"Intellektuelle Monokultur" im Westen
Nassim Taleb, Autor des Bestsellers der "Schwarzen Schwäne", spricht gegenüber einer russischen Zeitung von einer Inquisition in der medialen Berichterstattung
Die "Schwarzen Schwäne" haben den Amerikaner Nassim Taleb wirklich bekannt gemacht, obgleich er schon 2001 zur Zeit der Dotcom-Krise von der Epistemologie des Zufalls sprach und darüber ein Buch geschrieben hat. In dem 2007 erschienene Buch "Schwarze Schwäne" des umtriebigen und querdenkenden Börsenhändlers, Risikoanalytikers, Wissenschaftlers und Philosophen, sagte er nicht nur die Finanzkrise voraus, sondern erörtert er unser prinzipiell fehlendes Wissen über die Zukunft, in der es immer wieder zu unvorhergesehenen, zwar seltenen, aber mitunter schwerwiegenden Ereignissen kommt, eben den "Schwarzen Schwänen", über die man keine Theorie bilden kann.
Sein Buch, das gegen die Theoretiker in allen Disziplinen gerichtet war, wurde zum Bestseller und fand sich auch bei vielen Intellektuellen, unabhängig davon, ob es gelesen wurde oder nicht. Schon der Titel klang attraktiv und geheimnisvoll, der sich in Wissenschaft und Philosophie herumtreibende erfolgreiche Börsenspekulant, der das Spiel mit dem Zufall kennt, trug zur Prominenz bei.
Jetzt könnte er es sich allerdings verscherzt haben, nachdem er nicht nur der russischen Zeitung RBC ein Interview gegeben hat, sondern in diesem die westlichen Intellektuellen und die großen Medien scharf durch den Kakao zieht und die herrschende ideologische "Monokultur" geißelt. Die russischen Staatsmedien haben natürlich Gefallen an den Äußerungen von Taleb gefunden. So titelt Sputnik: "US-Denker Taleb spricht über 'Putinisten' und 'intellektuelle Idioten' im Abendland."
RBC baut Taleb als einen "der berühmtesten zeitgenössischen Philosophen" auf, um seinen Äußerungen das erwünschte Gewicht zu geben. Die erste Frage, ob der Zustrom von Migranten, die Veränderungen in der Kultur oder die Zerstörung der traditionellen Geschlechterrollen zum Zusammenbruch der westlichen Zivilisation führen, wies Taleb jedoch zurück. So einfach ließ er sich nicht im rechtspopulistischen Diskurs fassen, den auch die russischen Staatsmedien pflegen.
"Alles, was CNN über den Konflikt in Syrien sendet, ist eine Lüge"
Für ihn sind diese Veränderungen eigentlich vorteilhaft, problematisch seien nicht die Migranten, sondern der Umstand, dass die Globalisierung nicht zu "intellektueller Vielfalt" geführt habe. Die Welt spalte sich in einen Gegensatz von Wir gegen sie auf. Dadurch setzen sich "offizielle Meinungen" wie in einem "totalitären Staat" durch. Man müsse sie teilen, sonst werde man zu einem Ausgestoßenen. Das habe es schon immer gegeben, aber wenn dies sich "planetarisch" mit der Hilfe der Medien durchsetzt, werde es gefährlich.
Auf die Frage, warum Fake News so wichtig wurden und viele Menschen die Medien als "böse" betrachten würden, was auch Trump gemacht habe, sagt Taleb, Medien würden eine Situation schaffen, in der Menschen in zwei Welten leben: "Zum Beispiel ist praktisch alles, was CNN über den Konflikt in Syrien sendet, eine Lüge. Ich habe es gemerkt, als ich in Aleppo war: Mit meinen eigenen Augen sehen ich etwas, in den Nachrichten wird es ganz anders dargestellt. Wer lügt - die eigenen Augen oder der Fernsehsender?" Was Taleb gesehen hat, wird nicht gesagt oder nachgefragt.
