Internationalisierung des katalanischen Konflikts

Seite 4: Die Bürgermeister: Ein Machtvakuum verhindern

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Da die katalanische Regierung nach dem Einsatz des 155 nur noch begrenzt handlungsfähig ist, kommt der "Versammlung der Gewählten in Katalonien" (AECAT) eine zentrale Rolle zu. Über diese zu schaffende Institution soll ein Machtvakuum verhindert werden.

Bisher haben sich mehr als 4.000 Stadtverordnete, Bürgermeister, Parlamentarier verschiedenster Parlamente, bis ins Europaparlament eingeschrieben, um sich an AECAT zu beteiligen. Die ausstehende Konstituierung wird sich durch die Vorgänge der letzten Stunden beschleunigen.

Wie schon bisher kommt der basisdemokratisch und gut organisierten linksradikalen CUP in dem Prozess eine ganz besondere Rolle zu. Der CUP-Bürgermeister der Gemeinde Argentona und Vizepräsident der Gemeindeversammlung für die Unabhängigkeit (AMI) meint, es gäbe eine "unumstößliche Verpflichtung" der gewählten Vertreter gegenüber der eigenen Regierung und der Republik.

Doch Eudald Calvo macht keine falschen Hoffnungen. Deshalb sieht er in AECAT eine Struktur, mit der "vorangeschritten" werde, "auch wenn die Regierung der Republik verhaftet wird". Dann müsse die Verantwortung "auf die Volkssouveränität" übergehen.

Die Gemeinden hätten längst eine bedeutsame Rolle gespielt, wie das Referendum gezeigt habe, erklärt er. "Ohne die Gemeinden ist nichts zu machen", erklärt er im Hinblick auf die geplanten Neuwahlen am 21. Dezember. Calvo ist klar, dass Spanien über seine Sicherheitskräfte zwar weiter das Land kontrolliert, "aber nicht die Gemeinden und das ist ein Vorteil für die Republik".

Bisher hat die CUP eigentlich angekündigt, sich an den Wahlen nicht mehr zu beteiligen, doch dürfte diese Position kaum haltbar sein, will die Unabhängigkeitsbewegung im Dezember siegen.

Doch man könnte den Spieß umdrehen, wenn freie und faire Wahlen nicht möglich sind und Parteien verboten werden. Man könnte dann dem Staat zeigen, der ja nicht einmal das Referendum in Katalonien verhindern konnte, dass er auch nicht fähig ist, Wahlen durchzuführen.

Debattiert werden dafür auch massivere Kampfformen, wie ein Generalstreik, mit dem schon am 3. Oktober das Land als Antwort auf die Gewalt beim Referendum das Land lahmgelegt wurde.

Katalanische Sektion "Podem": Gegen die einseitige Unabhängigkeitserklärung, für das Selbstbestimmungsrecht

Positiv, und das hatte der Vizepremier Junqueras angesprochen, will man aber Menschen für den Prozess hinzugewinnen. So richtet sich der Konstituierende Prozess auch an die, die wie die spanische Linkspartei Podemos gegen die Unabhängigkeit sind.

Noelia Bail. Foto: Ralf Streck

Im Gespräch mit Telepolis machte die Generalkoordinatorin der Partei in der katalanischen Sektion "Podem" deutlich, dass man sich an dem Prozess beteiligen werde, obwohl man vergangenen Freitag gegen die einseitige Unabhängigkeitserklärung gestimmt hat. "Wir haben immer gesagt, dass wir für das Selbstbestimmungsrecht sind", verweist Noelia Bail auf das Podemos-Programm und ein Manifest zur Gründung der Fraktion "Katalonien gemeinsam kann es" (CSQP) hin.

Dieser konstituierende Prozess bietet die Chance, die begrenzte Demokratie und die Monarchie, entstanden unter der Drohungen der Militärs und dem starken Einfluss der rechtsextremen, zu Fall zu bringen.

Noelia Bail

Ein Fenster für Veränderung sei geöffnet worden, auch wenn Bail die einseitige Unabhängigkeitserklärung für falsch erachtet. Deshalb hat Podem am vergangenen Freitag zwar gegen die Unabhängigkeitserklärung gestimmt, aber nicht gegen die Einleitung des Konstituierenden Prozesses. Podem positioniert sich gegen die Unionisten von Rajoys rechter Volkspartei (PP), den rechtsliberalen Ciudadanos (Bürger) und den Sozialdemokraten (PSOE).

"Wir wollen diesen feministischen, sozialen und partizipativen Prozess", in dem nicht, wie nach der Diktatur, "von oben etwas durchgedrückt wird, was in Hinterzimmern ausbaldowert" worden sei. Es geht auch Podem nicht um kleine Änderungen, sondern um eine komplette Neubestimmung.

Zwar wolle man die für ganz Spanien: "Aber warum sollten wir warten, wenn wir hier schon damit beginnen können." Das sagt Bail auch im Hinblick auf die PSOE, auf die ihre Partei sich zuletzt Hoffnung gemacht hatte. Die PSOE habe mit ihrer Zustimmung zum 155 aber erneut gezeigt, "dass sie Teil des Problems ist". Wer glaube, dass es zu einem Wandel in Spanien an der Seite der PSOE komme, täusche sich.

Damit spricht sie die Madrider Parteiführung an, zu der inzwischen der Riss ebenfalls immer deutlicher und tiefer wird. Doch der verläuft nicht nur zwischen Podemos und Podem, sondern auch innerhalb von Podemos "Antikapitalisten" in der Partei. Denn der Flügel um den Europaparlamentarier Miguel Urban hat die katalanische Republik sogar anerkannt, womit der politisch "außerhalb von Podemos" stehe.

Podemos-Chef Pablo Iglesias und der § 155

Podemos-Chef Pablo Iglesias will offen den Podem-Chef aus der Partei treiben, weil Albano Dante-Fachín sich klar gegen § 155 stellt, nicht gegen den Konstituierenden Prozess gestimmt hat und das Selbstbestimmungsrecht der Katalanen verteidigt.

Für dessen Generalkoordinatorin Bail ist unverständlich, wie in dieser Frage auch in der Parteiführung umgegangen wird. Die Positionen von Dante-Fachín seien weiterhin die "kohärente Position von der sich aber innerhalb von Podemos einige entfernt haben".

Dabei, so betont sie, seien Selbstbestimmungsrecht und Konstituierender Prozess "auch im Gründungsdokument von Podemos" verankert und das sei die "Grundlage für den Zusammenschluss". Es ist somit ein offenes Geheimnis, dass es zum Bruch kommen dürfte. Vermutlich gehen Teile von Podem zur CUP über, wie Telepolis aus den internen Debatten erfahren konnte.

Es ist klar, dass der Konstituierende Prozess ein attraktives Angebot an die breite katalanische Gesellschaft ist, um die Republik etablieren zu können. Diesen Prozess wollen auch etliche Gruppen mittragen, die gegen die Unabhängigkeit sind.

Aufgegriffen wurde damit nämlich ein Vorschlag von Dante-Fachín oder des stellvertretenden Bürgermeisters von Barcelona und anderen, die schon 2013 einen solchen Prozess auf den Weg bringen wollten, um eine Veränderung des politischen, sozialen und ökonomischen Systems von unten anzustoßen. Ihre Forderungen nach einer partizipativen Demokratie, gegen Zwangsräumungen, Privatisierungen, für vollständige Rechte der Einwanderer und mehr sollen nun auf die Tagesordnung kommen.