"Intelligente" Temperaturkontrolle an chinesischen Schulen

Bild: leo2014/Pixabay.com

Die Coronavirus-Pandemie dient zur Einführung neuer digitaler Kontrolltechniken. Schulschließungen verlangsamen nach einer Studie die Ausbreitung, aber stoppen sie nicht

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China setzt bei den "Lockerungen" des Shutdowns weiter auf Techniken. In Peking sind wie in anderen Städten die Schulen teilweise wieder geöffnet, seit Ende April sind die Schüler der Abschlussklassen der Mittelschulen und Highschools wieder im Unterricht. Maskentragen und Abstandhalten sind Pflicht. Vor dem Zutritt in das Schulgebäude wird bei jedem Schüler die Temperatur gemessen.

In Peking fand in einigen Bezirken vom 30. April bis 8. Mai ein Test mit einer so genannten intelligenten Temperaturkontrolle statt. Die Schüler müssen immer ein Armband tragen, mit dem ihre Temperatur in Echtzeit gemessen wird. Wird erhöhte Temperatur angezeigt, gibt es einen Alarm. Mittels einer App können die gesammelten Daten gespeichert und den Eltern, der Schulleitung und den Behörden weitergeleitet werden.

In den Testschulen wurden Lehrer ausgewählt, die die Temperatur der Schüler überwachen und den Notfallplan ihrer Schule umsetzen sollen, wenn ein Schüler Fieber hat. Angeblich werden die Daten von der Schule zweimal täglich abgefragt. Überdies können Lehrer im Klassenraum die Temperatur der Schüler schnell abfragen, indem sie die Daten über Bluetooth in eine App laden.

Der Test scheint zufriedenstellend verlaufen zu sein. Erst einmal sollen nun alle Schüler in Abschlusskassen das Armband erhalten. Die Überwachungs- oder Kontrolltechnik soll, so die Begründung, den Schülern Zeit und Aufmerksamkeit für die Temperaturmessung sparen, so dass sie sich "besser konzentrieren und sich auf die Prüfungen vorbereiten" können.

Die "intelligente" Technik, die eine Rundum-Kontrolle ermöglicht, ist gegenüber Lokalisierungs-Apps zwar relativ harmlos, macht aber erneut deutlich, wie die Pandemie die Durchsetzung neue Überwachungsmöglichkeiten vorantreibt, die vermutlich bleiben werden. In Singapur wurde beispielsweise ein mobiler Roboter eingesetzt, der die Abstandsregel in einem Park überwachte und dokumentierte. Wie zuvor unter dem Zeichen der Terrorismusabwehr und der Prävention, werden nun Techniken unter dem Zeichen der Seuchenbekämpfung eingeführt, die den Menschen weitaus umfassender kontrollieren können.

Man kann durchaus argumentieren, dass die Temperaturkontrolle auch wichtig wäre, um andere Infektionskrankheiten wie die Grippe einzudämmen. Das ließe sich dann auch für Angestellte, letztlich auch für Benutzer von öffentlichen Transportmitteln oder Kunden von Geschäften etc. ausweiten. Mit dem Verdacht auf eine Infektionskrankheit könnte der Zutritt zu einer Einrichtung für den Betroffenen zur Risikoreduzierung gesperrt werden oder eine Person mit erhöhter Temperatur müsste präventiv einen Ort verlassen, um sich untersuchen zu lassen und/oder in Quarantäne zu gehen.

"Stop the Spread of Illness"

In den USA wird mit einer "smarten" Technik der Firma Kinsa bereits bei Schülern seit Jahren ähnliches gemacht, um Grippewellen abzuwehren. Im Rahmen des FLUency-Programms erhalten Familien ein Thermometer, um bei ihren Kindern die Körpertemperatur zu messen, wenn es sich krank fühlt. Die Daten werden über eine App an die Schule geschickt, ergänzt eventuell durch Symptome. Daraus lässt sich ein Dashboard einrichten, auf dem sich Infektionskrankheitstrends von Eltern und für die Gesundheit zuständigen Schulmitarbeitern ablesen lassen.

