Internet Governance: Hornberger Schießen am Genfer See

Die von der UNO eingesetzte Arbeitsgruppe, die Empfehlungen zur Verbesserung des Internet Governance Forum (IGF) ausarbeiten sollte, ist ohne Ergebnis zerstritten auseinandergegangen. Ist das nun schlecht oder gut?

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Am Schluss wurde es chaotisch. Alle redeten durcheinander und der Vorsitzende der UN-CSTD Working Group on IGF Improvement, der Schweizer Diplomat Fredric Riehl, konnte sich nur mühsam Gehör verschaffen und verkünden, dass das Sekretariat nun nicht mehr tun könne, als einen eigenen Sachstandsbericht zu formulieren und die rund 40 Vorschläge, die die Mitglieder der Arbeitsgruppe unterbreitet hatten, als Anhang an die für Mai 2011 in Genf geplante Sitzung der UN-Kommission für wissenschaftliche und technische Entwicklung (CSTD) weiterzuleiten.

Typisch UNO?

Eigentlich sollte die Gruppe gemäß einer Resolution der 65. UN Vollversammlung vom Dezember 2010 konkrete gemeinsame Empfehlungen an die CSTD geben, wie das im Jahr 2005 vom UN-Weltgipfel zur Informationsgesellschaft (WSIS) gegründete IGF (Internet Governance 2005: The Deal is Done) verbessert werden könnte. Erst sollten nur Regierungen dieser Arbeitsgruppe angehören. Nach erheblichen Protesten wurden schließlich zu der konstituierenden Sitzung Ende Februar 2011 nach Montreux neben den 27 Regierungsvertretern auch noch je fünf Vertreter der Privatwirtschaft, der Zivilgesellschaft und der technischen Community eingeladen.

Zu eng aber war der Zeitplan, zu kontrovers die Positionen der Mitglieder der Arbeitsgruppe und zu vage das konkrete Mandat, um ein sinnvolles und gut strukturiertes Vorschlagspaket zu erarbeiten. Die rollende Kontroverse zu Internet Governance wird also wieder einmal vertagt. Es wird weiter durchgewurstelt.

Ist das vorläufige Scheitern dieser Arbeitsgruppe nun für die Zukunft des IGF eine Katastrophe? Nicht wenige, die das Hornberger Schießen am Genfer See mitgemacht haben, zucken einfach mit den Achseln. Außer Spesen, nichts gewesen, hört man da. Und typisch UNO.

Das 6. IGF, geplant für September 2011 in Nairobi, wird mit großer Wahrscheinlichkeit auch ohne fein ziselierte Empfehlungen der UNO auskommen. Und auch für das IGF 2012 gibt es schon Kandidaten, die das "Davos des Internet", wie das IGF auch gerne genannt wird, in ihrem Land veranstaltet sehen wollen. Braucht man also wirklich das Dach der UNO, wenn man weltweit über die Zukunft des Internet und seiner politischen Regulierung diskutieren will? Oder ist die globale Internet Community mittlerweile nicht schon stark genug, dass sie solche Diskussionsplattformen auch aus eigener Kraft stemmen kann?

In der Tat bleibt abzuwarten, ob die ganze furiose Debatte, die der stellvertretende UN Generalsekretär Sha Zukang im November 2009 in Sharm el Sheikh beim 4. IGF um eine "Verbesserung des IGF" entfacht hat, ein Sturm im Wasserglas bleibt. Das IGF hatte ja nur ein Mandat für fünf Jahre und 2009 war die Zeit herangereift, über eine Verlängerung des IGF zu entscheiden. Eigentlich waren sich damals alle einig, dass das IGF eine erstaunlich gute Entwicklung genommen hatte, sich zu der Plattform des weltweiten Dialogs über Internetfragen aller Art entwickelt hatte und es keinen Grund gibt, das IGF wieder abzuschaffen. Dass man dabei jedes Jahr aus den Fehlern und Unzulänglichkeiten des Vorjahres lernt, verstand sich dabei als Selbstverständlichkeit.

China will Kontrolle über kritische Internetressourcen

Das aber war der chinesische Regierung und einigen andere Mitglieder der Gruppe der 77 nicht gut genug. Ihnen passt das ganze Design des IGF nicht, bei dem Regierungen, Parlamentarier, die Wirtschaft, die Zivilgesellschaft und die akademisch-technische Community gleichberechtigt in den Leitungsgremien (der Multistakeholder Advisory Group, auch MAG genannt), auf dem Podium der Plenen und im Auditorium sitzen.

Obgleich die Staats- und Regierungschefs der 190+ UN-Mitgliedstaaten beim Weltgipfel in Tunis im November 2005 einer Definition von Internet Governance zugestimmt haben, derzufolge die verschiedenen Stakeholder in ihrer jeweiligen spezifischen Rollen gleichberechtigt an der Ausarbeitung von Regeln, Normen und Prinzipien sowie bei zukünftigen Entscheidungsprozessen hinsichtlich des Internet beteiligt werden, möchten sie lieber eine traditionelle zwischenstaatliche Aufsichtsbehörde, die das Internet quasi von oben "regiert".

Während die Mehrheit der beim IGF Beteiligten eine Verbesserung des IGF darin sehen, das innovative Multistakeholder-Modell mit seinem "bottom up approach", der Politikentwicklung "von unten", kreativ weiter zu entwickeln, vermeidet das Arbeitspapier der chinesischen Regierung für die jüngste Sitzung der CSTD-Arbeitsgruppe allein schon die Verwendung des Begriffs "Multistakeholder".

