Preis dafür: Auf Umweltverträglichkeit, Arbeitnehmerrechte und Korruptionsbekämpfung wird nicht geachtet, wie auch die EU kritisiert – vergeblich allerdings. Die ungarische Regierung weigert sich bis heute, die Vertragsbedingungen mit den chinesischen Firmen offenzulegen. Und auch die serbische Führung gibt sich zugeknöpft.

In Griechenland sind es dagegen die Nachteile, die sich aus der Teilübernahme des Containerterminals von Piräus ergeben, die weitere Deals mit chinesischen Unternehmen verhindern: Gerne hätte man in Fernost unter anderem auch einen Flughafen und die griechische Eisenbahngesellschaft übernommen. Doch der öffentliche Widerstand war groß, die Verhandlungen scheiterten.

Empfohlener redaktioneller Inhalt

Mit Ihrer Zustimmmung wird hier eine externe Buchempfehlung (Amazon Affiliates) geladen.

Ich bin damit einverstanden, dass mir externe Inhalte angezeigt werden. Damit können personenbezogene Daten an Drittplattformen (Amazon Affiliates) übermittelt werden. Mehr dazu in unserer Datenschutzerklärung.