Die Eltern sehen anonymisiert die Zahl der Schüler mit erhöhter Temperatur und Symptomen in jeder Klasse. Sie können dann auch entscheiden, ob sie ihr Kind zur Schule schicken wollen, auch wenn es nicht krank ist, um eine Ansteckung zu vermeiden. Und die Schule könnte einen krankheitsverdächtigen Schüler sperren oder in der Klasse noch einmal die Temperatur messen und mögliche Infizierte sicherheitshalber nach Hause schicken.

Kinsa hat die letzten Jahre an Schulen die jährliche Grippewelle überwacht und kann angeblich vorhersagen, wie sich die Infektion in zwei oder drei Wochen ausbreiten wird. Natürlich wurde jetzt auch Covid-19 mit den Thermometern überwacht. 2 Millionen Amerikaner sollen bereits die "smarten" Thermometer benutzen, so dass Kinsa auf einer buchstäblichen Heat Map erkennen konnte, wie sich Covid-19 in den USA ausgebreitet hat. Aufgefordert werden Menschen, das Thermometer zu kaufen und die App zu installieren, um die Ausbreitung von Krankheiten zu verhindern: "Stop the Spread of Illness".

Versprochen wird: "Kinsa's mission is to stop the spread of contagious illness through early detection and early response." Eine Benutzung wird auch Ängste schüren, bestimmte Orte oder Regionen zu meiden, zudem werden die Benutzer zu Ärzten, medizinischen Dienste oder Medikamenten gelenkt. Versprochen wird, dass die Daten nur anonym einsehbar sind. Zur Erfassung der Lokalisierung wird die explizite Zustimmung verlangt. Angeblich werden die Daten nicht Dritten weitergegeben.

Wirksamkeit von Schulschließungen

Allerdings wurde oft berichtet, dass Covid-19-Infizierte auch dann, wenn sie keine Symptome zeigen, also auch keine erhöhte Temperatur, andere Menschen infizieren können. Chinesische, italienische und amerikanische Wissenschaftler haben am 29. April in Science eine Studie aus China vorgelegt, in der sie darlegen, welche Maßnahmen zur Eindämmung der Coronaviruspandemie wirksam gewesen waren. Aus der Analyse der Kontaktumfragen in Wuhan, Shanhai und Hunan ergab sich, dass sich die täglichen Kontakte mit dem Lockdown um das 7-8-Fache reduziert hatten und sich meist nur noch im Haushalt abspielten.

Kinder bis 14 Jahren waren der Infektion weniger ausgesetzt als 15-64-Jährige, besonders gefährdet waren Menschen über 65 Jahren. Aus den Daten entwickelten die Wissenschaftler ein Ansteckungsmodell, um den Einfluss von "social distancing" und der Schulschließungen auch nach dem Alter zu untersuchen. Danach ist die scharfe soziale Distanzierung mit Ausgangssperren, wie sie in China verhängt wurde, ausreicht, um Covid-19 zu kontrollieren. Weniger wirksam sind Schulschließungen, auch wenn sie die Ausbreitung um 40-60 Prozent reduzieren und die Ausbreitung der Epidemie verlangsamen können. Ohne alle Maßnahmen würde die Epidemie innerhalb eines Jahres 53%-92% der Bevölkerung mit einer Reproduktionszal von 2-3 angreifen.

Auf Schulschließungen bezogen, schätzen die Wissenschaftler, dass bei Schülern eine Kontaktverminderung wie in den Ferien die Reproduktionszahl auf 1,5 drücken würde. Bei Vermeidung aller Schulkontakte ergäbe sich eine Reproduktionszahl von 1,2. Aber das hängt auch vom Anteil der Schüler an der Gesamtbevölkerung ab.