Aber Taleb setzt noch einen drauf, allerdings ungeschickt, weil er sich nur gegen westliche Medien wendet und sich im Interview mit der russischen Zeitung zumindest nach dem veröffentlichten Interview nicht ebenso kritisch mit den russischen Verhältnissen befasst, Russland wird vielmehr als "intellektueller Ort" propagiert, weil viele Menschen nicht für Geld, sondern für Ideen arbeiten würden: "Das Problem ist, dass sich unter den westlichen Journalisten eine intellektuelle Monokultur herausbildet. Wenn man versucht zu sagen, was wirklich vor sich geht, wird man als 'Putinist" bezeichnet." Das bedeute, dass man aus "den wichtigsten amerikanischen Kanälen" verbannt werde: "Das ist die Inquisition unserer Zeit, die Meinungen bestraft, die sich von der offiziellen Darstellung unterscheiden."
Das mag in der Tat so sein, Taleb gibt aber keine Hinweise darauf, wie dies im Falle von privatwirtschaftlichen Medien, die miteinander konkurrieren, zu einer "offiziellen Meinung" kommen kann. Aber Taleb ist in Fahrt gekommen, um nun den Intellektuellen eins auszuwischen, die in Wirklichkeit in einer Glocke leben. Auf die Frage, warum CNN Vertrauen von gebildeten Menschen genießt, während die konservativen Rednecks von den Medien manipuliert würden, sagte er, CNN werde von "intellektuellen Idioten" gesehen. Die seien sehr viel einfacher manipulierbar, weil sie als Intellektuelle meinen, sie würden verstehen, was in der Welt geschieht, während sie die Rednecks verachten. Handwerker wären direkt mit der realen Welt und konkreten Problemen verbunden, sie seien gegenüber Dogmen kritisch: "Gebildete Menschen neigen im Gegenteil häufiger dazu, irrsinnigen Ideen anzuhängen, die für die Realität nicht relevant sind."
Je mehr sie sich "Makro-Fragen" in der Wirtschaft oder in der Politik widmen, desto eher seien sie auch Makro. Sie erhalten Informationen vor allem von der Außenwelt, etwa von Medien. Das war etwa auch die Meinung des Soziologen Niklas Luhmann, der sagte, wenn auch nicht auf die Intellektuellen gemünzt: "Was wir über unsere Gesellschaft, ja über die Welt, in der wir leben, wissen, wissen wir durch die Massenmedien." Taleb konstatiert einen "Verlust des Kontakts mit der Wirklichkeit". Es gebe zahlreiche "Pseudo-Experten", die sich fälschlich für kompetent halten, weil sie nichts mit der Wirklichkeit zu tun haben. So würde man unter sich gegen Rassismus argumentieren, habe aber persönlich Angst vor Migranten.
Politiker werden von Taleb wegen Doppelsprech vor allem deswegen kritisiert, weil sie nicht fürchten müssen, für ihre Entscheidungen zur Verantwortung gezogen zu werden. Er schreibe gerade an einem Buch, in dem es darum ginge, dass angemessene Entscheidungen nur dann getroffen werden, wenn die Entscheider ihre eigene Haut riskieren. Heute würden hingegen die Politiker in der Welt eines Computerspiels leben, wo die Risiken gleich Null sind.
Nach Taleb gibt es zwei große Bedrohungen, die verdrängt werden. Das größte Risiko sieht er in Epidemien, weil die Resistenz von Bakterien gegenüber Antibiotika zunimmt und neue Viren entstehen. Gefährlich seien auch die neuen Maschinenstürmer. Viele Menschen würden ultrakonservativ werden und sich gegen die Wissenschaft und soziale Reformen stellen, was besonders in der islamischen Welt deutlich werde.
In Katalonien sieht Taleb dagegen eine positive Entwicklung. Die Menschen würden sich gegen die "offizielle Meinung" und die Macht des Staates auflehnen. Es seien mehr Bewegungen nötig, die zur Dezentralisierung führen. Das ist nicht gerade das, was der Kreml fördert. An Trump kritisiert er, dass er Saudi-Arabien im Wahlkampf bezichtigte, den Terrorismus zu fördern, während er jetzt zum besten Freund wurde. Positiv sieht er, dass Trump ein Geschäftsmann ist und das Land wie ein Unternehmen führen wolle.
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