Innenministerkonferenz: "Die nächste Krise kommt bestimmt"
Ressortchefs von Bund und Ländern sprachen sich in Rust unter anderem für schärfere Gesetze gegen antisemitische Straftaten aus. Zudem vielsagende Lageeinschätzungen
Nicht das staatliche Pandemie-Management oder eine schon vorher schleichend entstandene Glaubwürdigkeitskrise der Politik haben nach Aussage von Baden-Württembergs Innenminister Thomas Strobl (CDU) zum Boom von Verschwörungsideologien und "Querdenker"-Demonstrationen geführt, sondern das Coronavirus selbst. Die Pandemie sei "ein Nährboden für Hass und Hetze" geworden - das Virus vergifte offenbar nicht nur Lungen und Atemwege, "sondern auch Hirne und Herzen", sagte Strobl an diesem Freitag zum Abschluss der Innenministerkonferenz von Bund und Ländern als deren Vorsitzender im baden-württembergischen Rust. Gleichwohl befand er: "Unser Staatswesen hat den Stresstest bestanden."
Nach Einschätzung mehrerer Teilnehmer wird es auch nicht so schnell aus der Übung kommen. Die Pandemie sei zwar "die heftigste Gesundheits-, aber auch Gesellschafts-, Wirtschafts- und Kulturkrise" seit dem Zweiten Weltkrieg - aber Herausforderungen wie diese könnten sich jederzeit wiederholen. "Denken sie an den Klimawandel", sagte Strobl und fügte hinzu: "Die nächste Krise kommt bestimmt." Niedersachsens Innenminister Boris Pistorius (SPD) ging sogar von größeren Herausforderungen in Zukunft aus.
Harmonie über Parteigrenzen hinweg
Bundesinnenminister Horst Seehofer (CSU) betonte, diese für ihn wohl letzte Innenministerkonferenz sei "von besonderer Harmonie in schwieriger Zeit" geprägt gewesen - auch wenn Parteipolitik bei derartigen Konferenzen generell eine untergeordnete Rolle spiele. Bezüglich der Schließung europäischer Binnengrenzen während der Pandemie gab sich Seehofer geläutert: "Ich bin von der stationären Grenzkontrolle total weggekommen. Man darf ja auch mal dazulernen", sagte er. "Wenn es um Leben und Tod geht, kann man das einmal temporär machen", so Seehofer. Das seien aber absolute Ausnahmefälle.
Dann kam Seehofer auf die Zunahme der politisch motivierten Kriminalität von "Rechts- und Linksextremisten" zu sprechen. Letztere würden sich vor allem in Berlin radikalisieren und eine neue Strategie verfolgen, sagte Seehofer und prognostizierte auch eine zunehmende Gewaltbereitschaft dieses Spektrums. Dass momentan die größte Gefahr vom ultrarechten Spektrum ausgeht, leugnete aber niemand.
Gerade hinsichtlich der Polizeiskandale im Zusammenhang mit Nazi-Chats standen die Innenminister unter Handlungsdruck. So sprachen sie sich für eine Gesetzesänderung aus, um Beamte auch dann strafrechtlich verfolgen zu können, wenn sie volksverhetzende Inhalte in geschlossenen Chat-Gruppen teilen. Bisher ist das Einstellen entsprechender Fotos oder Videos durch Polizeibeamte in WhatsApp-Gruppen nach Einschätzung von Juristen nicht zwangsläufig strafbar. "Die Rechtsprechung ist da nicht einhellig bei der Frage, ob ein Beitrag in einer geschlossenen WhatsApp-Gruppe überhaupt eine öffentliche Äußerung darstellt", hatte der auf Verwaltungsrecht spezialisierte Anwalt Christoph Arnold betont, als im Herbst ein entsprechender Fall in NRW aufgedeckt worden war.
Strafmaß "empfindlich anziehen"
Zudem wollen die Minister "das Strafmaß bei antisemitischen Taten empfindlich anziehen", wie Strobl an diesem Freitag sagte. Überwiegend gingen diese Taten auf das Konto klassischer Rechtsextremisten - Seehofer betonte aber, dass sie nicht automatisch diesem Spektrum zugeordnet würden. "Wir haben mittlerweile erkennbar importierten Antisemitismus", sagte er. Auch in anderen Bereichen komme er vor. "Deshalb brauchen wir hier eine Präzisierung der Zuordnung."
Strobl hob hervor, dass es hier einen Anstieg bei insgesamt sinkender Kriminalität gebe. "Es ist uns allen klar, dass der größte Teil des Antisemitismus aus dem rechtsextremen Bereich kommt." Es gebe auch antisemitische Täten in den Bereichen "Ausländerextremismus", "Islamismus" und "Linksextremismus" und solche Fälle, "in denen wir es nicht wissen".
Strobl kündigte zudem bundesweit einheitliche Standards und Vorgaben an, um antiisraelische Versammlungen vor Synagogen zu beschränken und gegebenenfalls zu verbieten. Kundgebungen vor Konsulaten oder der Botschaft seien anders zu bewerten, da zumindest "intellektuell nachvollziehbar" sei, dass es sich um Kritik an der israelischen Regierung handle, sagte Strobl. Versammlungen vor Synagogen seien aber eher geeignet, Jüdinnen und Juden bei der Religionsausübung zu beeinträchtigen. "Demonstrationsfreiheit ja - aber nicht an jedem Ort und in jeder Art und Weise." Es müssten Einzelfallentscheidungen getroffen werden, die auch von örtlichen Gegebenheiten abhingen. Als Orientierungshilfe dafür solle ein Mustererlass dienen.
Darüber hinaus versprachen die Minister, den Schutz von Journalisten bei der Berichterstattung auf Demonstrationen zu verbessern und Defizite bei der polizeilichen Erfassung frauenfeindlicher Straftaten auszuräumen.