Das IGF hätte es nicht geschafft, die einseitige Kontrolle der kritischen Internetressourcen (durch ICANN und die US-Regierung) zu beenden, heißt es in dem chinesischen Papier. Demzufolge müsse ein verbessertes IGF sich darauf konzentrieren, wie denn das Problem der "einseitige Kontrolle der kritischen Internetressourcen" (d.h. Root-Server, Domain-Namen, Internet-Protokolle und IP-Adressen) gelöst werden könne. Nach chinesischer Ansicht würde eine befriedigende Regelung erst dann erreicht, wenn man das Internet der UNO unterstellen würde, das IGF also aus dem regulären UN-Budget finanziert und entsprechend kontrolliert würde.

Mit keinem Wort wird in diesem chinesischen "Working Document" die Privatwirtschaft, die Zivilgesellschaft oder die technisch-akademische Community erwähnt. Keine Erwähnung finden auch die Sachfragen, die die letzten IGFs dominiert haben wie freier und gleichberechtigter Zugang zum Internet, Schutz der Privatsphäre, Meinungsäußerungsfreiheit, geistige Eigentumsrechte, Cloud Computing, soziale Netzwerke oder das Internet of Things. Allenfalls wird eingeräumt, dass Entwicklungsländer stärker im IGF repräsentiert sein müssten. Dem kann man ja uneingeschränkt zustimmen, wobei im Dunklen bleibt, ob sich die Chinesen hier etwa wirklich wünschen, dass die ägyptische und tunesische Internet-Community beim nächsten IGF über ihre Erfahrungen bei der Abschaffung einer Diktatur berichten.

Wie dem auch sei, dieses rigide Verständnis von IGF-Verbesserung erhellt, dass es offensichtlich eher unwahrscheinlich ist, dass man in einer UN-Arbeitsgruppe gemeinsame Positionen erarbeiten könne. Es wird nun die CSTD im Mai darüber zu befinden haben, wie man mit dem Stapel von Papieren umgeht, die sich bei der Arbeitsgruppe angesammelt haben. Die CSTD hat dann dem UN-Wirtschafts- und Sozialrat (ECOSOC) zu berichten, der dann seinerseits einen Bericht für die 66. UN-Vollversammlung im Herbst 2011 in New York vorbereitet. Dass da noch einmal "Übereinstimmung" erzielt werden könnte, scheint eher unwahrscheinlich

Vorwärts auch ohne Konsensus

Ein Konsensus über ein "Verbesserung des IGF" ist offensichtlich aber gar nicht vonnöten, um den einmal begonnenen IGF-Prozess fortzuführen. Das jetzt für September 2011 in Nairobi geplante 6. IGF wird insofern zum Lackmustest, weil es demonstrieren kann, dass man eine erfolgreiche globale Internet-Veranstaltung auch ohne Segen eines UN-Komitees organisieren kann.

Das heißt nicht, dass es bei den nachfolgenden Verhandlungen im 2. Ausschuss der UN-Vollversammlung, die im Oktober 2011 beginnen, nicht mächtig zur Sache geht. Aber auch da sollte man nicht zu ängstlich wie das Kaninchen auf die Schlange schauen, denn erstens kann der Beschluss der 65. UN-Vollversammlung vom Dezember 2010, das IGF bis 2015 zu verlängern, nicht rückgängig gemacht werden, und zweitens wird es wahrscheinlich noch einer weiteren Arbeitsgruppe bedürfen, um wenigsten einen "rough consensus" über das zu erreichen, was man eine IGF-Verbesserung nennen könnte.

Es ist daher nicht verwunderlich, wenn die IGF-Aktivisten dieser "UN Internet Governance Comitology" mit einer gewissen Gelassenheit begegnen. Nicht nur das globale IGF hat sich stabil entwickelt, es hat auch das Entstehen von Dutzenden von nationalen und regionalen IGFs bewirkt, bei denen die nationalen und regionalen Internet-Themen auf der Basis des beim globalen IGF erfolgreich erprobten Multistakeholder-Prinzips diskutiert werden.

Mittlerweile gibt es regionale IGFs auf allen Kontinenten. Das 4. Europäische IGF mit dem schönen Namen EURODIG (European Dialogue on Internet Governance) findet Ende Mai 2011 in Belgrad statt. Die drei vorherigen EURODIGs sahen Strasbourg (2008), Genf (2009) und Madrid (2010) als Gastgeber. Für 2012 hat sich Stockholm ins Gespräch gebracht. Das 1. Asiatisch-Pazifische IGF (AP-IGF) fand im Juli vergangenen Jahres in Hongkong statt. Das 2. AP-IGF ist jetzt für Juni 2011 in Singapur geplant, am Vorabend des 41. ICANN-Treffens. Gleich zwei regionale IGFs gibt es in Afrika: Eins für Ostafrika und eins für Westafrika. In Lateinamerika hat es schon drei IGFs gegeben, eins in der Karibik und zwei in Nordamerika.

Dazu gibt es Dutzende nationale IGFs, darunter auch in Deutschland. Das 3. IGF-D findet am 12. April 2011 in Berlin und zwar in der Landesvertretung von Sachsen-Anhalt, einen Steinwurf vom Bundestag, entfernt. Thema ist u.a. wie die Beteiligung der Bürger bei der Entwicklung von Internetpolitiken, d.h. das Prinzip des Multistakholderismus, auf nationaler Ebene weiter entwickelt werden kann.